Kurz und Bündig - Dieter Bachmann: Die Vorzüge der Halbinsel

Italien-Schwärmer sind grundsätzlich unbelehrbar: Sie haben erhabene Vorbilder, ihre Sehnsucht ist mit klassischen Zitaten gespickt und gegen jeglichen Zweifel resistent. So beschaffen schien auch der Schweizer Schriftsteller Dieter Bachmann, einstmals Repor­ter des «Tagesanzeiger»-Magazins und zehn Jahre lang Chefredakteur der Kulturzeitschrift «Du». Er ging nach Rom und arbeitete dort einige Zeit als Direktor des Schweizer Kulturinstituts; danach wollte er nicht mehr weg.

Italien-Schwärmer sind grundsätzlich unbelehrbar: Sie haben erhabene Vorbilder, ihre Sehnsucht ist mit klassischen Zitaten gespickt und gegen jeglichen Zweifel resistent. So beschaffen schien auch der Schweizer Schriftsteller Dieter Bachmann, einstmals Repor­ter des «Tagesanzeiger»-Magazins und zehn Jahre lang Chefredakteur der Kulturzeitschrift «Du». Er ging nach Rom und arbeitete dort einige Zeit als Direktor des Schweizer Kulturinstituts; danach wollte er nicht mehr weg. Er kaufte sich einen Hügel in Umbrien und baute inmitten seines riesi­gen, verwilderten Grundstücks ein Haus. Zehn Jahre lang hat er aufgezeichnet, was ihm an Beglückungen und Zum­u­tungen in Italien widerfahren ist – eine Liebeserklärung und deren Dementi zugleich. Erinnerungen an frühere Zeiten schießen ein: als die italieni­schen Migranten mit Sack und Pack in die Schweiz zogen; und aus den Augenwinkeln mustert er die Schiffbrüchigen, die heute von Afrikas Küste her den europäischen Süden überschwemmen. Diese «Suche nach Italien» ist Tagebuch und Denkstück, Beobachtungsbrevier und Reflexion eines zornigen Melancholikers, schließlich auch eine Reise durch Italien-Bilder einst und jetzt. Bachmann erweist sich dabei als ein passionierter Italiengänger mit erhobener Stimme und nervösem Unbehagen. So berichtet er, was geschieht, wenn man atavistisches Brauchtum ablehnt. Die umbrischen Jäger, die zu bestimmten Zeiten alles abknallen, was ihnen vor die Flinte kommt, egal ob Wildschwein, Hase oder Singvogel, betrachten den Siedler auf seinem Latifundium als Eindringling in ihr Revier und zei­gen es auch: Brennende Wald­stücke, durchtrennte Zäu­ne, vergif­tete Haushunde sind massive Zeichen. Der lästige Auslän­der rächt sich mit Breitseiten über die «Seelenblindheit», die «partielle Insuffizienz des moralischen Wahrnehmungsapparates» und die Mafia-Hörigkeit in Italien. «Wer ist hier Barbar» lautet der Titel eines der Kapitel – der Feuilletonist wird zum Ankläger. Im Schluss-Teil häufen sich dann die politischen Nachrichten aus der Zeitung. Viele dieser No­tate kreisen um die notorische Verspätung der Gesellschaft, um die Clownerien der italienischen Politiker, allen voran Berlusconi, um die schwierige Halbinsel, die europäischen Anforderungen gegenüber immun erscheint. In diesem Teil sind komische oder absurde Episoden selten, die Verstörung des Chronisten nimmt überhand. Seine Bewunderung dagegen gilt einem Italien auf Zelluloid: Bachmann hat dem Buch eine Liebeserklärung an den Regisseur Federico Fellini eingeschrieben. Seinen eigenen Zustand bezeichnet er als «Italienvergiftung», am Ende verwandelt er sich in einen bissigen Leitartikler. Dennoch ergeben die Notate einen vielstimmigen Essay mit einer Mischung aus Hingerissenheit, Zweifel, Konfrontation, Wut, Behagen und einer nie ganz zu stillenden Zuneigung.


Dieter Bachmann
Die Vorzüge der Halbinsel. Auf der Suche nach Italien
Marebuchverlag, Hamburg 2008. 254 S., 19,90 €

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