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Jüdisches Museum Berlin

Kontroverse Ausstellung - Ich bin der Jude aus der Vitrine

Das Jüdische Museum Berlin sorgt für Aufregung: Die Kuratoren stecken Juden in eine Vitrine – als lebendiges Exponat. Es saßen dort schon Madeleine Albright oder auch der Holocaust-Überlebende Alexander Fried

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Suchá, Lucie

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Sie ist groß, ganz aus Glas gefertigt. Drin steht ein Holzstuhl, rot gepolstert. Sieht nicht besonders bequem aus, die Vitrine im Jüdischen Museum Berlin. Und dieses Glashaus hat in einigen Ländern für große Aufregung gesorgt.

„Eine Frau aus den Vereinigten Staaten ist nur gekommen, um zu sehen, was es mit dieser Vitrine eigentlich auf sich hat,“ erzählt Miriam Goldmann, Kuratorin der Ausstellung „Die ganze Wahrheit - was Sie schon immer über Juden wissen wollten“. Und warum? Weil darin ein Mensch sitzt. Ein Jude. Als Teil der Ausstellung.

„Ich habe mich ein bisschen gefühlt wie Adolf Eichmann bei dem Prozess in Jerusalem,“ beschreibt Alexander Fried, Holocaust-Überlebender und Historiker, sein Erlebnis, sich für kurze Zeit und freiwillig in den „Juden aus der Vitrine“ zu verwandeln.

Und das war wohl gar nicht einmal unangenehm. Nur, dass die Vitrine jenen ähnelt, in die man bei Gericht die schlimmsten Verbrecher steckt – selbstverständlich bis auf die roten Polster und den Fakt, dass der Kasten keine vordere Wand hat und damit ganz offen ist.

Alexander Fried hat darin gesessen, weil er neugierig war. Neugierig darauf, worauf die Deutschen neugierig sind. Die Besucher konnten zu ihm kommen und beliebige Fragen stellen. In der Vitrine wechseln sich die Menschen ab. Kurz hat sich dort auch Madeleine Albright hingesetzt, als sie in Berlin war, um ihr Buch „Winter in Prag“ vorzustellen. Albright ist als kleines Mädchen mit ihrer Familie vor den Nazis aus Tschechien nach Großbritannien geflohen. Erst viel später erfuhr sie, was ihre Eltern ihr ganzes Leben lang verschwiegen haben: Ihre Familie war zu einem Teil jüdisch. 

In der Vitrine hat auch der junge Student Dekel Peretz gesessen. Er stammt aus Israel, in Deutschland studiert er deutsche Geschichte. „Ich fühle mich sowieso wie in einer Vitrine“, erklärt er. „Wenn jemand feststellt, dass ich Jude bin, werden mir immer viele Fragen gestellt, als ob ich deswegen gleich Experte auf den Gebieten des Judaismus, der Holocaust-Geschichte und der israelischen Regierung wäre.

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Von allen Menschen aus der Vitrine ist Alexander Fried der außergewöhnlichste. Er ist dem Tod mindestens zehnmal um ein Haar entkommen. Mit 16 Jahren wird er 1940 in seiner Heimat, der Slowakei, in das KZ Žilina verschleppt. „58.000 Menschen sind von hier in den Tod geschickt worden. Ich und meine vier Freunde wurden deportiert. Eines Tages hat mich der Kommandant einberufen und sagte: „Am 4. April wirst du freigelassen“. Bis heute weiß ich nicht wieso. Alle meine Freunde gingen damals in den Tod. Ich musste ihnen in der Nacht helfen, in die Waggons einzusteigen“, erzählt der heute 88-jährige Historiker über den damals 16-jährigen Jungen.

Drei Jahre danach sollte er wieder deportiert werden. Seine Mutter drängt ihn, aus der Stadt zu fliehen und sich zu verstecken. Er folgt ihrem Rat, nach ein paar Monaten aber entdecken ihn die Nazis. Sie bringen ihn nach Sachsenhausen – am Heiligen Abend des Jahres 1944. Von dort treiben sie ihn auf den Todesmarsch. Elf Tage später, im 200 Kilometer entfernten Crivitz, kommen die Befreier. Er wiegt noch 25 Kilogramm.

Nach dem Krieg flieht Alexander Fried aus der ehemaligen Tschechoslowakei. Er studiert Medizin, Europäische Geschichte, wird Professor, arbeitet in Kanada, Großbritannien und Frankreich und er führt zeitweise das Jüdische Kulturmuseum in Augsburg. Seine Frau lernt Fried in Deutschland kennen, sie leben in Bayern, Prag und Tel Aviv.

Als Fried die Ausstellung im Jüdischen Museum in Berlin besucht, wurde ihm klar, wie interessant es sein könnte, sich in diese Vitrine zu setzen. „Ich war neugierig auf die Fragen, die Deutsche und Nicht-Juden stellen werden“, erklärt er. Die meisten Leute wollten dann aber nur wissen, welche Fragen er erwarte. Aber eine Frau hatte mehr Mut. Sie stellte ihm die Frage, die nur er beantworten kann: Kann man verzeihen?

Seine Antwort: „Das ist sehr schwierig. Meine Mutter wurde mit einem der letzten Transporte nach Auschwitz verschleppt. Das war im Oktober 1944. Damals waren auch meine Cousinen dort, die später erzählten, wie sehr meine Mutter nach uns gesucht hatte. Sie wurde in Auschwitz ermordet. Wissen Sie, ich war schon immer ein Muttersöhnchen. Die Trauer aus diesem Verlust fühle ich noch heute sehr stark. Und ich glaube, meine Mutter würde nicht wollen, dass ich verzeihe.“

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