Austern - Wenn das Meer den Gaumen kitzelt

In Deutschland haben Austern immer noch das Image des snobistischen Genusses. Warum eigentlich, fragt sich Rainer Balcerowiak und verweist auf das Nachbarland Frankreich, während er ein paar Austern schlürft.

Ein Geschmack, der zum Träumen einlädt: Austern schmecken nach Meer und Meeresrauschen / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Manchmal möchte man Franzose sein. Denn ein Land, wo es in gewöhnlichen Markthallen und zumindest in Küstennähe auch an Imbissbuden stets frische Austern und ein Glas passenden Wein statt Currywurst und Flaschenbier gibt, demonstriert schon mit dieser Petitesse seine hoch entwickelte Genusskultur. Rund eine Milliarde Austern verzehren die Franzosen pro Jahr, und zwar quer durch alle Bevölkerungsschichten.

Vergleichszahlen für Deutschland habe ich nicht in Erfahrung bringen können, doch die dürften vergleichsweise mickrig ausfallen. Die himmlischen Glibberteilchen gelten hierzulande noch immer als ziemlich elitäres, gar dekadentes Vergnügen der Schicki-Micki-Gesellschaft. Und viele Menschen finden rohe Austern aufgrund ihrer Konsistenz schlicht eklig. Zumal man sie lebend essen muss, andernfalls kann man ziemlich böse Überraschungen erleben.

Austern sind einzigartig

Austern sind einzigartig. Es ist die frische Meeresbrise und der Geruch von Seetang in der Nase, der Schwall Meerwasser auf der Zunge, das zart salzige, dezent nussige Aroma am Gaumen, das Austern für ihre Verehrer zu einer sinnlichen Geschmackssinfonie werden lässt. Um ihren Geschmack voll zu erfassen, sollte man sie auch nicht einfach schlürfen und schlucken, sondern mehrere Male raufbeißen.

Immerhin: Auch in Deutschland hat mittlerweile eine gewisse „Vermassung“ der Auster eingesetzt. Man bekommt sie längst nicht mehr nur in Kultstätten wie der legendären Austernbar im Berliner KaDeWe oder bei Gosch auf Sylt, sondern auch in besseren Feinkostabteilungen und gelegentlich sogar auf Märkten.

Auf die Frische kommt es an

Dominierende Sorte sind „Fines de claires“, die an vielen europäischen Küsten gezüchteten pazifische Felsenaustern, die nach der „Ernte“ noch mindestens einen Monat in einem Meerwasser-Klärbecken verweilen. Ausgefeilte Kühl- und Logistik-Ketten sorgen dafür, dass die Austern ziemlich frisch beim Verbraucher landen. Handelsüblich sind 12er Kisten, auf denen auch stets das Abpackdatum vermerkt ist.

Durchgehende Kühlung vorausgesetzt, kann man Austern mindestens sieben Tage nach dem Abpacken noch bedenkenlos essen. Sollten sie ausgetrocknet sein oder irgendwie „fischig“ riechen: Finger weg, ab in den Müll. Eine Klippe gilt es allerdings noch zu überwinden, wenn man Austern im häuslichen Rahmen genießen will. Das Öffnen der Schalentiere erfordert eine gewisse Übung, aber irgendwann geht es wie von selbst.

Bitte keine Zitrone und keine Vinaigrette

Einige Dinge gilt es allerdings aus geschmackspolizeilicher Sicht noch klarzustellen. Eine Auster ist eine Auster, ist eine Auster, ist eine Auster. Punkt. Man sollte sie weder mit Zitrone beträufeln, noch mit einer Vinaigrette verunstalten oder gar überbacken mit Worcestersoße verzehren, wie es in England mitunter praktiziert wird. Man isst sie einfach so, gerne mit ein bisschen Brot dazu. Deswegen entfällt heute auch die Zutatenliste. Und natürlich gehört auch ein passender Wein dazu.

Ihrem snobistischen Image geschuldet, wird oftmals Champagner empfohlen, aber von Britzelgetränken zum Essen halte ich überhaupt nichts. An der französischen Atlantikküste trinkt man meistens Muscadet dazu, manchmal auch Chablis, in der Bretagne auch die örtliche Spezialität Gros Plant.

Leben wie Gott in Frankreich kann man auch in Deutschland

Trocken muss ein Austernwein sein, kräftige Säure und mineralische Noten braucht er. Was er auf keinen Fall braucht, sind jegliche Andeutung von Holz und prägnante Fruchtaromen. Und erstaunlicherweise hat Deutschland so einen Wein. Es ist die lange fast vergessene und von Weinsnobs meist bespöttelte Rebsorte Elbling, die immer noch eine wichtige Rolle an der südlichen Mosel (südlich von Trier) spielt, auch auf Luxemburger Seite. Wobei in aller Bescheidenheit erwähnt sei, dass ich der Erste war, der die kongeniale Verbindung Elbling-Austern entdeckt hat und seitdem unermüdlich propagiert.

Wie dem auch sei: Leben wie Gott in Frankreich kann man auch in Deutschland, und eine Kiste Austern nebst einer Flasche Elbling ist nicht der schlechteste Weg, sich diesem Feeling anzunähern.

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