Feminismus - Barbie: Popkultur is a bitch

Einst war Barbie die Quersumme aus mildem Feminismus, aggressiver Beautypflege und mobilem Ehrgeiz am Arbeitsmarkt. Im neuen Barbie-Film von Greta Gerwig ist von all dem nur noch ein wokes Zitat geblieben. Morgen läuft der Film in den deutschen Kinos an.

Können Wokismus und Barbie zusammen funktionieren? Die Barbie-Darstellerin Margot Robbie / dpa
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Daniel Haas lebt als freier Autor in Hamburg. Zuletzt war er Kulturkorrespondent der NZZ in Berlin.

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Barbie und Ken, das Albtraumpaar aller Feministinnen, hat noch lange nicht ausgespielt. Nach 58 Millionen verkauften Puppen weltweit, nach zahllosen Debatten über den unmöglichen Body-Mass-Index von ihr und die blond-muskulöse Dämlichkeit von ihm, nach unzähligen Spin-offs im Netz als Videoclipreihe, als Blog und als Fernsehshow gibt es die beiden nun als Holly­wood-Film. 

Ausgerechnet Greta Gerwig, eine im amerikanischen Independent-Kino geschätzte und seit ihrer Regiearbeit „Little Women“ (2019) auch dem Mainstream vermittelbare Filmkünstlerin, hat die beiden für die große Leinwand fit gemacht. Fit gemacht heißt: mit ausreichend ironischem Appeal ausgestattet, dass die urbanen liberalen Publika mitlachen und sich auf angemessenem Niveau gruseln können.

Recycling durch Ironie

Die ironische Filmverwertung von Barbie lässt sich als weitere Volte einer Kulturindustrie einstufen, die sich am Ende alles einverleibt: Ideologiekritik genauso wie affirmativen Trash. Hollywood ist in dieser Hinsicht eine Story-Maschine, die einen politisch inkorrekten beziehungsweise fragwürdigen Stoff so lange durch die postmoderne Mangel dreht, bis ein leicht zu verkostendes Stück Unterhaltung für die liberal gestimmte Mittelschicht herauskommt. 

Ironisierung war irgendwann einmal eine literarische Trope (Sophisten, Oscar Wilde, Thomas Mann), dann ein ideengeschichtliches Motiv (Schlegel, Nietzsche, Rorty), heute ist sie ein Marketingverfahren. Ist ein Produkt nicht mehr in Mode, lässt es sich ironisch aufgeladen noch einmal einspeisen in den Warenkreislauf. Die ironische Umdeutung eines Motivs oder einer Figur macht sie recyclebar. Das gilt für die Disneyfizierung der großen Märchenstoffe ebenso wie für die Mobilmachung konservativer Heldenfiguren im Zeichen des Augenzwinkerns. Tom Cruise war eigentlich out, ein heteronormativer Cis-Typ, der im echten Leben Frauen drangsalierte und auf der Leinwand als phallische Menschmaschine durch Kontinente und Stratosphären schoss. Dann kamen Filme wie „Tropic Thunder“ (2008) und „Rock of Ages“ (2012), in denen er sein Rollen-Image großzügig selber karikierte, mal als durchgeknallter Producer, dann als verstrahlter Popstar mit Midlife Crisis. 

 

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Auch Darsteller wie Arnold Schwarzenegger, Jason Statham, Sylvester Stallone, Dwayne „The Rock“ Johnson, Nicolas Cage und Keanu Reeves sind vom reaktionär eingestuften Alphatyp zu ihrer eigenen Spaßversion mutiert. Ob kindlich-patziger Killer (Statham), narzisstisch verstrahlter Haudrauf (Johnson) oder mürrischer, an der Grenze zum Autismus agierender Massenmörder (Reeves): Diese Typen symbolisieren heute eine Zerrform einer als obsolet geltenden Alpha-Männlichkeit und sind gerade deshalb mit gutem Gewissen rezipierbar. Die Tauschlogik kommt gewinnbringend zu ihrem Recht: Triebabfuhr und Wokeness-Ansprüche sind für ein weltweites Publikum kein Widerspruch, wenn Keanu Reeves im schwarzen Designerzwirn ganze Hundertschaften ins Jenseits ballert, dabei aber zerknirscht dreinschaut wie ein Therapienovize beim Erstgespräch. 

Die feministische Bitch

Der entsprechende Frauentyp – die ihren Sexappeal bewirtschaftende, sonst aber dümmliche Blondine – ließ sich nicht so leicht für die neuen, liberal-feminisierten Kulturmärkte adaptieren. Anders als die Pornografie und die sexistische Folklore (Herrenwitze) hatten die neuen woken Bewusstseinsindustrien lange keine Verwendung für ein weibliches Erscheinungsbild, das im Labor paternalistischer Unterdrückung ausgebrütet schien. Bis auf vereinzelt ironische Anwendungen des Dummes-Blondchen-Motivs im Komödienkino der 2000er Jahre – Reese Witherspoon als High Heels tragende Möchtegernanwältin in „Legally Blonde“ (2001) – schien die Barbie-­Frau, verstanden als kosmetisch gepimpte, intellektuell verarmte Parteigängerin patriarchalen Unrechts, ein Auslaufmodell. 

Aber Popkultur is a bitch, insofern man bitch mit aufmüpfiger, zorniger und respektloser Weiblichkeit übersetzt. Lange bevor das Kino die sexuell offensive Zicke (eine der vielen Übersetzungen des semantisch schillernden „bitch“-Begriffs) als Modell feministischer Widerständigkeit entdeckte, machten zwei Genres vor, wie sich Emanzipation und Sex-Appeal, Kritik an den Verhältnissen und grenzpornografisches Styling kurzschließen lassen. 

Hip-Hop machte den Anfang. Rapperinnen traten schon in den 1990er Jahren als „bitch“ auf. Kosmetisch gepimpte Aggressivität war im Pop das anschlussfähige Outfit, um der männlichen Konkurrenz Marktanteile abzujagen. Wenn Brüste „das Universal­ornament des Kapitalismus“ sind, wie Peter Sloterdijk in der „Kritik der zynischen Vernunft“ schreibt, dann ist das ausgestellte Dekolleté ein Wettbewerbsvorteil. Über Kunstfertigkeit und artistisches Talent sagt der Befund erst einmal nichts aus.

Barbies in der Comedy

Es ist in dieser Hinsicht kein Wunder, dass neuere Hip-Hop-Künstlerinnen wie die Amerikanerin Nicki Minaj oder die Deutsche Shirin David von sich selbst als Barbie sprechen. Minaj, eine der erfolgreichsten Popkünstlerinnen der Welt, erklärte sich selbst zur „Rap Barbie“ und nahm mit „Barbie Tingz“ eine Hymne der Selbstermächtigung auf, wobei Ermächtigung hier als Überzeichnung und Aneignung eigentlich disqualifizierter Rollenmerkmale verstanden wird. Auch Shirin David bezeichnete sich in ihren Songs als Barbie und munitionierte sich für die Aufmerksamkeitsmärkte mit den ästhetischen Insignien jener Figur, die doch eigentlich das falsche Leben im falschen darstellte: langes blondes Haar, lasziver Schmollmund, knapper Dress. 

Die Comedy zog von den 2000er Jahren an nach. Amerikanische Stand-up-Komikerinnen wie Tina Fey, Sarah Silverman, Amy Schumer und Nikki Glaser kaperten Themen und Stillagen ihrer männlichen Kollegen. Sie rissen Zoten und lösten die Standards sexistischen Humorguts im Säurebad ihres noch sexistischeren Sarkasmus auf. Amy Schumer kommt grundsätzlich mit Miniröck­chen und blonder Barbie-Mähne auf die Bühne; ihre Gags haucht sie mit Girlie-Stimme ins Mikrofon. Aber die Pointen sind radikal: Alles, was sich die aufgeklärten Milieus an habituellen Gewissheiten erarbeitet haben, vor allem die Sensibilität einer neubürgerlich-woken Romantik, wird mit Punchlines torpediert. Schumer inszeniert sich dabei als bitchy Barbie, die ihren männlichen Counterparts in puncto narzisstischer Gier in nichts nachsteht. 

Nikki Glaser ist noch radikaler: Sie spielt das barbieeske Dummchen, das sich nach einer bürgerlichen Romanze sehnt, den Ansprüchen der entsprechenden Klasse aber so gar nicht nachzukommen imstande ist. „Letzte Nacht bist du auf meinem Gesicht gekommen und heute entfolgst du mir bei Insta? Was soll das?“: Zwischen Tinder-­Dates und One-Night-Stands spannt Glaser die fiktive Biografie ihrer Bühnenpersona aus. Und wie bei jeder guten, das heißt zeitkritischen Comedy weiß man oft nicht, ob man heulen oder lachen soll. 

Eigentlich ein konservatives Idyll

Mit Barbie made in Hollywood wird nun das letzte Bollwerk etablierter Rollenklischees geschleift. Zwar war die erfolgreichste Spielzeugpuppe der Welt über die Jahrzehnte korrekt, woke und quasi feministisch geworden – es gibt sie in multiethnischer Ausführung von kaukasisch über asiatisch und lateinamerikanisch bis zu afroamerikanisch und in nahezu allen Berufssparten (Astronautin, Ärztin, US-Präsidentin) –, sie blieb jedoch weiterhin das hübsche Girl, das Schönheitsnormen bestätigte, bestenfalls variierte. 

Die Rollenidee, für die Barbie von den 1950er Jahren an stand beziehungsweise stöckelte, ist bis heute das erzieherische Paradigma zur Anwendung der Figur. Übten sich Mädchen bis Ende der 1950er mit dem Puppenspiel für die Rolle der Mutter und Pflegekraft ein – die Puppen waren zu versorgende Babys –, wurde mit Barbie das Kinderzimmer zum Bootcamp für die kosmetisch-romantische Zurichtung. Mit Barbie und Ken kam das amouröse Szenario ins Spiel, keusch camou­fliert durch die aseptische Glätte der Figuren, aber als didaktisch-ideologische Absicht doch deutlich erkennbar. Barbie wurde schön gemacht, gekämmt und angezogen, um dann mit Ken im „Barbie Dream­house“ (ab 199,99 Euro) zu leben. Ein pink glitzerndes Wohlstands-Happy-End als Ultima Ratio einer Existenz, das sich Strukturkonservative nicht süffiger hätten ausmalen können.

Barbie war überhaupt seit jeher konservativ veranlagt. Über die Jahrzehnte hatte sie neben Ken, von dem sie sich offiziell im Jahr 2004 für ein paar Monate trennte, nur einen weiteren Partner, einen Australier namens Blaine, der aufgrund mangelnden Käuferinteresses aber schnell abgewickelt wurde. Barbie, die Quersumme aus mildem Feminismus, aggressiver Beautypflege und aufwärtsmobilem Ehrgeiz den Arbeitsmarkt betreffend, war eben nur vorstellbar an der Seite von Ken, der im selben Kaff wie Barbie aufgewachsen war (Willow, Wisconsin). Äußerlich der prototypische Vertreter binärer Männlichkeit mit großem Brustumfang, Muskeln und Colgate-Lächeln, bewährte sich Ken auch sonst als zuverlässiger Gefährte: makellose Arbeitsbiografie (Pilot, Geschäftsmann), tadelloses Benehmen, treu und Eltern aller Couleur als Schwiegersohn problemlos vermittelbar. Bis auf eine kurze Interimsphase mit Dreitagebart zu Beginn der 2000er Jahre ist Ken der bestrasierte Mann der Welt.

Die perfekte Mischung aus Wokeismus und Kapitalismus

Dass nun Ryan Gosling diesen Ken darstellt, ist eine weitere Volte im Gender-Ironiezirkus aus Hollywood: Gosling spielte sexy, von der Liebe einzuhegende Casanovas („Crazy Stupid Love“), impulskontrollgestörte und von der Liebe zu erlösende Gewaltverbrecher („Drive“) und gnadenlose, von der Liebe zu erlösende Maschinenwesen („Blade Runner 2049“). Er ist Hollywoods Vorzeigegesicht einer Maskulinität, die sich auf eine neue gendersensible Zukunft hin öffnen will, ohne Restbestände konservativen Cis-tums preiszugeben. In Greta Gerwigs Neufassung der Barbie-Welt darf er sich vom selbstidentischen Macker zum feministischen Verbündeten mausern. Augenzwinkernd versteht sich, insofern das im Kostümbild vorgesehen ist.

Die Ironisierung der Barbie-Welt ist ein Kniff, um desavouierte Rollenmodelle gleichzeitig zu bewirtschaften und abzuwickeln. Hatten sich im Barbie-Mythos über Jahrzehnte die Schwundformen konventioneller Genderideen verschanzt – Frauen sind Frauen, Männer sind Männer, Geschlecht ist zuerst biologisch determiniert, nicht sozial –, schwemmt die Ironie nun solche weltanschaulichen Normen vollends aus. Wenn schon Barbie die normativen Standards eines bürgerlichen Liebes- und Ehe-Ideals aufkündigt, gibt es an der Genderfront kein Halten mehr. Dass diese Front auch quer durch die Kinderzimmer verläuft, wird man als Kollateralschaden im Kulturkampf zwischen Traditionalisten und postmodern Diversen verbuchen. 

Ein bisschen schade ist es aber schon, denn mit der Superironie-Barbie kommt nicht nur dem Feminismus alter Schule ein lieb gewordenes Feindbild abhanden. Im immer prekärer werdenden, von Krisen und Disruptionen aufgestörten Geschlechterverhältnis wird das Rollenspiel jetzt noch ein bisschen komplizierter. Ist eine ironische Barbie am Ende nicht ideologisch vertrackter, also restriktiver, als ihr modernisierungsfeindliches Vorgängermodell? Ist ein ironischer Ken womöglich nur die nächste Bestätigung einer neoliberal getunten Identitätsidee, bei der sich merkantiles Kalkül mit marktgängiger Wokeness drapiert? 

Früher war Barbie blond und schön. Ken war naiv und stark. Jetzt treten sie in Zitathäkchen auf. Was die Popkultur spielerisch vorexerziert – von Niki Minajs Barbie-Songs über Amy Schumers Barbie-Jokes bis Greta Gerwigs Barbie-Film –, wird sich als Verhaltensstrategie durchsetzen, als kollektive Disposition. Am Ende sind wir männlich und weiblich jenseits aller symbolischen Normen. Dann sind wir Frauen und Männer in Anführungszeichen.

 

Dieser Text stammt aus der Juli-Ausgabe von Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

 

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