Evangelischer Kirchentag - Gott ist grün

Der Kirchentag will natürlich so bunt sein „wie Gottes Schöpfung“. Und doch gibt es dort eine alles beherrschende Farbe: Grün. Man versichert sich gegenseitig seiner Toleranz und Offenheit. Gleichzeitig schließt man Andersdenkende aus

Zwei Mädchen mit offiziellem Kirchentagsschal stehen auf dem grün beleuchteten Friedensplatz / picture alliance
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Immerhin, man ist ehrlich: Grün ist die alles beherrschende Farbe des diesjährigen Kirchentages: Grüne Fahnen, grüne T-Shirts, grüne Plakate, grüne Bühnen, grüne Schals wohin man schaut. Sogar grüne Liegestühle gibt es, für die vom Weltanschauungsmarathon Erschöpften. Grün ist schließlich auch das Logo des Kirchentages. Es zeigt ein Männlein, das an grünen Ballons in den Himmel schwebt. Dazu das Motto der Dortmunder Großveranstaltung: „Was für ein Vertrauen“.

Das Wort stammt aus dem 2. Buch der Könige, das bekanntlich mit dem Untergang des Reiches Juda, der Zerstörung und der Wegführung der Juden nach Babel endet. Die Moral von der Geschicht’: Man kann eben auch zu viel Vertrauen haben. Dann wird man leichtsinnig, hochnäsig und arrogant. Und dann geschieht die Katastrophe. Die Ballons platzen. Aber das ist für einen Kirchentag wahrscheinlich schon eine etwas zu komplexe Botschaft.

Alle irgendwie für Frieden

Hier liebt man es einfach, schlicht und griffig. Also diskutiert man wie all die Jahrzehnte zuvor über den Weltfrieden, über Umweltzerstörung, über Armut und soziale Ungerechtigkeit. Und jede Wette: Am Ende des Tages wird sich herausstellen, dass alle irgendwie für Frieden sind, für Gerechtigkeit und den Schutz der Umwelt. Na, Donnerlüttchen, wie man im Ruhrgebiet sagt.

Intellektuelle Überraschungen waren nie die große Stärke der Kirchentage. Für eine Massenveranstaltung ist das sicher auch zu viel verlangt. Aber etwas weniger Denken in Schubladen, etwas weniger grün, etwas weniger aufgeblasene Harmonie kann man auch Kirchentagsbesuchern zumuten.

Die Buntheit hat Grenzen

Aber Zumutungen, intellektuelle Zumutungen gar, meidet man auf dem großen Glaubenstreffen. Also gibt man sich hermetisch, schließt sich ein, kapselt sich ab, verkriecht sich unter seinesgleichen und nennt das ganze Offenheit. Denn bunt möchte man bekanntlich sein, „bunt wie Gottes Schöpfung“, „eine bunte Republik Deutschland“, im „Café Bunt und Flair“, beim „regenbunten Austausch“ oder dem „Workshop Jung.Bunt.Frieden“.

Doch die Buntheit hat bekanntlich Grenzen und die Offenheit sowieso. Denn Offenheit bedeutet in der geistigen Welt des Kirchentages, einen Monolog unter Gleichgesinnten zu führen. Also versichert man sich wechselseitig tapfer seiner Toleranz und schließt konsequent diejenigen aus, die anders denken. Etwa die AfD. Aber nicht nur die AfD. Ausgeschlossen wird alles, was nicht in das eigene schlichte Weltbild passt.

Undemokratisch, borniert und albern

Wo sind die Wissenschaftler, die sich kritisch mit der Energiewende auseinandersetzen? Oder Ökonomen, die erklären könnten, dass der freie Markt sozialer ist als Verstaatlichungen? Wo ist etwa ein Christian Lindner oder ein Friedrich Merz? Wo der Vorsitzende der Werteunion Alexander Mitsch oder Arbeitgeberpräsident Ingo Kramer? Immerhin, der bayerische Ministerpräsident Markus Söder hat seinen Auftritt. Ansonsten ergötzt man sich an den Säulenheiligen des Milieus, an Robert Habeck, an Annalena Baerbock und Kevin Kühnert. Willkommen auf der Veranstaltung der Neugierigen und Weltoffenen!

Die Ausladung an Politiker der AfD ist nicht nur undemokratisch, borniert und albern – sie ist vor allem symptomatisch. Denn das Kirchentagsmilieu hat sich schon lange in seine ganz eigene Filterblase zurückgezogen. Und in der sind nicht nur Politiker der AfD nicht willkommen, sondern alles, was das eigene süßlich-verklemmte Weltbild stört.

Es herrscht der betreute Diskurs

Eingeladen hingegen ist die Rosa-Luxemburg-Stiftung, die Heinrich-Böll-Stiftung, der Deutsche Gewerkschaftsbund, zahlreiche Einzelgewerkschaften und das übliche Potpourri aus Sozialverbänden und Umweltschutzorganisationen, das in vielen Medien gerne zur „Zivilgesellschaft“ hochgejubelt wird. Immerhin: Adenauer- und Seidel-Stiftung sind auch dabei. Dafür fehlt die Stiftung, die den Namen des Theologen Friedrich Naumann trägt.

Man möchte gar nicht der Versuchung erliegen, die Wahl des Mottos „Was für ein Vertrauen“ tiefenpsychologisch auszudeuten. Denn Vertrauen hat hier offensichtlich niemand. Nicht in die Freiheit, nicht den Streit, nicht in den Dissens, nicht in den mündigen Bürger. Stattdessen herrscht der betreute Diskurs. Denn schon Lenin wusste: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser!

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