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Erzbischof Georg Gänswein - „Die Jubler werden sich wundern“

Der Erzbischof Georg Gänswein, Privatsekretär Benedikts XVI., dient nun ­dessen Nachfolger. Der Präfekt des Päpstlichen Hauses über neue Töne im Vatikan, falsche Hoffnungen, den Fall Limburg und natürlich George Clooney

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Hat sich Papst Franziskus schon bei Ihnen entschuldigt?

Wie bitte, wofür denn?

Im Telefonat mit einem Freund soll Franziskus die „vielen Herrscher über den Papst“ kritisiert haben, die seinen Terminkalender führten. Das wurde auf Sie als Privatsekretär Benedikts bezogen.

Aus seinem Munde habe ich, was mich betrifft, keine Kritik vernommen. Eine Entschuldigung ist nicht nötig.

Aber es gab einen radikalen Wechsel Ihrer Lebensverhältnisse, seit sich Benedikt vom Papstamt zurückzog.

Immerhin bin ich rund ein Jahr schon Präfekt des Päpstlichen Hauses. Auf dieser Ebene gibt es Kontinuität. Natürlich haben sich mein Leben, meine Aufgaben und mein Empfinden seit dem 28. Februar verändert. Am Anfang war es nicht leicht.

Welches Empfinden beherrschte Sie?

Ich spürte Schmerz, Trauer und Ungewissheit. Was würde nun kommen?

Um die Welt ging das Bild mit den Tränen des Georg Gänswein.

Mir war es wirklich hundeelend zumute, als ich in der päpstlichen Wohnung zum letzten Mal die Lichter ausgemacht habe und wir mit dem Aufzug nach unten fuhren. Da spürte ich: Es ist ein endgültiger Abschied, und der schmerzte sehr.

Franziskus fliegen die Herzen zu. Wie gelingt ihm das?

Die Frage habe ich mir schon oft gestellt. Er hat bei allem, was er tut und sagt, Rückenwind. Bei Rückenwind fliegt alles in eine Richtung. Seine Herzlichkeit ist echt und keine strategische Aktion.

Wollten die Kardinäle einen Bruch?

Diese Vermutung halte ich für abwegig. Ich weiß nicht, ob die Kardinäle alle wussten, wen sie wählen. In der Art und Weise, wie Franziskus das Petrusamt ausübt, kann ich aber keinen Bruch in der Substanz erkennen. Unterschiede in der Form gibt es, weil die beiden Päpste unterschiedliche Persönlichkeiten mit unterschiedlichen Prägungen sind.

In „Evangelii Gaudium“ fordert Franziskus eine „Neuausrichtung des Papsttums“ und eine „wirksamere weibliche Gegenwart in der Kirche“.

Die Stärke von Papst Franziskus ist sicherlich neben seiner einnehmenden Gestik seine reiche Bildersprache. Ein prägnantes Bild aber kann nie ganz die gesamte Wirklichkeit einfangen. Bei der verstärkten weiblichen Präsenz denken viele sofort an die Ämterfrage. Mir ist aber keine Äußerung von Papst Franziskus bekannt, dass er in dieser Hinsicht Änderungen vornehmen will – genauso wenig wie zuvor Papst Benedikt.

Das Diakonat der Frau wird es also unter Franziskus nicht geben.

Halte ich für ausgeschlossen.

Franziskus ruft dazu auf, in der Kirche wagemutig und kreativ zu sein. Ist er der Papst der Reformkatholiken, während Benedikt der Papst der Traditionskatholiken war?

Manche Kräfte, auch und gerade in Deutschland, möchten Franziskus gerne vor ihren eigenen Karren spannen. Ich glaube aber kaum, dass der Papst sich in seinem Pontifikat von gewissen deutschen Initiativen drängen lässt. Er hat eine andere Agenda.

Mancher reformbegeisterte Basiskatholik, der ihm zujubelt, wird merken, dass seine Blütenträume nicht reifen?

Ja. Es kann sein, dass solchen Jublern schnell der Jubel in der Kehle stecken bleibt.

Bisher waren in den Ansprachen von Franziskus drei Begriffe dominant: Barmherzigkeit, Armut und Teufel.

In der Tat haben Sie mit diesen Begriffen drei tragende Pfeiler benannt. Ich sehe darin eine Ausformung klassischer ignatianischer Spiritualität. Papst Franziskus ist Jesuit durch und durch. Er wirkt als treuer Sohn des heiligen Ignatius von Loyola. Hätte Papst Benedikt so oft über den Teufel und die Versuchung der Weltlichkeit gesprochen wie sein Nachfolger, hätte man ihm vorgeworfen, er falle hinter das Niveau eines Proseminars im Alten Testament zurück.

Aber der Aufruf zur Entweltlichung der Kirche war das geistliche Testament ­Benedikts für Deutschland.

Ja, und jeder versuchte es im eigenen Interesse zu deuten oder misszudeuten. Ich lade herzlich dazu ein, die Freiburger Rede Benedikts nochmals genau zu lesen – man mag dann erkennen: Was Benedikt forderte, löst Franziskus ein, auf ganz unkomplizierte Weise.

Die entweltlichte Kirche Benedikts ist also identisch mit der „armen Kirche für die Armen“, die Franziskus einklagt?

Die „arme Kirche“ darf man nicht missverstehen. Armut hat mit Ärmlichkeit nichts zu tun. Die Kirche muss Raum geben für das Schöne, für das Große, für das Vornehme, weil es auf Gott verweist. Papst Franziskus hat einen geistlichen, keinen soziologischen Armutsbegriff, es geht ihm um den armen Christus. Zugleich haben ihn seine Erfahrungen als Erzbischof von Buenos Aires während der schweren argentinischen Wirtschaftskrise vor einigen Jahren tief geprägt.

Benedikt war ein Papst für Europa, Franziskus ist ein Papst für Lateinamerika?

In dieser Zuspitzung halte ich das für falsch. Benedikt ist ein Papst aus Europa. Franziskus ist ein Papst aus Lateinamerika. Als Papst sind sie Hirte der Universalen Kirche. Ich denke aber, in Benedikt ist die europäische Tradition gleichsam inkarniert. Mit Papst Franziskus gelangte das erste Mal ein Lateinamerikaner auf den Petrusstuhl, ein Jesuit mit italienischen Wurzeln allerdings.

Franziskus wendet sich gegen eine „pessimistische Sicht der menschlichen Freiheit und der historischen Prozesse“. Auf den introvertierten Kulturkritiker folgte der extrovertierte Optimist.

Einspruch! Sie übersehen, dass Benedikt sehr oft von der Freude des Glaubens gesprochen hat, denn „wer glaubt, ist nie allein“. Natürlich spielt die unterschiedliche intellektuelle Formung und Erfahrung eine große Rolle auch in den geistlichen Schlachten des päpstlichen Alltags.

Kritiker sagen, Franziskus laufe Gefahr, als Papst, der zu viel plapperte, in die Geschichte einzugehen. Fast jeden Morgen hält er eine Predigt im Gästehaus Santa Marta. Andere stoßen sich an antikapitalistischen Tönen.

Wir sollten den kurzen ökonomischen Abschnitt in „Evangelii Gaudium“ nicht überbewerten. Es sind Striche zu einem Bild, das noch seiner Vollendung harrt. Die lateinamerikanische Erfahrung hat ihn gelehrt, dass ein radikaler Kapitalismus zur Verarmung breiter Schichten führt.

Franziskus nimmt sich viele Freiheiten. Engen diese Freiheiten den Spielraum seiner Nachfolger ein? Müsste sich ein künftiger Papst rechtfertigen, wenn er ins päpstliche Apartment zieht oder rote Schuhe bevorzugt?

Papst Franziskus zog nicht in die päpstliche Wohnung ein, weil sie ihm zu groß und zu „weit weg“, zu abgelegen schien. Das ist seine persönliche Entscheidung gewesen. Da habe ich nichts zu kommentieren. Glauben Sie mir, die päpstliche Wohnung ist bescheidener ausgestattet als manches Pfarr-, geschweige denn Bischofshaus in Deutschland. Aber Sie haben recht, ich glaube auch, dass diese Entscheidung in gewisser Weise eine Konditionierung für die Zukunft beinhaltet.

In Deutschland ist der Jubel über Franziskus zuweilen auch der Erleichterung darüber geschuldet, dass ein Pontifikat vorbei ist, das vor allem aus Pleiten, Pech und Pannen bestand. Ist diese Wertung ungerecht?

Sie ist nicht nur ungerecht, sie ist falsch und dumm. Natürlich gab es Schwierigkeiten, auch Missverständnisse. Aber acht Jahre als eine große Panne zu bezeichnen, ist schäbig und ehrenrührig. Im Übrigen bin ich absolut gelassen, was eine Wertung betrifft: Die Geschichte wird zu gegebener Zeit ihr Urteil fällen und die Wahrheit an den Tag bringen.

Wie lautet die Wahrheit?

Benedikt hat in hohem Alter das schwierigste Amt der Welt und ein nicht leichtes Erbe angetreten. Er hat all seine Kräfte, seine Fähigkeiten, seine Erfahrungen, seine ganze Person in den Petrusdienst hineingegeben. Schauen Sie auf die vielen Reisen ins Ausland, die unzähligen Begegnungen, die Dokumente, sein geistliches Vermächtnis, das Werk „Jesus von Nazareth“, und Sie erkennen: Benedikt hat sich verzehrt bis zum Letzten.

Von einer „Diktatur des Relativismus“ und dem Bestreben, Glaube und Vernunft zu versöhnen, hört man heute nur wenig.

Da ist Bleibendes gesagt worden, auch wenn im Augenblick beide Thematiken in den Hintergrund gerückt sind. Die Probleme aber bestehen unverändert weiter. Der Relativismus – von dem auch Franziskus spricht – ist stark wie eh und je. Und das Binom Glaube/Vernunft ist eine bleibende Aufgabe und Herausforderung.

Es waren also acht gute Jahre?

Es waren acht keinesfalls leichte Jahre für Papst Benedikt und acht gute Jahre für die Kirche und die Gläubigen.

Franziskus berührt, weil er gern die Menschen berührt, sie anfasst. Machen Sie sich im Rückblick Vorwürfe, dass Sie Benedikt nicht stärker zu solchen Gesten animiert haben?

Franziskus hat die Gabe des Berührens und auch des Berührtwerdens in das Petrusamt mitgebracht. Benedikt hat sich damit am Anfang etwas schwergetan, weil er vom Naturell her eher schüchtern ist. Auf den ersten Blick ist das der vielleicht größte Unterschied zwischen den beiden Päpsten: Franziskus rührt mit Gesten die Herzen, Papst Benedikt tat es mit Worten. Der unmittelbare Effekt einer Geste, einer Berührung ist größer. In der Zukunft wird sich zeigen, ob vielleicht das Wort, das zum Herzen dringt, nicht doch bleibende Früchte trägt.

Vorwürfe machen Sie sich also nicht.

Es war nicht meine Aufgabe, Anweisungen zum päpstlichen Leben zu geben. Ich habe versucht, den Papst in seinem Dienst zu unterstützen, ihm zur Hand zu gehen, wo immer das möglich und nötig war – nach bestem Wissen und Gewissen. Ich habe höchsten Respekt dafür, dass Benedikt im Amt seinem Stil und seinem Wesen die Treue hielt.

Viele Menschen fühlten sich durch den Amtsverzicht vor den Kopf gestoßen. Darf ein Papst wie ein Politiker oder Manager den Bettel einfach hinschmeißen?

Das ist eine saloppe Formulierung, die die Realität nicht trifft. Benedikt hat den Bettel nicht einfach hingeschmissen. Freilich gab es Menschen, die enttäuscht waren, weil sie Papst Benedikt sehr verehrt haben. Der Schlüssel zum richtigen Verständnis des Amtsverzichts liegt in den wenigen Worten, die er am 11. Februar 2013 vor den Kardinälen gesagt hat, und in seiner kurzen Ansprache am Wahlabend auf der Segensloggia am 19. April 2005: Er sei „nur ein einfacher Arbeiter im Weinberg des Herrn“, ein Instrument also in der Hand des Herrn.

Und 2013, so sagte er, kam er nach langem Ringen zur Überzeugung: Die ihm vom Herrn aufgebürdete Last, die schwere Aufgabe kann er nicht mehr länger tragen. „Heute“ brauche „das Schifflein Petri“ einen starken Steuermann. Der Schlüssel zur Deutung liegt nicht im Davonlaufen aus Unlust oder Enttäuschung, sondern in der Liebe zum Herrn und ­seiner Kirche.

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