Erkenntnisse beim Profikoch - Niedergaren: Die Champions League in der Küche

Neulich hat unser Genusskolumnist eine renommierte badische Kochschule besucht. Dort bekam er demonstriert, was er beim Umgang mit Bratenstücken bislang so alles suboptimal bis komplett falsch gemacht hat. Das wird ihm künftig nicht mehr passieren.

Balcerowiaks feierlicher Schwur: „Ich werde nie wieder Fleisch scharf anbraten und dann in den Ofen schieben“ / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Ich habe großen Respekt vor Menschen, die ein Handwerk von der Pike auf gelernt haben. Das gilt natürlich auch für Köche. Während sich unsereins als Hobbykoch mit einer Mischung aus Learning by Doing und allerlei Halbwissen aus diversen Büchern, Internet-Ratgebern und mündlichen Überlieferungen durchs Leben am Herd schlägt, beherrscht ein Profi alle wesentlichen Grundtechniken und Zubereitungsarten quasi im Schlaf und hat zudem eine wesentlich ausgefeiltere Arbeitssystematik.  

Zudem macht der Informations-Overkill im digitalen Zeitalter die Sache für ambitionierte Hobbyköche nicht gerade leichter. Hat man mal ein schönes Bratenstück, einen tollen Fisch, einen imposanten Vogel oder frisches Marktgemüse erstanden, findet man im Netz mit wenigen Klicks unzählige, sich oftmals diametral widersprechende Zubereitungsanleitungen.

Besonders nervig sind die unterschiedlichen Angaben zu Mengen, Abfolgen, Zutaten, Temperaturen und Garzeiten. Oder längst widerlegte, sich aber hartnäckig behauptende Mythen wie etwa von den „Poren, die sich durch scharfes Anbraten schließen“. Denn die gibt es schlicht nicht, und das Anbraten dient ausschließlich der Bildung von Röststoffen, aber das nur nebenbei.

Es geht nichts über Profis

Jedenfalls ist es für jeden Hobbykoch ein großer Gewinn, wenn er einem Profi mal wirklich über die Schulter schauen kann, denn die unsäglichen Kochshows stiften in Bezug auf heimische Zubereitung eher Verwirrung als Erkenntnis.

Die Gelegenheit ergab sich neulich bei einer Pressereise des Deutschen Weininstituts nach Baden, zu deren Programm auch ein mehrstündiger Aufenthalt in einer Kochschule gehörte. Eigentlich sollte es dabei ums Grillen gehen, aber das Wetter machte einen Strich durch den Plan, und deswegen wurde halt indoor gekocht. Was mir durchaus recht war.

Unser Gastgeber war nicht irgendwer, sondern Klaus-Werner Wagner, der sich seit Jahrzehnten einen Namen als Spitzenkoch und Restaurantleiter gemacht hat und seit 2002 auch eine Kochschule im idyllischen Weindorf Sasbachwalden in der Ortenau betreibt. Zu meiner großen Freude entpuppte sich Wagner als großer Anhänger des Garens mit Niedrigtemperatur, auch Niedergaren genannt. Und das mit einer mir bis dahin unbekannten Kochtechnik, die ab sofort Eingang in meine Küchenpraxis finden wird, nämlich das „rückwärts Garen“.

Erst Niedergaren, dann anbraten

Man kann mit Gargut unglaublich viel falsch machen, und das schon bevor der Garprozess überhaupt beginnt. Also: Fleisch oder Fisch deutlich vor Beginn der Zubereitung aus der Kühlung holen, damit wirklich die Zimmertemperatur erreicht wird. Den Ofen präzise vorheizen und das mit einem entsprechenden Thermometer auch kontrollieren. Aber der eigentliche Kick war ein anderer. Der Braten (oder auch der Fisch oder die Garnelen) wird bei dieser Methode eben nicht scharf angebraten, sondern gleich in den Ofen geschoben. Die Mindestgarzeit beträgt laut Wagner 20 Minuten pro 100 Gramm, um die erforderlichen Kerntemperaturen zur erreichen. Und die betragen 56 Grad für Fisch und Meeresfrüchte, 65 Grad für Geflügel und 70-75 Grad für Fleisch.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Es gibt jedoch zeitliche Ausreißer, denn z.B. bei Ochsenbacken sollte man mindestens 18, aber gerne noch mehr Stunden veranschlagen – dann haben sich auch die kollagenhaltigen Sehnen und Knorpel komplett aufgelöst und verleihen dem Fleisch eine sensationelle Zartheit. Eine maximale Garzeit gibt es bei dieser Methode faktisch nicht, denn der Garprozess wird nach Erreichen der Kerntemperatur ja nicht weiter fortgesetzt. Und da die meisten Zeitgenossen auch über keinen Hightech-Herd mit digital gesteuerter Temperaturregulierung verfügen, können auch Abweichungen von +/- 5 Grad in Kauf genommen werden.

Kein Öl in die Pfanne

Vor dem Garen kann man entweder komplett auf das Würzen verzichten oder nur sehr dezent agieren. Viele Kräuter und Gewürze verlieren auch bei diesen Temperaturen recht schnell an Aroma. Man kann auch in einer Marinade garen, die dann aber nach dem Garen gründlich abgetupft werden sollte.

Irgendwann nimmt man das Gargut, aus dem kaum Flüssigkeit ausgetreten ist, aus der Röhre und reibt oder pinselt es mit Salz, Pfeffer, anderen Gewürzen und vor allem gründlich mit Öl ein. Jetzt wird die Pfanne (am besten aus Gusseisen, Edelstahlpfannen mit dicken Böden gehen auch gut, aber auf keinen Fall beschichtet!) auf dem Herd kräftig erhitzt; und da kommt jetzt kein Öl rein, denn das würde beim Anbraten binnen kürzester Zeit einen Kochvorgang auslösen – mit unangenehmen Folgen für Konsistenz und Saftigkeit des Garguts. Und absolut verboten ist natürlich das Angießen mit Flüssigkeit.

Ein neues kulinarisches Universum

Nunmehr wird kräftig von allen Seiten angebraten, bis die gewünschte Maillard-Reaktion sicht- und riechbar in Gang gekommen ist. Dabei sollte man aber hochkonzentriert zu Werke gehen, denn gerade beim fettarmen Anbraten ist der Grat zwischen toller, brauner Kruste sowie herrlichen Röstaromen und üblen, schwarzen, rußartigen Kohleverbindungen ziemlich schmal. Hat man diese Klippe umschifft, kann jedenfalls sofort tranchiert und serviert werden – der Braten braucht keine Ruhezeit mehr, sondern ist on top.

Was der Meister und seine Crew – manchmal durften wir auch selber Hand anlegen – auf dieser Basis vor unseren Augen auf die Teller zauberten, war jedenfalls für mich der Eintritt in ein neues kulinarisches Universum. Egal ob Gambas, Lachs, Maispoulardenbrust, Duroc-Schwein oder Lammhüfte – alles war saftig, butterzart und von erlesenem Geschmack. Und bei genauerer Betrachtung ist diese Zubereitungsart keineswegs sonderlich aufwendig. Denn die Zeit, die das Gargut bei niedriger Temperatur im Ofen ist, kann man stressfrei für Soßen und Beilagen verwenden. Und einen feierlichen Schwur gebe ich an dieser Stelle schon mal ab: Ich werde nie wieder Fleisch scharf anbraten und dann in den Ofen schieben. Sondern nur noch umgekehrt.

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