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() Ariadne von Schirach mit ihrem Buch:
Die sexuelle Revolution frisst ihre Kinder

Wir leben in einer sexualisierten Kultur, sagt Ariadne von Schirach, Autorin des heftig ­diskutierten Erfolgsbuchs „Der Tanz um die Lust“. Und beklagt die Allgegenwart der Alltagspornografie, die uns zu „Augensklaven“ und unfreiwilligen Kollaborateuren erotischer Hierarchien mache.

Lesen Sie auch: Frank A. Meyer: Über Feuchtgebiete Bettina Röhl: Die Sex-Mythen des Feminismus Christine Eichel: Jenseits von Kuschelsex Sie trägt den dunklen Bikini mit fröhlicher Duldsamkeit. Ihre schlanke Gestalt bewegt sich unbefangen, sie lächelt. Er geht neben ihr, sein nackter Oberkörper wirkt trotzig, als hätte er sich noch nicht daran gewöhnt, besehen zu werden. Aber auch er lächelt, man muss doch vergnügt sein, man hat es fast in die Endrunde geschafft. Die beiden treten vor ein kleines Arrangement aus Palmen, sie legt sich auf den Boden, er lehnt an einem Palmenstamm, die Kamera hält auf sein Gesicht, er versucht, verführerisch und männlich zurückzublicken. Die aufgegelten Haare wirken ein bisschen frech. Sie liegt immer noch auf dem Boden, räkelt sich zur Kamera hin, ihr Mund verzieht sich, die Augen werden dunkel. „Sprühst du sie jetzt ein?!“, sagt die Moderatorin. Er greift nach einer Wasserflasche, ein bisschen unbeholfen, das Mädchen nickt nachgiebig, Männer eben. Ihre Haut beginnt zu glänzen, die Kamera zoomt näher an ihr Fleisch. „Und jetzt er!“, sagt die Moderatorin. Es ist Sonntagabend, ich sitze vor dem Fernseher, spaziere mit der Fernbedienung durch die Möglichkeiten, unterhalten zu werden. Auf VIVA bleibe ich hängen. „Are U Hot“, die vorletzte Runde. „Zeig, was du hast“ heißt die Devise, am Ende werden das heißeste Mädel und der coolste Typ Deutschlands gekürt. Ist das männliche Äquivalent zu „sexy“ eigentlich „cool“, frage ich mich kurz. Wollen die nicht auch sexy sein, oder klingt das einfach besser, „cool“, da kann man wenigstens noch das Gesicht wahren vor seinen Kumpels. 120 Bewerber haben sich bemüht, eine dreiköpfige Jury aus abgehalfterten Showmenschen von ihrem Sexappeal zu überzeugen. Und von ihrem Gesicht und ihrem Body. Aus diesen drei Aspekten setzt sich, laut Eigenwerbung des Senders, Hotness zusammen. Aber wirklich interessant ist, dass ich in der ersten Sekunde, nach dem ersten Bild verstanden habe, worum es geht. Dass die Bewerber, schüchtern oder forsch, genauestens wissen, was hier verlangt wird. Dass die Jury eindeutige Kriterien hat, die auch dem Zuschauer sofort und unerbittlich einsichtig sind, was es hier zu bewerten gilt. Die Sexiness. Wie sicher wir schon wissen, was das ist, wie das auszusehen hat, wie sich ein sexy Körper bewegt, was eine sexy Attitude ist, welche Qualitäten dieses Wort fordert. Hot or Not. Eins oder Null. Entweder sexy oder nicht, ein bisschen sexy reicht nicht, nur als Trostpreis für die junge Frau, deren Gesicht zwar nur eine „5“ bekommen hatte, aber „geiler Körper, ’ne glatte 10“. Nein, so einfach ist das nicht mit der Sexiness. Aber woher wissen wir das denn? Woher kommt die riesige visuelle Datenbank, die, sofort abrufbar, eben dazu führt, dass wir genauestens wissen, welche Posen verlangt sind, wie man zu blicken hat, auf welche Weise sich ein Weibchen im Badeanzug verhalten soll? Am Anfang steht ein Problem. Und ein Versprechen. Und wir sind nicht mehr beim Musikfernsehen, sondern da, wo es nicht um Sexiness geht, sondern um Sex. Beim Porno. Lust. Was ist Lust? Eine Empfindung, ein Gefühl, ein gerichtetes Verlangen. Und vor allem – ein Zustand, etwas, das sich in uns abspielt. Und hier ist das Problem. Wie macht man etwas sichtbar, das eigentlich unsichtbar ist? Zunächst sucht man nach Korrespondenzen, nach äußeren Anzeichen, die ein inneres Geschehen verraten. Bei den Männern ist das relativ einfach, offensichtlich geradezu. Aber bei den Frauen? Was tut eine Frau, die Lust empfindet? Sie stöhnt? Sie windet sich, manchmal? Sie verzerrt das Gesicht? Nein, nein, das ist alles nicht genug, wir brauchen visuelle Eindeutigkeit. Konventionen müssen her, aber schnell. Was passiert? Eine individuelle Sprache, ein Unsagbares, Vielschichtiges und Zeitloses muss ans Licht gezerrt und verallgemeinert werden. Das Licht, das ist die Kamera. Die Regeln sind die des Bildes. Die Bausteine, das sind die nach den Regeln der Sichtbarkeit neu geordneten Fragmente des Lustkörpers. Geschlechtsteile. Säfte. Münder. Und die Choreografie? Hier kommt das Versprechen ins Spiel. „Alles ist echt. Garantiert.“ Echter Sex, echte Orgasmen. In diesem Koordinatensystem entspannt sich die Logik des Porno, die immer eine Logik der Sichtbarkeit ist. Und diese Logik ist auch die Logik unseres Blicks. Wir glauben, was wir sehen, wir sind Augensklaven. Und dankbare Kollaborateure. Wir meinen, wir sehen da zwei, drei, mehrere Menschen beim Sex. Falsch. Wir sehen Sexarbeiter, Virtuosen der gemachten Lust, die Sex produzieren. Aus der Notwendigkeit der Visualisierung wurde eine Konvention des Sexuellen. Aha, wissen wir nun, so hat das auszusehen, so bewegt man sich, und so hat das aufzuhören. Das Männchen verlässt die Szenerie niemals ohne „Beweis“. Bei den Frauen zuckt dann immer der Bauch, sagt Jenna Jameson, Pornostar. Willkommen in der Datenbank. Aber ist das denn so schlimm? Jetzt wissen wir wenigstens, wie wir’s anstellen müssen. Und haben ein globales Bezugssystem, das es dem Einzelnen leicht macht, selbst Sex zu produzieren. Oder Sexiness. Und man darf das nicht alles der Pornoindustrie zugutehalten. An der visuellen Konvention wurde jahrzehntelang gebastelt, das ist echte Teamarbeit. Die süßen Pin-ups der fünfziger Jahre. Die Posen der Badeanzugmodels. Die Pornoindustrie war natürlich immer am eifrigsten, weil sie Sex verkauft und ihr Produkt optimieren muss, wir sind ja schließlich in der freien Marktwirtschaft. Die andern verkaufen Sexiness, die anständige kleine Schwester. Die man sogar den Eltern vorstellen kann. Sexiness bedient sich der hart erarbeiteten Posen des Porno, nur sind die Körper meist noch bekleidet. Und haben nicht drei Minuten später Geschlechtsverkehr. Aber das Mündchen, das spitzt sich in derselben frohen Erwartung. Und vor allem – Sexiness verkauft sich gut. Mit Sexiness verkauft es sich gut. Das hat sich herumgesprochen. Und da wir mittlerweile auch uns verkaufen müssen, gut verkaufen meine ich, die Konkurrenz schläft nicht, wollen auch wir sexy sein. Überhaupt alles will, soll sexy sein. Das neue Auto, das neue Video von Britney Spears, wenn sie sich endlich wieder in den Griff kriegt, das neue hippe Mischgetränk mit Guave-Cranberry und Zero Kalorien. Sexiness ist ein Statussymbol, weil Sex ein Statussymbol ist, und Sexiness auf eben diese Begehrenswürdigkeit verweist. Und das – das ist verdammt glamourös. Begehrt zu werden, ist das ultimative Endziel, der letzte Wert, nachdem alle übrigen Werte entwertet wurden. Sexy heißt jung, schön, schlank und irgendwie durchtrieben. Aber hey – das Business ist hart. Nicht so hart wie das Pornobusiness, aber wir sollten nicht vergessen, wo die Bilder herkommen. Hot or Not, Baby, so sieht es aus. Entweder du gibst ein gutes Bild ab, oder du darfst nicht mitspielen. Aber, mach dir keine Sorgen. Hast du schon von dem neuen Mischgetränk mit Guave-Cranberry gehört? Macht sexy, ganz sicher. Oder kauf dir was Neues zum Anziehen. Und nimm endlich ab! Sexiness ist kein Spaß, obwohl der Riesenfun, den das alles bringen soll, ständig propagiert wird, sondern eine Heidenarbeit. Und weil sich mittlerweile auch noch der letzte Dreck mit Sexiness verkauft, sind nackte und begehrenswerte Körper omnipräsent geworden. Ganz zu schweigen von dem massiven Pornoangebot im Internet und der schleichenden Sexualisierung von allem und jedem. Und was macht der Mensch, der staunend davorsteht? Im besten Fall verhält er sich dazu, geht kreativ und ironisch mit der Ware „Körper“ und der unvermeidbaren Differenz zwischen Ideal und Wirklichkeit um. Im schlechtesten Fall reproduziert er dieses ausgefeilte Wertesystem, und weist sich automatisch einen Platz zu. Gut geht es den Jungen, Schlanken, aber die anderen, die Älteren, Unschöneren, die haben schon verloren. Das ist das Problem mit der Sexiness. Zum einen produziert sie ein Schema, das nur Inklusion-Exklusion zulässt. Zum anderen ist das Zeitfenster mehr als grausam. Und trotzdem scheint sie gerade der Wert der Werte zu sein. Das erzeugt einen massiven Druck. Und eine Kultur des Fakes. Denn Sex­iness ist, anders als der Sex des Porno, ein Versprechen, das nicht erfüllt wird. Ein Verweis, dem keine Taten folgen. Das Mädchen und der Junge bei VIVA werden nicht übereinander herfallen, wenn die Lichter ausgehen. Frauen, die T-Shirts tragen, auf denen „Schlampe“ steht, sind meistens keine. Sie haben nur einen schlechten Geschmack. Das ist ein kleines bisschen schizophren, Verpackung und Inhalt passen nicht mehr zusammen. Aber woran liegt das, warum ist sie so wünschenswert, die Sexiness? Hier kommt der Glamour ins Spiel. Irgendwie ist man sich halt gerade einig, dass es gut und richtig und wichtig ist, sexy zu sein. Dass diese Eigenschaft ein Wert an und für sich ist, sich sozusagen selbst trägt. Da haben wir nun die einen, die zwar aussehen, als könnte jederzeit eine Stimme sagen: „Und Action!“, solch ein Ansinnen jedoch empört zurückweisen würden. Und dann gibt es die anderen, die, denen die Distanz völlig abgeht. Die die pornografische Sichtbarkeitskonvention für bare Münze halten, die manchmal sexy sind, aber vor allem Sex haben, Sex wollen, Pornosex, das echte, überechte Ding. Das sollte man gleich filmen. Hier wird es bitter. Denn auf dem langen Weg vom Unsichtbaren zum Sichtbaren geht notwendig etwas verloren, eigentlich alles, was den Sex ausmacht. Zärtlichkeit, Humor, Respekt, Kreativität und Liebe. Das wäre wirklich zu viel verlangt, das auch noch abbilden zu wollen, Pornos sind ein Geschäft, in dem nur das Ergebnis zählt. Und hier tappen wir in unsere eigene Falle, in die Augenfalle. Zuerst sollten die Images die Wirklichkeit nachstellen, sollte es echt sein, überecht sogar. Aber weil das so ungemein gut gelungen ist, werden die Bilder zum Status quo. Und wir? Wir glauben an die Bilder, wir müssen ihnen glauben, weil wir nicht anders können. Und gleichzeitig geht ein mimetischer Sog von diesen hart erarbeiteten Bildern aus. So sieht es aus. So soll es sein. So sollen wir sein. Der mediale Backlash. Unsere Wahrnehmung ist geeicht, trainiert, längst sind die Ikonografien in uns, hat jeder Zugriff zu einer visuellen Datenbank, die es auch mir, müde, an einem Sonntagabend sofort ermöglichte, das „Hot or Not“-Spiel zu spielen. Die Eindeutigkeit der visuellen Forderung generiert eine Art perverser Objektivität. Und eben diese Objektivität erzeugt einen perversen Druck. Und ein unlebbares Menschenbild, das wird einem wieder bewusst, wenn man von Jugendlichen hört, die Pornos nachspielen. Die nehmen das ernst, total ernst. Die – kennen nichts anderes. Und genau das ist das Problem mit der Sichtbarkeit. Wir müssen realistisch bleiben. ­Diese Bilder, die werden wir nicht mehr los. Dafür sind sie zu ausgefeilt, zu glamourös, zu vordergründig erregend. Und es steckt einfach zu viel Arbeit drin. Das ist ein Teil unserer selbst geschaffenen Wirklichkeit, und wir müssen damit umgehen. Der Punkt ist nicht, dass es Porno gibt, sondern dass es gerade nur Porno zu geben scheint, Porno und Sexiness, wohin das Auge blickt. Wir brauchen Gegenbilder. Es kann nicht angehen, dass Glamour und Begehrenswürdigkeit sich nur in diesem kleinen Koordinatensystem abspielen. Ich finde Klugheit sexy, Bildung, Charme, Charakter. Der Glamour muss wieder nach innen wandern, weg vom Körper, hin zum Geist; hey, es wird Zeit, die Sexiness zu instrumentalisieren. Education is sexy. Philosophy is sexy. Respect is sexy. Nun, das ist nur mein persönliches Lieblingsprojekt. Viel wichtiger ist, bewusst und spielerisch mit diesen Bildern umzugehen. Sie nicht zu verteufeln, sondern ihnen etwas entgegenzustellen. Einzigartigkeit. Kreativität. Verführung. Das Unsichtbare, sich der Verbildlichung Entziehende. Die Würde des Körpers. Die Würde des Begehrens. Unsere Würde. Viel Vergnügen. Ariadne von Schirach studierte Philosophie in München und Berlin, im März erschien ihr Buch "Der Tanz um die Lust" im Goldmann-Verlag. Die Autorin lebt in Berlin

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