Den Geschmackshorizont erweitern - Orange-Wein: Ein lohnender Selbstversuch

Unser Genusskolumnist ist ein großer Weinfreund, steht aber Modewellen in der Weinwelt eher skeptisch bis ablehnend gegenüber. Das betrifft auch „Orange-Wein“. Jetzt hat er sich da wieder mal herangewagt – und war positiv überrascht.

Orange-Wein aus dem Elsass passt perfekt zu Flammkuchen von ebendort / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Wenn ich auf Weine stoße, die mit Namen wie „Zen“, „Eden“ oder „Chaudes Lumières“ (warme Lichter) versehen sind, löst das bei mir in der Regel keinerlei Interesse aus, sie zu probieren. Im Gegenteil: Ich habe zwar ein gewisses Verständnis dafür, dass sich Winzer angesichts der schwierigen Lage auf dem Weinmarkt einiges einfallen lassen müssen, um noch irgendwie aufzufallen. Aber muss man dafür wirklich so tief in die esoterische Mottenkiste greifen? Unwillkürlich hat mich das auch an einen mir persönlich bekannten Winzer erinnert, der gerne erzählt, dass er sich manchmal in seinen Weinberg setzt, um den Reben zuzuhören. Die teilten ihm dann mit, wie es ihnen gehe und was er gegebenenfalls für sie tun könne. Hmmhh …

Biodynamie – alles ein bisschen mysteriös

Wenn ich einen Wein trinke, möchte ich jedenfalls weder fernöstlich erleuchtet noch ins Paradies katapultiert werden. Dennoch haben diese drei Weine mein Interesse geweckt, denn sie kommen von der im Alsace beheimaten Domaine Jean Paul Schmitt, deren Weine mich in den vergangenen Jahren einige Male regelrecht begeistert haben.

Schmitt bewirtschaftet seine Weinberge biodynamisch, nach Demeter-Richtlinien. Das bedeutet unter anderem Verzicht auf chemisch-synthetische Pflanzenschutzmittel und eine artenreiche Begrünung der Weinberge, was den Böden und den Rebstöcken zweifelsohne guttut. Weniger überzeugt bin ich dagegen vom Vergraben von Kuhhörnern, die mit Kuhmist oder gemahlenem Hornkiesel gefüllt werden. Ein halbes Jahr haben sie laut Demeter in der Erde Zeit, „kosmische Kräfte und die Energie der tierischen Hülle zu sammeln“. Später verrührt man den Mist rhythmisch in Wasser und verwendet dass dann als Spritzpräparat.

Aber immerhin bin ich mir sicher, dass das den Reben und den Böden nicht schadet. Und wenn Biodynamie-Forscher wie Uli Johannes König beim Rühren der Spritzpräparate im Wasserfass eine „innere Verbundenheit mit allem Lebendigen“ sowie „ein geistiges Wirken, das wir nur unzureichend verstehen können“ verspürt, dann sei das ihm und allen Anhängern dieser Bewirtschaftungsweise von Herzen gegönnt.

Bisher eher schlechte Erfahrungen mit „Orange-Wein“

Zurück zu den eingangs erwähnten „göttlichen“ Weinen von Schmitt. Denn die wurden nicht nur biodynamisch kultiviert, sondern auf eine Art verarbeitet, die bei mir nahezu traumatische sensorische Erinnerungen weckt. Es geht um Orange-Wein, wo die Beeren eben nicht wie bei Weißwein sonst üblich gleich nach der Lese zu Most gekeltert und dann mit Hefen vergoren werden, sondern eine gewisse Zeit zusammen mit den Schalen und manchmal auch den Stielen und Kernen, was auch für die oft orange Farbe sorgt. Und vor allem unter Inkaufnahme einer gewissen Oxidation, was bei „normalen“ Weinen unbedingt verhindert werden soll.  

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Das ist ein äußerst schmaler Grat und erfordert neben absolut gesundem Lesegut auch großes önologisches Können. Wenn es schiefgeht, kommen Weine auf die Flasche, die regelrecht faulig schmecken und eigentlich ungenießbar sind. Was aber während der glücklicherweise allmählich abebbenden Orange-Modewelle die „erweckten Kenner“ kaum störte, denn das sei schließlich der wahre „Naturwein“.

Es schmeckt anders – aber es schmeckt

Bei den Weinen von Schmitt kann von solchen Geschmacksverbrechen natürlich keine Rede sein. Dennoch muss man sich darauf einlassen wollen, denn der Geschmack unterscheidet sich erheblich von „normalen“ Weißweinen (auch von seinen), vor allem die weniger deutliche Typizität der jeweiligen Rebsorten betreffend und durch die bei Weißwein unüblichen Gerbstoffe. Ein sehr schöner Einstieg in Schmitts Orange-Welt ist der 2021er „Zen“, eine Cuvée aus den Burgundersorten Pinot Blanc, Pinot Gris, Pinot Noir und Auxerrois sowie Gewürztraminer und Riesling. Sie stammen aus einem gemischten Satz, das heißt, die Sorten wurden bunt gemischt auf einer Parzelle gepflanzt und werden gemeinsam gelesen und vergoren. In diesem Fall drei Tage auf der Maische, der weitere Ausbau erfolgte im Holzfass.

Der konsequent trockene Wein besticht durch kräftige Frucht, u.a. Bitterorange. Wobei die Fruchtnoten viel klarer und direkter zum Tragen kommen als bei „normalen Weinen“. Trotz merklicher Säure wirkt er sehr weich im Mund. Ein Eindruck, der sich nach einigen Tagen noch verstärkt. (Man kann diese Weine bedenkenlos ein paar Tage nach der Öffnung aufbewahren und dann weiter genießen.)

Der „Zen“ ist ein im besten Sinne „Easy Drinking“-Wein und als Speisebegleiter recht anschmiegsam, wenn man ihm allzu kantige Partner erspart. Ich entschied mich für ein dezent gewürztes (nur mit Meersalz, ein wenig Zitronenabrieb und Gartenkräutern) Stubenküken, und das funktionierte ziemlich gut.  

Spannende Irritationen beim Gewürztraminer      

Ein anderes Kaliber ist der 2020er „Eden“, ein reinsortiger Gewürztraminer. Als solcher erkennbar, aber deutlich entfernt vom gewohnten Geschmacksbild dieser Aromasorte. Nur dezent blumig, kein Rosenduft, eher herber Geruch, am Gaumen etwas Aprikose, Grapefruit und Orange, was sich im Laufe der Tage geschmacklich in Richtung Orangengelee verdickt. Etwas Tee, Pfeffer, Salz und dezente Gerbstoffe kommen hinzu. Jedenfalls eine komplexe und ziemlich verwirrende Geschichte. Auch hier diese irritierende, primäre Saftigkeit, die zunächst die zahlreichen Facetten des Weins verdeckt.

Bei passenden Speisen bin ich noch etwas unschlüssig. Auf der sicheren Seite ist man mit nicht allzu kräftigem Käse, auch Ziegenfrischkäse hat mich überzeugt. Ein richtiges Curry – bei mir eigentlich ein klassischer Gewürztraminer-Partner – habe ich mich nicht getraut. Aber ein paar Bonsai-Versuche in dieser Richtung, etwa mit Ingwer gewürzte, gebratene Großgarnelen, waren durchaus vielversprechend. Nur Koriander geht in diesem Fall gar nicht, und allzu scharf sollte es auch nicht sein.

Es ist kompliziert, aber es macht Spaß

Zum dritten Orange-Wein von Schmitt, dem Pinot gris „Chaudes Lumières“ nur so viel: Der erste Schluck machte mich einigermaßen ratlos. Jetzt lasse ich ihn ein paar Tage stehen, und dann sehe ich (hoffentlich) weiter. Ein ungewöhnlicher Wein darf gerne auch mal kompliziert sein.

Nein, ich werde jetzt bestimmt kein glühender „Orange-Fan“. Und fernöstlich erleuchtet und/oder im Paradies gelandet bin ich nach dem Genuss von „Zen“ und „Eden“ auch nicht. Aber ich habe mich mit aller gebotenen Skepsis ein wenig in diese „andere“ Weinwelt, in der leider unglaublich viel Schindluder getrieben wurde, etwas reingeschmeckt. Das war spannend und hat auch richtig Spaß gemacht. Und ich habe dabei eine Spur entdeckt, die es sich lohnt, weiter zu verfolgen. Denn eine Erweiterung des Geschmackshorizonts ist immer ein Gewinn. 

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