Georg Ringsgwandl - Der Wind wird milder

Das bayerische Genie Georg Ringsgwandl wird im Herbst 75 Jahre alt. Zum Jubiläum überrascht er sich selbst mit seinem ersten Roman.

Georg Ringsgwandl interessiert sich nicht für sinnlose Debatten der Gegenwart / Florian Generotzky
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Es sind stürmische Zeiten. Auch im Hinterhof eines Mehrfamilien­altbaus im Münchner Stadtteil Untersendling. Georg Ringsgwandl hat sich den Ort als Treffpunkt für unser Gespräch ausgesucht. Hier geht er seit 1979 ein und aus. Als Übernachtungsgast, als späterer Bewohner, heute als Vater und Großvater. Die kleine Familie seiner Tochter wohnt mittlerweile in jener Wohnung im Erdgeschoss, wo Rings­gwandl früher geprobt und Platten aufgenommen hat. 

Während der starke Sommerwind die Blätter mit den Interviewfragen davonweht und ein Eichhörnchen schimpft, weil ein Künstler, ein Journalist und ein Fotograf auf alten Gartenmöbeln in seinem Territorium sitzen, ist Ringsgwandl die Ruhe selbst. Im November wird der bayerische Musiker, Autor und Kabarettist 75 Jahre alt. Aller Voraussicht nach. „Garantieren kann ich das nicht. Das Ganze ist eine wackelige Veranstaltung, das muss man sehen“, sagt er.

Abschluss eines Megaprojekts

Ringsgwandl hat kürzlich etwas abgeschlossen, das man „Herzensprojekt“ nennen könnte. Das Ergebnis umfasst 448 Seiten, trägt den gar nicht so unverfänglichen Titel „Die unvollständigen Aufzeichnungen der Tourschlampe Doris“ und ist als Roman im Verlag dtv erschienen. Wobei das mit dem „Roman“ so eine Sache ist. Tatsächlich beruht sein neues Buch auf realen Textdateien einer realen Doris, die mit elf Jahren als Babysitterin in die Familie Ringsgwandl kam und sich bis zur Tourmanagerin hochgearbeitet hat. 

Ihre Aufzeichnungen, die sie über die Jahre notierte, hat Ringsgwandl vor einiger Zeit auf einem alten Laptop entdeckt. Da hatte sich Doris längst mit einem Mechaniker und jeder Menge Schwarzgeld ins Ausland abgesetzt.

Hunderte Seiten hat Ringsgwandl während des langjährigen Schreibprozesses weggeschmissen, manches nicht übernommen, auch Namen verändert, um niemandem eine Grube zu graben. Im Buch geht es auch um sexuelle Eskapaden und um heroinsüchtige Musiker. Das mit der „Tourschlampe“ komme übrigens nicht von ihm, sagt er. Die Tourbegleiterinnen hätten sich damals selbst so genannt. Wo Doris heute ist, weiß Ringsgwandl nicht – weshalb die wiederum auch nichts von diesem Buchprojekt weiß. Noch nicht jedenfalls. Auch, ob er selbst zufrieden ist mit dem gedruckten Ergebnis, weiß er nicht. Er habe sein Bestes gegeben, sagt Ringsgwandl. Aber: „Ich kann die Schwächen schon erkennen.“ 

Vom Mediziner zum Musiker

Ringsgwandl wird vor fast 75 Jahren in Bad Reichenhall geboren. Er studiert Medizin, arbeitet als Arzt auf einer Intensivstation und folgt schließlich dem Ruf der Kunst. Die Wochenzeitung Die Zeit hat ihn mal einen „Punk-Qualtinger“, ein „bayerisches Genie“, einen „Valentin des Rock ’n’ Roll“ genannt. Eine Arte-Dokumentation über Ringsgwandl fragt: „Kasperl oder Genie?“ Bei Auftritten ist der Musiker stark geschminkt. Ein Konzertmitschnitt zeigt ihn im schrillen Gymnastikoutfit, wie er auf die Melodie des gleichnamigen Rod-Stewart-Songs „Glaabst du, I bin sexy?“ singt – und wild herumhampelt. Das ist die Bühnenfigur.

 

Das könnte Sie auch interessieren:

 

Der Privatmensch Ringsgwandl ist an diesem Julitag eher zurückhaltend, stets freundlich und zuvorkommend, ganz Großvater. Aber er wirkt auch desinteressiert an vielen Themen, über die sich andere derzeit die Köpfe einschlagen: „Ich denke, dass Leute meiner Generation sehr zurückhaltend sein sollten mit Analysen und Urteilen. Denn die große Frage ist, inwieweit wir überhaupt noch verstehen, was passiert in der Welt.“ 

„Mein Generation ist feiger als die Generation unserer Väter.“

Viele Probleme, über die andere heftig streiten, sind Ringsgwandl schlicht zu banal; zu weit unten auf der Problemskala. Er sagt: „Wie revolutionär ist es, wenn du vor einer Versammlung von Linken stehst und gegen die Kapitalisten schimpfst? Wie revolutionär ist es, wenn du vor einer Versammlung von Klimaschützern stehst und auf die Ölindustrie schimpfst? Wie heldenhaft ist es, wenn du heute sagst: ,Diese Scheißnazis!‘? Das ist damn fucking umsonst.“ Wirklich mutig wäre, sagt er, „wenn ein Redakteur von irgendeinem öffentlichen Sender zu seinem Chef sagen würde: ,Die Nachrichten in der letzten Zeit haben ein Niveau, das absolut jeden Anstand unterschreitet‘.“ Das passiere aber nicht, „weil jeder bibbert um seinen kleinen Posten“. 

Ringsgwandls Vater kämpfte im Zweiten Weltkrieg, musste nach Belgien und Frankreich marschieren, nach Polen und in die Ukraine, bis in den Kaukasus. Dort explodierte eine Granate neben ihm, weshalb er als Kriegsversehrter heimkehrte. Viele Jahre später lehnt Ringsgwandl an einem Baum in einem Untersendlinger Hinterhof. Der Fotograf schießt Bild um Bild. Das Eichhörnchen schimpft nicht mehr. Der Wind ist milder geworden. Ringsgwandl sagt: „Ich denke, dass meine Generation feiger ist als die Generation unserer Väter. Und die waren schon keine Helden.“

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

Jetzt Ausgabe kaufen

Anzeige