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Sterbehilfe - Der Staat als Tötungsspezialist

Der Tod ist eine höchst private Angelegenheit, sollte man meinen. Doch fast wäre er zur Staatsaktion geworden. Der vorzeitige Tod als Dienstleistung für alle, ausgeführt von staatlich geprüften Fachleuten

Alexander Kissler

Autoreninfo

Alexander Kissler ist Redakteur im Berliner Büro der NZZ. Zuvor war er Ressortleiter Salon beim Magazin Cicero. Er verfasste zahlreiche Sachbücher, u.a. „Dummgeglotzt. Wie das Fernsehen uns verblödet“, „Keine Toleranz den Intoleranten. Warum der Westen seine Werte verteidigen muss“ und „Widerworte. Warum mit Phrasen Schluss sein muss“.

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Am Ende dieses Monats sollte der Bundestag ein Gesetz zur Sterbehilfe beschließen. Weil der Entwurf der Justizministerin in den Reihen von CDU, CSU und FDP nicht mehrheitsfähig war, wurde die Abstimmung auf unbestimmte Zeit verschoben. Was nach dem üblichen kleinen Karo streiterprobter Koalitionäre aussieht, könnte sich langfristig als menschenfreundlichste Tat dieser Legislaturperiode herausstellen. Das Gesetz hätte nämlich verrechtlicht, was noch gar nicht begriffen ist: die Sterbehilfe. Das Gesetz hätte Fakten geschaffen, ohne die Abgründe dieser Fakten auszuloten.

Keineswegs leuchtet es ein, warum das Sterben zu Beginn des 21. Jahrhunderts ein Vorgang sein soll, der der Hilfe bedarf. Zu Tode kommt jeder Mensch – und dank avancierter Palliativmedizin fast nie unter schlimmen Qualen. Das Schreckensszenario, das die Sterbehilfebefürworter grell ausmalen, bleibt in weiten Teilen Fiktion, und Anteilnahme lässt sich sowieso nicht kodifizieren. Noch weniger leuchtet es ein, weshalb eine Gesellschaft, der es so gut geht wie nie zuvor und vielleicht nie wieder, den Tod von einem intimen, höchst individuellen Abschied zu einer Staatsaktion machen soll. Das im gescheiterten Gesetzentwurf intendierte Verbot „gewerblicher“ Sterbehilfe hätte die „organisierte“ Sterbehilfe als Königsweg der Lebensbeendigung inthronisiert. Dadurch, so der Medizinethiker Axel W. Bauer jüngst im „Deutschlandfunk“, hätte man die organisierte Suizidbeihilfe geradezu geadelt. Ein flächendeckendes Netz staatlich geprüfter Sterbeexperten und Tötungsspezialisten entstünde.

Der neu gefasste Paragraph 217 im Strafgesetzbuch würde zur „diskreten Ermahnung, sich jederzeit zu überlegen, ob man nicht bald gehen sollte“ – befürchtet der Publizist Andreas Krause Landt in seinem soeben erschienenen Essay „Wir sollen sterben wollen“. Warum aber will der Staat mit diesem Ansinnen an seine Bürger herantreten? Laut Landt sind „Pflegenotstand, Fachkräftemangel und explodierende Krankenkosten“ die wahren Treiber der Bestrebungen, den vorzeitigen Tod zur Dienstleistung für alle zu machen. „Wer wird noch weiterleben wollen“, fragt er, „wenn er erfährt, dass die Verwandten bereits ‚unverbindlich‘ Kontakt zu einem Sterbehilfeverein aufgenommen haben?“ Offenbar soll die Sterbehilfe ein kollabierendes Gesundheitssystem entlasten.

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Aber sind es etwa nicht Lebensmüde, deren freier Wille durch Sterbehilfe umgesetzt werden soll? Nein, keineswegs. Axel W. Bauer weist darauf hin, „dass weit über 90 Prozent aller Suizidenten letzten Endes unter einer klinischen Depression leiden.“ Sie befänden sich „in einer ausweglosen Lage, in der sie Hilfe bräuchten und nicht (…) den kostenlosen Todesstoß.“ Den Staat ficht derlei nicht an. Er trägt der „dramatischen Verschärfung des ökonomischen Klimas“ (Landt) Rechnung, wenn er den Tod auf Bestellung in sein Tugendportfolio aufnimmt. Die Unbedenklichkeit, mit der „nahestehende Personen“ über den vermuteten Lebenswillen des Moribunden urteilen sollen dürfen, spricht Bände. Verbürgt Nähe etwa automatisch lautere Gesinnung, edle Motive, menschliche Einfühlung? Auch aus erbender Nähe kann der Ruf erschallen: Lass dich doch abholen.

Vorerst wird dieses Szenario nicht Wirklichkeit. Eine Atempause ist gewonnen. Sie sollte klug genutzt werden. Das Reden über den Tod berührt eine Gesellschaft an ihren vitalsten Stellen. Sterbehilfe, diese „Euthanasie an Selbstmordkandidaten, die nicht die Kraft zum Selbstmord haben“ – so noch einmal Landt –, hat einen desto verführerischeren Klang, je stärker sich der Einzelne lebenslang als hilfsbedürftig, abhängig, wenig autonom empfindet. In einer guten Gesellschaft gäbe es hie und da den Suizid als singuläre Tat der Wenigen und ansonsten ein starkes Zutrauen zum Leben, ein Vertrauen, nicht allein gelassen zu werden, ein Besinnen auf sich selbst. Ein Staat, der im Namen vermeintlicher Autonomie das Räderwerk der Gesetze in Gang bringt, zementiert die Abhängigkeiten, von denen er sich nährt. Jede organisierte Sterbehilfe festigt die Strukturen der Unfreiheit.

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