Dieses Bild ist leider nicht mehr verfügbar
Anja Stiehler/Jutta Fricke

Frau Fried fragt sich - ...ob Individualisten in Gruppen reisen sollten

Unsere Kolumnistin Amelie Fried hat es gewagt: Sie hat eine Gruppenreise gebucht, Vollzeit-Betreuung inklusive. Ein Blick in die Abgründe des bildungsinteressierten Bürgertums

Autoreninfo

Amelie Fried ist Schriftstellerin und Fernsehmoderatorin. Für Cicero schreibt sie über Männer, Frauen und was das Leben sonst noch an Fragen aufwirft

So erreichen Sie Amelie Fried:

Meine bislang einzige Gruppenreise war unsere Klassenfahrt in der Zehnten. Danach habe ich alle Reisen selbst organisiert, und meine größte Konzession an den Kollektivzwang war, dass ich pünktlich zum Abflug am Gate eintraf. Vor kurzem nun habe ich mich zu einer Gruppen-Kulturreise in den Süden überreden lassen. Alles war perfekt organisiert, jeden Abend erhielten wir einen Ablaufplan für den nächsten Tag, im Bus wurden Lunchpakete und isotonische Getränke verteilt, in der Toilette hing ein Schild „Bitte Hände waschen“, die Tickets für die Museen waren bereits gelöst, die Hotelzimmer gebucht. Ich stellte das Denken ein, trabte nur noch in der Herde mit und ertappte mich dabei, es großartig zu finden. Betreutes Reisen, der Tourismus für den erschöpften Individualisten. Für nichts verantwortlich und an nichts schuld zu sein, alle Sehenswürdigkeiten einfach serviert und von der Reiseleitung erklärt zu bekommen – ich fühlte mich wie auf Klassenfahrt. Einer der Mitreisenden gestand mir, er habe neulich den Koffer im Hotel vergessen, weil er so daran gewöhnt sei, dass ihm alles abgenommen wird.

Eine hohe Betreuungsquote erhöht aber die Mäkelbereitschaft: Ein Teilnehmer monierte, die Sitze auf einer Seite des Busses hätten keinen Schatten. Ein anderer beschwerte sich, auf der Reise habe es zwei Schlechtwettertage mehr gegeben, als die Wetterstatistik vorsehe – bei diesem Veranstalter werde er nicht mehr buchen.

Eine Dame erzählte von anderen Reisen, die sie unternommen habe. Sie sei kürzlich in Barbados gewesen, das zwar landschaftlich schön sei, aber ein ernsthaftes Rassenproblem habe: „Da leben ja nur Schwarze!“ Auch Thailand finde sie schwierig, die Armut sei abstoßend. Grundsätzlich bevorzuge sie das Reisen in Diktaturen. Wenn Dieben die Hand abgehackt würde und auf andere Vergehen Rohrstockhiebe oder gar die Todesstrafe stünden, könne man sich als Tourist so wunderbar sicher fühlen. Wohlgemerkt, wir befinden uns auf einer Kulturreise des bildungsinteressierten Bürgertums.

Man soll ja Vorurteile regelmäßig überprüfen. Ich habe erkannt: Gruppenreisen sind mein Ding. Vorausgesetzt, die Gruppe ist nicht größer als zwei Personen. Ich wünsche Ihnen einen schönen Urlaub!

 

 

Bei älteren Beiträgen wie diesem wird die Kommentarfunktion automatisch geschlossen. Wir bedanken uns für Ihr Verständnis.