Parität in der Politik - Eine Regierung ist kein Kegelclub

Ministerposten nach Geschlecht zu vergeben, funktioniert nicht. Das zeigen die Beispiele Anne Spiegel und Christine Lambrecht überdeutlich. Nicht, weil sie Frauen sind, sondern ihren Jobs nicht gewachsen waren. Höchste Zeit, sich vom Quotenirrsinn zu verabschieden.

Kabinett Scholz I mit Anne Spiegel (m.) und Christine Lambrecht (r.) / dpa, Cicero
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Es gibt mindestens 100 Persönlichkeitsmerkmale. So lautet das Ergebnis einer kleinen Recherche meinerseits in den unendlichen Weiten des Internets: von „a“ wie „achtsam“ über „k“ wie „konsequent“ bis „z“ wie „zuverlässig“. Diese Persönlichkeitsmerkmale sind je nach Mensch unterschiedlich ausgeprägt. Ich würde von mir beispielsweise behaupten, dass ich sehr „eigeninitiativ“ bin, mittelmäßig „kontaktfreudig“ und nicht sehr „geduldig“.

Manchmal, wie bei diesem Text, schreibe ich frühmorgens einfach drauf los, ohne vorige Abstimmung mit der Chefredaktion. Dauert es allerdings länger als fünf Sekunden, um – typisches Beispiel aus meiner Lebenswelt – den CO2-Zylinder in den neuen Wassersprudler zu drehen, übergebe ich an meine Freundin, weil ich sonst wütend werde. Ich brülle dann nicht herum, nein, sondern fluche einmal laut und sage anschließend fünf Minuten gar nichts mehr, bis die Wut abgeklungen ist. 

Ein obskurer Trend

Warum erzähle ich das? Es gibt diesen obskuren Trend in Deutschland, der sich Identitätspolitik nennt. Das ist so ein bisschen Erkenntnistheorie für Dummies. Man nimmt zufällige Merkmale und teilt Personen auf Basis von Geschlecht, sexueller Orientierung, Religion oder Hautfarbe in homogene Gruppen mit denselben Bedürfnissen und Problemen ein. Schublade auf, Mensch rein, Schublade zu. Mal ernsthaft: Jeder halbwegs intelligenten Person sollte einleuchten, dass eine solche Zuteilung arg unterkomplex ist; unter anderem der vielen Persönlichkeitsmerkmale und ihren unterschiedlichen Ausprägungen wegen, die immer auch mit Sozialisierung, Bildung und anderem zusammenhängen. 
 

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Wenn Sie mich fragen, sollte ein guter Politiker unter anderem folgende Persönlichkeitsmerkmale mitbringen: Er sollte belastbar sein, emotional stabil, kritikfähig, zuverlässig, fleißig, eher pragmatisch, aber gerne ein bisschen visionär. Teamfähigkeit wäre zum Beispiel als Minister noch wichtig, ebenso wie eine gewisse Kompromissbereitschaft, wenn er oder sie in einer Regierungskoalition arbeitet; vor allem, wenn diese, wie bei der Ampel, aus gleich drei Parteien besteht. Und lernwillig sollte ein Minister sein. Insofern, dass er unterschiedlichen Experten aufmerksam lauscht, die sich in seinem Zuständigkeitsbereich wirklich auskennen. Womit wir bei Anne Spiegel und Christine Lambrecht wären.

Zweimal würdelos 

Anne Spiegel hat bereits im April vergangenen Jahres den Posten der Bundesfamilienministerin geräumt. Teil dieser Farce war eine würdelose Videobotschaft infolge ihres Totalversagens als ehemalige Ministerin in Rheinland-Pfalz während der Ahrtaler Flutnacht. So viel zu den Persönlichkeitsmerkmalen Verlässlichkeit, Belastbarkeit, Professionalität und emotionale Stabilität. Christine Lambrecht, final über eine ebenfalls würdelose Videobotschaft gefallen, folgte vor wenigen Tagen, weshalb das Verteidigungsressort künftig vom bisherigen niedersächsischen Innenminister Boris Pistorius geleitet wird. Emotionale Instabilität war bei Lambrecht weniger das Problem, ihre Kritikfähigkeit dafür umso mehr und auch ihr mangelnde Teamfähigkeit sowie ihre Amtsführung insgesamt.

Dass Spiegel und Lambrecht Fehlbesetzungen für die jeweiligen Ministerien waren, hat freilich nichts damit zu tun, dass sie Frauen sind. Mit der Frauenquote aber sehr wohl. Ein wichtiger Unterschied, der in der Debatte über paritätische Besetzungen von Ministerien leider regelmäßig untergeht. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn eine Frau einen Ministerposten bekommt, weil sie die kompetenteste Kandidatin ist, dann ist das gut und richtig, dann nennt sich das Gleichberechtigung. Wenn eine Frau einen Ministerposten bekommt, nicht weil sie die beste Kandidatin ist, sondern weil sie zwei X-Chromosomen hat, dann ist das ein Problem. Eine Regierung ist eben kein Kegelclub.  

Schnappatmung nur anderswo

Die Fälle Spiegel und Lambrecht zeigen überdeutlich, dass es eine schlechte Idee ist, Ministerposten nach Geschlecht zu besetzen. Denn Chromosomen sagen nichts aus über die Kompetenz der jeweiligen Person für einen konkreten Zuständigkeitsbereich. Und genau genommen waren wir, so mein Eindruck, auch schonmal weiter bei der Gleichberechtigung, die ja eben genau nicht bedeutet, das zufällige Merkmal Geschlecht permanent zu betonen. Außerdem verkennt der im vermeintlichen Zeitgeist gewachsene Drang des politischen Establishments, Kabinette und Parteispitzen paritätisch zu besetzen, die (hauseigenen) Realitäten.  

Erstens ist es schon Seuche genug, dass das Parteibuch darüber entscheidet, welcher Koalitionspartner bei welcher Regierungsbildung welches Ministerium bekommt. Auch das ist im weitesten Sinne ja eine Quotenregelung. Und zweitens zeigt der Blick in die Mitgliederlisten der Parteien, dass der Anspruch, Regierungen paritätisch zu besetzen, dazu führt, dass ein Teil der Parteimitglieder – der männliche nämlich – strukturell benachteiligt wird, was als Vorwurf in anderen Gesellschaftsbereichen permanent zu Schnappatmung derselben Leute führt, die unbelehrbar auf eine paritätische Besetzung in der Politik bestehen. Obwohl das nun wirklich eine Luxusdebatte ist, die wir uns angesichts der sich überlagernden Krisen unserer Zeit überhaupt nicht leisten können. 

Männer in der Mehrheit

Die Wahrheit ist: In den deutschen Parteien sind viel mehr Männer engagiert als Frauen. Drei Viertel der CDU-Mitglieder sind Männer, bei der SPD sind es knapp 70 Prozent, bei der FDP nahezu 80 Prozent, ebenso rund 80 Prozent bei der AfD. Bei den Grünen und der Linken ist es etwas ausgewogener, Männer sind mit 60 Prozent aber dennoch deutlich überrepräsentiert. Heißt: Wenn die SPD innerhalb einer Dreier-Regierungskoalition ein Ministerium bekommt (1. Quote: Parteibuch) und dieses aus einem ideologischen Anspruch heraus unbedingt mit einer Frau besetzen will (2. Quote: XX-Chromosomenpaar) wird das Bewerberfeld schnell übersichtlich. Und am Ende kann es eben passieren, dass Kandidatinnen wie Spiegel oder Lambrecht den Zuschlag für Ministerposten bekommen, für die sie offensichtlich nie geeignet waren. 

Damit wir uns nicht falsch verstehen: Ich bin sicher, dass es auch bessere weibliche SPD-Lösungen gegeben hätte als Spiegel und Lambrecht für die jeweiligen Ministerien. Als Lambrecht-Nachfolgerin wurde in der Presse unter anderem über Eva Högl, die Wehrbeauftragte des Bundestages, diskutiert. Womöglich hat Bundeskanzler Olaf Scholz bei seiner ersten Kabinettsbildung nicht gründlich genug nach geeigneten Kandidatinnen gesucht respektive suchen lassen – oder gewisse Vorbehalte gegen alternative Lösungen zu Lambrecht und Spiegel formuliert.

Aber man muss eben kein Genie sein, um zu erkennen, dass die Gefahr einer Fehlbesetzung steigt, wenn Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Herkunft im Auswahlprozess wichtiger sind als die fachliche Eignung einer Person. Dabei ist das einzige Merkmal, das in der Politik wirklich immer Sinn macht, die Kompetenz. Der Rest – wie Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Herkunft – sollte, wenn es um die Führung unseres Landes geht, nur Bonusmaterial sein. Wenn überhaupt. 

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