„Der autoritäre Terror“ von Ben Shapiro - Der Gottseibeiuns des woken Amerikas

Der Autor Ben Shapiro gilt als rechter Superstar im Kampf gegen linke Umtriebe in den USA. Nun ist sein jüngstes Buch auf Deutsch erschienen. Besonders ein Gedanke schwingt nach der Lektüre noch länger nach.

Ben Shapiro bei einem seiner Vorträge / picture alliance
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

Ben Shapiro hat ein Buch geschrieben. Sechs Wörter, die nicht nur einen einfachen Sachverhalt beschreiben, sondern in ihrer Komposition wie das Epizentrum eines Erdbebens wirken, das kurz darauf als Tsunami Teile des Festlandes trifft; des amerikanischen Festlandes wohlgemerkt. Denn Shapiro ist der Gottseibeiuns des woken Amerikas. Wo er auftritt, wird lautstark bis gewalttätig protestiert, weil er sagt und schreibt, was er denkt, und sich nicht darum schert, dass schon seine bloße Existenz bei großen Teilen der Linken als Provokation empfunden wird. 

Es ließe sich länger diskutieren, ob es in Deutschland so etwas wie einen „kulturellen Bürgerkrieg“ (Norbert Bolz) gibt. Verglichen mit den USA ist die Stimmung hierzulande aber geradezu versöhnlich. Und das hat auch mit Leuten wie Shapiro zu tun; mit Konservativen, die sich nicht hinter ihrem Weltschmerz verstecken und nur hier und da ein bisschen gegen den Strich bürsten, aber bloß nicht zu sehr. Shapiro gießt seinen Unmut in ganz viele Kugeln, mit denen er rhetorisch brillant und überaus selbstbewusst auf die politische Linke feuert. Und Shapiro ist, obwohl erst 38 Jahre jung, so etwas wie der erste Offizier am Geschützturm dieser neuen Garde rechter Publizisten, die für sich beschlossen haben, dass Angriff die beste Verteidigung sei im „Land of the Free“. 

Der Zeitgeist einer dauerempörten Minderheit

Kürzlich ist Shapiros jüngstes Buch auf Deutsch im Langen Müller Verlag erschienen. Es heißt in der Übersetzung „Der autoritäre Terror – Wie Cancel Culture und Gutmenschentum den Westen verändern“. Im Originaltitel ist nicht von „Terror“ die Rede, sondern vom „autoritären Moment“, den „the Left“ nutzen würde, um sich institutionell gegen „Andersdenkende“ in Stellung zu bringen. Ungeachtet dessen, ob der Titel der deutschen Übersetzung abgesprochen war mit Shapiro – was zumindest über ein, zwei Ecken der Fall sein dürfte – ist der Autor ohnehin der Letzte, der sich am Begriff „Terror“ auf dem Cover seines Buches stören würde.
 

Das könnte Sie auch interessieren:


Denn bei der Lektüre wird rasch deutlich: Shapiro wähnt sich im Krieg gegen alles Woke, gegen Political Correctness, gegen die Critical Race Theory und mehr, deren Vertreter die Vereinigten Staaten bereits an den Rand des autoritären Abgrunds geführt haben sollen. Shapiro schreibt in seinem Buch an gegen sehr viele einflussreiche Leute in den Medien, in Hollywood, in der Wirtschaft, in der Politik und an den amerikanischen Universitäten, wo viele der woken Ideen nicht nur ihren Ursprung haben, sondern längst auch deutlich massenkompatibler sind als hierzulande. Shapiro fragt: 

Was wäre, wenn die größte autoritäre Gefahr für Amerika nicht von den bösen Verschwörungstheoretikern, Schwachköpfen und Kriminellen ausginge, die das Kapitol gestürmt hatten? (...) Was, wenn die größte autoritäre Gefahr für die amerikanische Freiheit von ganz woanders herkäme? (...) Was, wenn die größte autoritäre Gefahr in Wirklichkeit von einer Herrscherklasse ausginge, die die Werte von halb Amerika verachtet, und von Institutionen, die diese Klasse kontrolliert?

„Facts Don't Care about Your Feelings“

Shapiro ist jüdischen Glaubens und wurde in Kalifornien geboren. Im zarten Alter von 17 Jahren hatte er bereits eine landesweite Kolumne. Er ist Absolvent der Harvard Law School und Gründer der Nachrichtenseite The Daily Wire, deren Chefredakteur er nach wie vor ist. Seine „Ben Shapiro Show“, ist zu lesen, sei der meistgehörte konservative Podcast der USA. Bücher von ihm stehen auf den Bestsellerlisten. Außerdem tritt er regelmäßig unter anderem an Hochschulen auf. Es sind diese Auftritte, die ihn berühmt und berüchtigt gemacht haben, exportiert über die sozialen Medien auch über die Grenzen der Vereinigten Staaten hinaus. 

Auf YouTube zum Beispiel finden sich zahlreiche Mitschnitte seiner Auftritte. Das Prinzip ist immer das gleiche: Shapiro stellt sich seinen Kritikern vor Publikum – und rammt sie anschließend mit der Macht der Argumentation ungespitzt in den Boden. Auftritte wie diese sind freilich keine Debatten im eigentlich Sinne, sondern gehören zur Shapiro-Show, die sogar einen eigenen Slogan hat: „Facts Don't Care about Your Feelings.“ 

 

 

Shapiro weiß, dass er als intellektueller Goliath zumeist auf angehende akademische Davids trifft, die im direkten Duell eigentlich nur verlieren können; selbst, wenn sie ihre Argumente durchdacht und halbwegs stolperfrei vortragen können. Das hat dann was von Schauprozessen, zu denen Shapiros Unterstützer, und das sind nicht wenige im jeweiligen Publikum und an den Bildschirmen zuhause, jubeln und klatschen. 

Schweigende Mehrheit soll laut werden

Die Grundthese in „Der autoritäre Terror - Wie Cancel Culture und Gutmenschentum den Westen verändern“ lautet also, dass nicht die politische Rechte die Freiheit der US-Amerikaner bedroht, sondern eine autoritäre Linke, die sich antifaschistisch nennt, in ihrem Kampf um die Deutungshoheit aber faschistische oder, sagen wir, antidemokratische Mittel nutzt. Und nur, glaubt Shapiro, wenn die schweigende Mehrheit ihre Stimme erhebt, lässt sich das demokratische Amerika vor einem linken Autoritarismus retten, der den Menschen, vorschreiben wolle, wie sie zu reden, zu denken und zu handeln haben. 

In seinem Buch blickt der Autor zurück in die vor allem jüngere Geschichte der USA, um aus seiner Perspektive aufzuzeigen, woher die große Akzeptanz für das angeblich bedingungslose Gute in den USA herrühren könnte. Shapiro erzählt von einer „Renomierung“ amerikanischer Institutionen, die nicht von heute auf morgen geschehen sei, sondern schleichend. Shapiro schreibt: 

„Die Linke hat Jahrzehnte damit verbracht, einen Großteil der Amerikaner allmählich zu unterdrücken und die Konservativen darin zu bestärken, sich selbst zu unterdrücken. Dieser Prozess begann mit einem Appell an die Höflichkeit. Aus diesem Appell wurde eine Forderung, die Forderung nach Schweigen. Und aus dieser Forderung wurde ein Befehl: Befolgen! Wiederholen! Glauben!

Doch bei der Wehklage über den Status quo bleibt es nicht in diesem Buch. Shapiro will mehr: Er will, und das ist keineswegs übertrieben formuliert an dieser Stelle, dass sich das amerikanische Volk erhebt gegen seine „woken Herrscher“. Es ist nur ein Begriff von vielen, über die man als Deutscher bei der Lektüre dieses Buches stolpert. Entweder der deutschen Übersetzung oder den Gedanken des Autors geschuldet. Wahrscheinlich ist es eine Mischung aus beidem. 

Weniger Angst, mehr Mut

Selbst wenn man Shapiros Analyse im Grunde (oder zumindest teilweise) teilt, wirkt die deutliche Kampfansage an das woke Amerika, das mitschwingt in fast jeder Zeile dieses Buches, hier und da überzogen; ein bisschen wie Mel Gibson im Film „Braveheart“, der seinen schottischen Kriegern vor der nächsten Schlacht gegen die englischen Unterdrücker zuruft: „Was würdet ihr tun, ohne Freiheit!“ Aber auch das ist Teil der Shapiro-Show. Und Zur Wahrheit gehört eben auch, dass intellektueller Streit in den USA anders funktioniert als in Deutschland: In Amerika ist er offensiver und aggressiver. In Amerika ist er weniger Kaminabend als Superbowl.

Shapiro hat verstanden, was das für die publizistische Marke „Ben Shapiro“ und für seine Werbung in eigener Sache bedeutet. Gute Argument, von denen Shapiro viele hat im Arsenal, sind das eine. Doch ohne das Entertainment, ohne das Tschingderassabum drumherum, würde es vielleicht verpuffen in den endlosen Weiten des Landes und des Internets. Und das ist dann auch, was von der Lektüre von „Der autoritäre Terror - Wie Cancel Culture und Gutmenschentum den Westen verändern“ für den Nicht-Amerikaner hängenbleibt, sich als Gedanke verselbstständigt und irgendwann löst vom Werk.

Nämlich die Frage, ob die liberale bis konservative oder, sagen wir, die bürgerliche Publizistik in Deutschland noch zu brav ist, zu zurückhaltend, zu höflich, weil das Laute und Bedingungslose andere besser können, die Linke und die Ränder, auch Rechtsaußen, nämlich. Oder wie Focus-Kolumnist Jan Fleischhauer im Vorwort für die deutsche Übersetzung dieses Buches schreibt: „Wenn mir eines gefällt, dann ist es die Unerschrockenheit, die seine Auftritte auszeichnet. Ich würde mir wünschen, wir hätten auch in Deutschland mehr Leute, die sich nicht bei jedem Satz überlegen, ob den irgendjemand übelnehmen könnte. Weniger Angst, mehr Mut: Das täte uns allen gut.“ Da ist schon was dran.

Anzeige