Genderdebatte - Die Ideologen der radikal egalitären Gesellschaft

Wenn man sich den Ideologen einer gerechten Sprache entgegenstellen will, dann muss man nicht ihre linguistischen Mittel attackieren, sondern ihr politisches Ziel: die radikal egalitäre Gesellschaft. Denn es geht nicht um Sprachwissenschaft, sondern um Macht.

„Wokeness“ und Egalitarismus sollen zu den Grundlagen jeder unserer Formulierungen und Gedanken gemacht werden / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Kaum ein Thema ist so geeignet, heftige Emotionen hervorzurufen, wie die leidige Debatte um die Gendersprache. Dabei handelt es sich nicht einmal um eine Debatte im eigentlichen Sinne, sondern eher um eine Okkupation der Alltagssprache durch Politaktivisten: Über die Universitäten, links orientierte Medien, über Parteien und Stiftungen wird die Gendersprache seit dem 90er-Jahren systematisch in den Alltag gedrückt. Zukünftige Soziologen und Historiker werden an diesem Beispiel studieren können, wie es einer ursprünglich marginalen Gruppe radikaler Aktivisten aus dem linksakademischem Milieu gelungen ist, ihren politischen Okkultismus der Mehrheitsgesellschaft zu oktroyieren.

Gutmütige Zeitgenossen versuchen dieser Sprachpolitik seit jeher sprachwissenschaftliche Argumente entgegenzustellen. Etwa den Einwand, das generische Maskulinum mache keine Aussage über das Geschlecht. Oder, dass Grammatik nicht mit Biologie verwechselt werden dürfe. Dass man zwischen Bezeichnendem und Bezeichnetem unterscheiden muss und dergleichen mehr.
In diesem Sinne fasste vor zwei Wochen der ehemalige Finanzminister von Mecklenburg-Vorpommern, Mathias Brodkorb, bei Cicero die wichtigsten Argumente gegen gegendertes Deutsch zusammen. Anlass war ein Gesetzesentwurf des Bundesjustizministeriums, in dem erstmals ein generisches Femininum Verwendung finden sollte, also „Bürgerin“ statt „Bürger“, aber auch statt „BürgerIn“, „Bürger/in“ oder „Bürger*in“.

Nicht diskriminierend, sondern unvermeidbar

Brodkorb konzentriert sich in seiner Kritik auf zwei Grundgedanken. Erstens: Es besteht ein Unterschied zwischen grammatischem Geschlecht und Welt. Deshalb heißt es im Französischen beispielsweise auch „la lune“ (die Mond) und „le soleil“ (der Sonne).
Und zweitens: Es gibt Ausdrücke, die sich nicht auf Einzeldinge beziehen, sondern (mengentheoretisch gesprochen) auf Oberbegriffe: Der Ausdruck „Frauen“ bezieht sich eben auf die Menge aller Frauen. Das einzelne Element (Frau Meier) verschwindet dabei hinter der Menge selbst. Das ist nicht diskriminierend, sondern unvermeidbar. Selbst bei der Einführung aller möglichen Striche und Sternchen und Binnenmajuskel ist es unmöglich, eine Sprache zu schaffen, die allen Individuen gerecht wird. Brodkorbs treffende psychosoziale Diagnose daher: „Die gendergerechte Sprache gehört zum narzisstischen Syndrom.“

Das durfte nicht unwidersprochen bleiben. In der FAZ (!) vom letzten Mittwoch antwortete daher der Sprachwissenschaftler Anatol Stefanowitsch auf Brodkorbs Ausführungen. Stefanowitsch ist nicht nur Linguist an der FU Berlin, sondern engagierter Verfechter einer politisch korrekten Sprache. Vor zwei Jahren veröffentlichte er – nebenbei: im Duden Verlag (!) – sein Buch „Eine Frage der Moral“, in dem er für eine moralisch überarbeitete Alltagssprache wirbt, die auf als abwertend empfundene Formulierungen verzichtet. 

Der sachliche Einwand scheint unbedeutend

In seinem Text für die FAZ formuliert Stefanowitsch nur ein ernstzunehmendes linguistisches bzw. sprachlogisches Argument: Generische Maskulina seien keine geschlechtsneutralen Oberbegriffe, wie Brodkorb behaupte, sondern allenfalls Metonymien, mittels derer eine dominierende Gruppe (in diesem Fall Männer) eine marginalisierte Gruppe vereinnahme. Schließlich, so der Sprachwissenschaftler, könne ein Wort nicht sein eigener Oberbegriff sein. Doch das ist Unfug. Denn bekanntlich kann ein Wort für verschiedene Begriffe stehen, „homonym sein“, wie es im Fachjargon heißt. Und nichts spricht dagegen, dass die eine Bedeutung der Oberbegriff der anderen Bedeutung sein kann.

Soweit der sachliche Einwand. Aber der ist im Grunde unbedeutend. Denn Sprachen sind hochgradig arbiträr. Man kann alles mit allem und nach allen möglichen Regeln bezeichnen. Oberstudienratshaft mit Grammatik oder Sprachlogik zu argumentieren, ist daher unsinnig. Weder logisch noch sachlich spricht etwas dagegen, Bürger als Bürgerinnen zu bezeichnen oder meinetwegen auch als Bür_ger*in/ex!en. Wer, wie Brodkorb, die Debatte auf die sprachwissenschaftliche Seite zu ziehen versucht, hat daher schon verloren.

Das Ziel der radikal egalitären Gesellschaft

Doch um Sprachwissenschaft geht es hier auch gar nicht, sondern um weltanschauliche Deutungshoheit. Die Gendersprache ist der Versuch der politischen Linken, ihre Ideologie in die Herzkammer unserer Kultur zu implantieren – in die Sprache. Dabei geht es nicht um einzelne Worte oder Schreibweisen, sondern die dahinterstehende Denkungsart. „Wokeness“ und Egalitarismus sollen zu den Grundlagen jeder unserer Formulierungen und Gedanken gemacht werden. Stefanowitsch etwa macht in seinem schon erwähnten Buch aus diesem metapolitischen Projekt auch gar kein Geheimnis.

Wenn man sich den Ideologen einer gerechten Sprache entgegenstellen will, dann muss man nicht ihre linguistischen Mittel attackieren, sondern ihr politisches Ziel: die radikal egalitäre Gesellschaft. Dann muss man deutlich machen, dass die allgegenwärtigen Egalitätsingenieure die Grundlage unserer Gesellschaft unterminieren: unsere Freiheit und unsere kulturelle Tradition.

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