Festspiel-Intendantin Katharina Wagner - Das Danach kann warten

Nach ihrer schweren Krankheit scheint Festspiel-Intendantin Katharina Wagner beflügelt: So viel Neues gab es in Bayreuth noch nie. Nicht nur einen neuen „Ring“, auch eine Kinderoper, zwei Open Airs und die Reihe „Nach Tristan“.

Katharina Wagner ist Intendantin der Bayreuther Wagner-Festspiele / dpa
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Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Das Leben von Katharina Wagner ist eine Aneinanderreihung von Davor- und Danach-Momenten. Natürlich das Davor, bevor sie nachts mit dem Notarzt ins Krankenhaus gefahren wurde und ins Koma fiel. Die Lunge. Das Leben am dünnen Schicksalsfaden. Das viele Rauchen. Der Blackout kam mitten in der Pandemie. Aber Wagner hatte schon mit dem Aufräumen im Festspielhaus begonnen, Geschäftsführer Holger von Berg war eine „Lame Duck“ auf dem Absprung nach Wiesbaden – noch einmal versuchte er die Dinge an sich zu reißen, erfolglos. Die Corona-Festspiele 2020 gingen virtuell über die Bühne – mehr schlecht als recht. Katharina Wagner hat sie im Krankenhaus verbracht.

Dann begann das Danach. Die Intendantin kämpfte sich zurück, setzte sich auf das Fitnessfahrrad in ihrem Keller und nahm die Dinge im Festspielhaus mit neuer Lust in Angriff. Ein bisschen schien ihr Corona entgegenzukommen: Videokonferenzen statt persönliche Begegnungen, immer ein bisschen Rückzug, ein bisschen Distanz hinter der FFP2-Maske. Katharina Wagner kann gut damit leben. Sie ist glücklich auf der Bühne, die Festspiel-Organisation erledigt sie lieber hinter verschlossenen Türen. 

Der tragische Moment

Das Danach scheint sie zu beflügeln. Dieses Jahr stemmt Bayreuth nicht nur einen „Ring“, also vier neue Opernabende. 2022 kamen auch noch ein neuer „Tristan“ hinzu (Wagners einzige Oper ohne Chor könnte der Pandemie trotzen), eine Kinderoper, zwei Open Airs und die Reihe „Nach Tristan“. So viel Neues gab es in Neu-Bayreuth noch nie. Selbst zwei Wochen vor Festspielbeginn lacht Katharina Wagner noch, und das, obwohl ein Dirigent, mehrere Sänger, Musiker und Choristen im strengen Bayreuther Testmodus positiv getestet wurden. „Jeden Tag fehlt jemand anders, da wird man fatalistisch“, sagt Wagner, „aber ich bin optimistisch, dass wir das wuppen – irgendwie.“

Kürzlich raunte die Zeit, dass es überall Unzufriedenheit gebe über Wagners Führungsstil, die Produktionsbedingungen, über alles! Die Klassik hat es derzeit nicht leicht: Absagen, Neuplanungen, Personalmangel – die Nerven liegen blank. Katharina Wagner macht weiter wie immer: anarchisch, fränkisch, gegen den Strom. Mit vollem Risiko.

 

Axel Brüggemanns „Bericht aus Bayreuth“:

 

Der wichtigste Davor- und Danach-­Moment im Leben von Katharina Wagner ereignete sich wohl 2008. Gemeinsam mit ihrem Schulfreund und Rechtsanwalt Stefan Müller war sie auf dem Weg nach Berlin, als das Herz des 32-Jährigen stehenblieb. Wagner gelang es, das Auto vom Beifahrersitz aus zu stoppen, leistete Erste Hilfe, verständigte den Notarzt. Vergebens. Stefan Müller starb ein Jahr, bevor sie Intendantin der Festspiele wurde. Er war ihr Spiritus Rector, hatte jenen Weg erfunden, den Wagner noch heute beharrlich geht. Müller schuf die BF-Medien, eine Tochtergesellschaft der Festspiele, durch die Wagner auch mit weniger Hausmacht gegenüber Stadt, Land, Bund und der Gesellschaft der Freunde handlungsfähig bleiben konnte. 

Ein Treffer nach dem nächsten

Während Wagner die Festspiele durch „Public Viewings“, Kinderoper und Kino­übertragungen öffnete, verwaltet die BF-Medien die multimedialen Rechte der Festspiele. Egal, ob Sponsoren, Medienpartner oder andere: Katharina Wagner ist kompromisslos (man könnte auch sagen: stur). Entweder wird nach ihren Regeln gespielt oder gar nicht. Dem Klassik-Establishment ist so viel Anderssein suspekt und es will die Bayreuther Gutsherrinnenart nicht verstehen.

Ein weiterer Davor- und Danach-Moment ist natürlich die Geburt von Katharina Wagner. Weit und breit sah Vater Wolfgang keinen geeigneten Nachfolger, Katharina wurde zur Thronerbin erzogen. Im fränkischen Schnodderstil, als kompromisslose Pragmatikerin. 

Es war ebenfalls die Zeit, die über Wagners Nachfolge orakelte, über das Ende der Wagner-Dynastie – eine Intendanz jenseits der Familie als Perspektive. Diese Hoffnungen gab es schon 2008, als Gerard Mortier und Nike Wagner gegen Katharina Wagner und ihre Halbschwester Eva antraten. Mortier hatte als Salzburg-­Intendant seinen Zenit überschritten – und Nike Wagner in Weimar und beim Beethoven-Fest in Bonn letztlich gezeigt, dass ihr jegliches Gespür für Publikum fehlt. Und Katharina Wagner? Sie kann durchaus etwas vorweisen: Sie fädelte einen heiß debattierten Schlingensief-„Parsifal“ ein, stemmte einen schönen Marthaler-„Tristan“, zeigte kongeniale Inszenierungen von Stefan Herheim („Parsifal“), Hans Neuenfels („Lohengrin“), Barrie Kosky („Meistersinger“) oder Tobias Kratzer („Tannhäuser“) und einen umstrittenen Castorf-„Ring“.

Dafür, dass man als Bayreuth-Intendantin nur eine Inszenierung pro Jahr hat, sind das ziemlich viele Treffer. Mag sein, dass es bei den Bayreuther Festspielen irgendwann ein Danach gibt, eine Zeit nach Wagner. Aber noch ist es nicht so weit.

 

Dieser Text stammt aus der August-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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