„Links. Rechts. Mitte“ mit Julian Reichelt - Streitlustig aus der Asche

Zuletzt war es etwas ruhig geworden um den ehemaligen „Bild“-Chef Julian Reichelt. Dann gab er der „Zeit“ ein Interview, fing wieder an zu twittern und trat am Sonntag nun erstmals wieder öffentlich auf. In der Diskussionsrunde „Links. Rechts. Mitte - das Duell der Meinungsmacher“ auf Servus TV gab sich Reichelt gewohnt diskussionsfreudig – und kündigte an, mit einem neuen Projekt eine Marktlücke im Journalismus schließen zu wollen.

Der ehemalige „Bild“-Chefredakteur Julian Reichelt vor seinem Auftritt bei Servus TV am Sonntag / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Wer wollte, konnte Julian Reichelt bereits tagsüber begleiten auf seiner Reise zum ersten TV-Auftritt nach seinem Rauswurf bei Axel Springer. Auf Twitter nämlich, wo Reichelt derzeit über 117.000 Follower hat. Dort postete der ehemalige Bild-Chefredakteur einzelne Wegmarken von seinem Ausflug von Berlin nach Salzburg, wo er am Sonntagabend in der Talkrunde „Links. Rechts. Mitte - das Duell der Meinungsmacher“ zu sehen war.

Das hatte was von einem Countdown, an dessen Ende Reichelt aus der Asche steigen und der halben deutschen Medienwelt vielleicht mal wieder zeigen würde, wo der Hammer hängt. Denn das kann der ehemalige Kriegsreporter außerordentlich gut und ungeniert wie wenig andere unserer Zunft: Draufhauen, oder, um es etwas milder auszudrücken, den Finger in die Wunde legen, wo der seiner Meinung nach hingehört.

Als streitbarer Chefredakteur hat Reichelt zuletzt der ohnehin streitbaren Bild neues Leben eingehaucht. Der Boulevard ist geblieben, aber das Blatt ist unter ihm wieder lauter geworden und politischer. Und weil sich Reichelt dabei nie scheute, gegen den linken Strom – der in Pressedeutschland bekanntermaßen lang ist und breit – anzuschreiben, dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk regelmäßig eins reinwürgte und gegen alles zu Felde zog, was nach wokem Zeitgeist riecht, hat sich Reichelt damit nicht nur Freunde gemacht, insbesondere im Journalismus nicht. Und mit Letzterem, lässt sich konstatieren, hat er damit wohl auch vieles richtig gemacht in einer Branche, die in der Summe dazu neigt, ein bisschen zu oft zu uniform auf die Welt zu blicken.

Über jedes Stöckchen

Doch dann kam im Frühjahr 2021 erst das Compliance Verfahren gegen Reichelt bei seinem alten Arbeitgeber Axel Springer, zu dem neben der Bild unter anderem auch die Welt gehört, und im Oktober vergangenen Jahres schließlich der Rauswurf wegen der „mörderischen Frage, wer mit wem schlief“, wie Sophie Dannenberg auf Cicero schrieb, und wohl auch deshalb, weil es Druck gab aus den USA, wo Springer parallel zur Causa Reichelt die größte Übernahme der Firmengeschichte, die von Politico, vorantrieb

Die Gründe für Reichelts Entlassung, und ob diese nun gerechtfertigt war oder nicht, seien mal dahingestellt. Die einen sagen so, die anderen, inklusive Reichelt, sagen anders. Klar ist aber, dass Reichelt zwar nicht mehr bei Bild ist – oder die Bild eben nicht mehr Julian Reichelt ist, wie er in einem Interview mit der Zeit jüngst die Fragestellerin korrigierte. Seine Popularität gleichwohl hat darunter kaum gelitten; bei seinen Unterstützern und seinen Kritikern gleichermaßen, was man etwa daran sieht, dass Letztere nach wie vor über jedes Stöckchen springen, das ihnen Reichelt in den sozialen Medien hinhält.

Streitfreudig und kontrovers

Aber wie dem auch sei, denn nicht nur Medienjournalisten fragen sich seit Wochen ohnehin etwas anderes: Wo wird es den streitbaren Haudrauf mit der breiten Außenwirkung wohl hinziehen? Reichelts Auftritt bei Servus TV am Sonntagabend – also der Umstand, dass sein erster TV-Auftritt nach Bild beim Sender des österreichischen Brause-Milliardärs Dietrich Mateschitz stattfinden sollte – brachte nochmal ein bisschen Würze in die Gerüchte, dass Reichelt eventuell bei Servus TV anheuern könnte. Der Sender hat entsprechendes Gemunkel zwar bereits dementiert. Aber was heißt das schon?!

Denn Servus TV ist in linken und woken Sphären ähnlich beliebt wie Reichelt dort beliebt ist. Weit weniger boulevardesk als die Bild ist der Sender, ja. Aber deshalb ist Servus TV nicht weniger streitfreudig, auch nicht minder kontrovers. Sein Intendant Ferdinand Wegscheider etwa schießt nicht zuletzt in der eigenen TV-Kolumne „Der Wegscheider“ gerne gegen die „Mainstreampresse“ und gegen „Klimahysterie“. Außerdem ist Reichelt der Welt des Bewegtbildjournalismus keineswegs abgeneigt, weshalb er sich bei Bild TV immer gerne aus dem Studio meldete oder auch mal live mit seinem Vize Paul Ronzheimer über die Corona-Maßnahmen stritt. 

Reichelts Rückkehr ins TV

Um 22.15 Uhr jedenfalls – kurz, nachdem Wegscheider in gewohnter Manier über ein „Propaganda-Trio“ aus Medien, Pharmaindustrie und Politik geschimpfte hatte – startete „Links. Rechts. Mitte“ am Sonntagabend. Mit von der Partie waren Moderatorin Katrin Prähauser sowie der Journalist Thomas Walach (ZackZack), die Sängerin Julia Neigel, der Mathematiker Peter Markowich und eben Julian Reichelt. Gemeinsam wurden, so das Konzept der Sendung, anschließend die wichtigsten Themen der Woche diskutiert. Doch unterm Strich dürfte der ein oder andere Zuschauer insbesondere wegen Reichelt eingeschaltet haben, den Moderatorin Prähauser zuvor als „einst mächtigster Journalist Deutschlands“ ankündigt hatte. 

Im dunklen Jacket, blau-weißem Hemd und gestreifter Krawatte hat Julian Reichelt rechts von der Moderatorin Platz genommen. Zuerst geht es um die neue Omikron-Variante. „Wir werden natürlich alle, als Bevölkerung gesehen, Kontakt mit dem Covid-Virus irgendwann einmal brauchen, um eine epidemiologisch gesunde Situation wieder herzustellen“, führt erst einmal Mathematiker Markowich aus, der auch für eine gesetzliche Impfpflicht ist. Und Journalist Walach beklagt einen „Slalom-Kurs“ der österreichischen Corona-Politik. „Die Impfpflicht kommt deutlich zu spät“, sagt er. Und weiter: „Je früher alle geimpft seien, desto besser, sagen die Experten, ist doch logisch.“

Der nächste Countdown

Die Regie nimmt mehrfach Reichelt in den Fokus, der erstmal kaum Regung zeigt. Auch das hat was von Countdown. Man will den Auftritt des „einst mächtigsten Journalisten Deutschlands“ noch einmal hinauszögern, so wirkt es, die Spannung noch ein bisschen hochhalten. Das gelingt gut. Anschließend äußerst sich erstmal noch Sängerin Neigel zur Impfpflicht, die sie ablehnt: „Man kann Menschen nicht dazu zwingen, an einem experimentellen Studienverlauf teilzunehmen“, sagt sie. Und auch: „Die Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit darf man überhaupt nicht antasten.“

Auftritt Reichelt: Was uns denn wichtiger sei, der mögliche kurzfristige Erfolg mit einer Impfpflicht, oder die freie Gesellschaft, will Prähauser wissen. „Die freie Gesellschaft sollte uns, glaube ich, immer das Wichtigste sein“, sagt Reichelt, der die Impfpflicht ablehnt. Reichelt sieht nicht ausreichend Argumente für die Maßnahme, verweist unter anderem auf die milde Omikron-Variante und spart nicht mit Kritik an den Regierenden. „Diese Impfpflicht ist natürlich eine Grenzüberschreitung und ein gebrochenes Versprechen, das zum Misstrauen in die Politik führt“, sagt Reichelt. Kurz darauf geht's schon rund.

"Mit Haltung" in der Twitter-Bio

Denn Reichelt ist streitlustig wie eh und je an diesem Sonntagabend, wirkt wie einer, der in den vergangenen Wochen tief Luft geholt hat, um bei Zeiten wieder ordentlich auf den Tisch zu hauen. Und für Markowich und Walach ist er eine Reizfigur, mit der sich vor allem Walach fetzen will, aber meist den Kürzeren zieht.

„Die Menschenfeindlichkeit, mit der Sie, Herr Reichelt, hier über Corona sprechen ...“, sagt Walach etwa einmal. Das lässt sich Reichelt nicht gefallen und grätscht ihm rein: „Ich lasse mir nicht das Wort Menschenfeindlichkeit vorwerfen, und es ist typisch für die Argumentationsweise, wenn jemand 'mit Haltung' in seine Twitter-Bio schreibt“, schleudert Reichelt Walach entgegen. Der hat gesessen.

Eine kurze Recherche auf Twitter zeigt: Das ist wirklich so. Und sie zeigt auch, dass die Sendung am Nachmittag aufgezeichnet wurde und sich Walach dann aus der Ferne nochmal revanchierte bei Reichelt, wenn auch indirekt. Er twitterte von einem „unterhaltsamen Sparring“ mit dem ehemaligen Bild-Chef, aber als „Stimme der Vernunft“ will er nur Markovich identizifiert haben. Ergo: Reichelt ist keine Stimme der Vernunft. Die Überraschung darüber hält sich ebenfalls in Grenzen.

„Ich bin ein Berufsspektiker und ich bin stolz darauf“, sagt Reichelt später in der Sendung. Er lobt die Arbeit von Bild unter seiner Ägide und sieht Parallen zur Berichterstattung in der Migrationskrise und in der Corona-Pandemie, was viele andere Redaktionen betrifft. Reichelt beklagt, dass einmal mehr Wörter verwendet würden, um andere Meinungen per se abzuqualifizieren, und auch, dass sich Wissenschaftler teils nicht nur „politisiert“, sondern „radikalisiert“ hätten. Walach fragt, ob Reichelt auch ins Cockpit eines Flugzeugs gehen würde, um dem Piloten zu sagen, er wüsste es besser, als Reichelt sagt, auch Wissenschaftler gehörten kritisiert. Reichelt winkt ab, findet den Vergleich absurd.

Voll mit Cancel Cultur und Woke-Wahnsinn

Aber auch um Reichelts Ära bei der Bild geht es an diesem Abend noch. „Wer wollte Sie denn loswerden?“, fragt Moderatorin Prähauser und bezieht sich damit auf oben zitierten Tweet, in dem Reichelt unter anderem schrieb: „Ich weiß, wie viele Politiker es herbeigesehnt und befeuert haben, dass man mir die Möglichkeit nimmt, BILD als klarste und unüberhörbare Stimme des freiheitlichen Denkens zu verteidigen. Aber das wird mich nicht davon abhalten, klar zu benennen, was in unserem Land passiert.“

„Ich habe nie gesagt, dass mich jemand loswerden wollte, sondern dass die Vorwürfe perfider Quatsch sind“, sagt Reichelt. Und Reichelt sagt auch: „Ich nehme allerdings wahr, dass es ein zunehmend beliebtes Instrument besonders linker Argumentation und linker teilweise auch Agitation ist, so etwas wie die Unschuldsvermutung einfach außer Kraft zu setzen und Vorwürfe in einer diffusen und abstrakten und anonymen Weise zu verbreiten, dass man sich dagegen nicht mehr verteidigen kann.“ Das sei bei ihm „hocherfolgreich“ gewesen, sagt Reichelt. „Aber ich finde das in einer Zeit, in der wir leben, voll mit Cancel Culture und Woke-Wahnsinn, nicht verwunderlich.“

Und was ist nun dran am Gerücht, dass Reichelt zu Servus TV wechseln könnte? „Zu Servus TV komme ich nicht, aber ich komme demnächst nach Österreich, wenn die Politik mich hier nicht noch verschreckt, nämlich als Ski-Urlauber“, sagt Reichelt. Ansonsten arbeite er derzeit an „etwas Neuem“ und spreche „mit sehr vielen spannenden jungen Kolleginnen und Kollegen“, sagt er – und kündigt eine „neue Plattform“ an. Mit der will er, sagt Reichelt, eine Marktlücke im Journalismus schließen: „Und die größte Martklücke im Journalismus ist tatsächlich Journalismus.“ Ein Satz, der in manch einschlägiger Redaktion für Schnappatmung sorgen dürfte. Der „einst mächtigste Journalist Deutschlands“ ist damit und mehr zurück im Rampenlicht – und hat wohl noch Größeres vor auf seiner weiteren Reise. Alles andere wäre bei Reichelt, zugegeben, auch etwas überraschend gewesen.

 

 

 

 

 

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