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Kinepolis Film Distribution

„The Broken Circle Breakdown“ - Das Seufzen bleibt im Halse stecken

Nicht immer verspricht das Programmheft das, was dann auch auf der Leinwand zu sehen ist: Cicero-Online-Reporter Constantin Magnis hat sich auf der Berlinale die Filme „The Broken Circle Breakdown“, Gewinner des Publikumspreises, sowie „Before Midnight“ angesehen. Und kommt zu einer gemischtem Bilanz

Autoreninfo

Constantin Magnis war bis 2017 Chefreporter bei Cicero.

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Nach all den bierernsten, schwer verdaulichen Beiträgen, die man im Laufe der Berlinale als Journalist so durchsitzt, hatte man sich von „The Broken Circle Breakdown“, dem Beitrag des belgischen Regisseurs Felix van Groeningen, eher angenehme Unterhaltung versprochen. Es war jener Spielfilm, der auch den diesjährigen Panorama-Publikumspreis der Berlinale gewann. In den Programmheften hatte das Stück noch den Eindruck eines heiteren Roadmovies mit viel Musik gemacht.

Heiter stimmte dann jedenfalls schon mal nicht.

Elise (Veerle Baetens), blondes Rockabilly-Chick und Besitzerin eines Tatoostudios, verliebt sich in Didier (Johan Heldenbergh), Filzmatte, Tom-Waits-Bart, in einem Wohnwagen auf dem Hof seiner renovierungsbedürftigen Landscheune hausend, im flachen, nieselgrauen Belgien. Didier spielt in einer Bluegrass Band, und käme der Film aus Deutschland, wäre es mit Sicherheit eine Klezmer- oder Balkan-Brass Band geworden. Dies nur, um das Milieu zu verstehen. Wenn man es mag, erleichtert einem das den Zugang zum Film und seinen Figuren enorm. Elise singt bald in Didiers Band, die beiden bekommen ein Kind, ein kleines Mädchen, renovieren den Bauernhof und sind glücklich, bis das Mädchen an Krebs erkrankt, und schließlich stirbt.

Obwohl das Sujet es nahelegt, ist „The Broken Circle Breakdown“ kein sentimentaler Film. Wenn man allerdings, wie beispielsweise ich, zu müde ins Kino geht, liegt die emotionale Verteidigung am Boden und der Feind kann ungehindert durchmarschieren. Ein Duett singendes Liebespaar? Paff, Volltreffer, Gänsehaut. Ergreifender Familienmoment? Zack, Blattschuss, feuchte Augen im Dunklen. Kleines, süßes Mädchen stirbt den tapferen Krebstod? Fragen Sie lieber nicht. Übermäßige Rührung ist keine gute Voraussetzung für objektive Berichterstattung.

Aber das Seufzen bleibt einem dann im dritten Akt schnell im Halse stecken, wenn die Trauer um die Tochter das Paar zu spalten beginnt, und alles den Bach heruntergeht. Didier arbeitet sich an der Religion als Feindbild ab, die er wegen ihrer Verhinderung embryonaler Stammzellenforschung indirekt für das Sterben des Mädchens verantwortlich macht. Elise pflegt dagegen einen unentschlossenen Aberglauben, der sich in der diffusen Hoffnung äußert, das tote Mädchen könnte als Stern weiterleben, oder als eine der schwarzen Krähen, die gelegentlich an die Fensterscheiben klopfen.

Das Kruzifix, Zeichen des menschgewordenen, auferstandenen Gottes, das immer wieder bedeutungsträchtig eingeblendet wird, funktioniert hier lediglich noch als eine Art positive Energie spendendes Amulett. Es ist nicht mehr das christliche Bild für den besiegten Tod, sondern des Logo des Todes selbst. Dagegen kann die gemeinsame Bluegrass-Band noch so lustig und lebensfroh andudeln, es hilft am Ende alles nichts: Was herauskommt, ist eine deprimierende, filmgewordene Kapitulation vor der gefühlten Allmacht des Todes. Und die hinterlässt einen dann doch sehr trübsinnig.

Seite 2: Filmkritik von Richard Linklaters „Before Midnight“

Einigermaßen tröstlich ist dafür dann aber das Wiedersehen mit alten Bekannten in Richard LinklatersBefore Midnight“. In den beiden Vorgängerfilmen der Reihe, die ab jetzt Trilogie genannt werden darf, wurden wir Zeuge, wie der Amerikaner Jesse (Ethan Hawke) und die Französin Celine (Julie Delpy) sich im Zug kennenlernten, in einer Nacht in Wien näherkamen und schließlich wieder ihrer Wege gingen. Neun Jahre später waren wir dabei, wie Jesse und Celine sich in Paris wiedersahen, wieder flirteten, wieder endlose, sehr charmante Dialoge produzierten, und am Ende des Filmes war wieder unklar, was jetzt aus den beiden werden würde.

Jetzt wissen wir es: Aus den beiden wurde ein Paar, endlich, mit Zwillingen, Wohnsitz in Paris, und gerade angelangt am Ende eines langen Feriensommers bei Freunden in Griechenland. Dort also erwischen wir sie nun, auf einer Autofahrt, bei einem natürlich brillanten Wortgefecht, gefilmt in einer einzigen, wahnwitzigen, weil fast 14 Minuten dauernden Einstellung ohne Schnitt. Linklater erzählt seine Geschichte nach dem Prinzip der beiden Vorgänger. Es wird gesessen, spaziert und geredet, den größten Teil des Filmes füllen Hawke und Delpy den Bildschirm aus, auch wenn zum ersten Mal auch Nebenfiguren auftreten dürfen. Dreh- und Angelpunkt ihrer Gespräche sind sie selbst, eine endlos funkelnd auf und ab wabernde Selbstreflexion, eine, die diesmal naturgemäß weniger Ausdruck romantischer Verheißung, und mehr abgeklärte Bilanz einer langjährigen Beziehung ist, und die im Gegensatz zu den letzten Filmen weniger an die Tagträumer französischer Nouvelle-Vague-Filme erinnert, und mehr an das geprüfte Paar aus Bergmanns „Szenen einer Ehe“.

Ohnehin sind die beiden, das ist unverkennbar, älter geworden. Jesse hat weiße Strähnen im Haar, Celine winzige Runzeln um die Augen. Als 35-Jährige besteht der einzige Vorteil ihres Alter darin, „dass man statistisch nicht mehr so oft vergewaltigt wird, ehrlich, das habe ich irgendwo gelesen!“ Das letzte und entscheidende Drittel des Filmes beginnt, als die beiden den ersten Ferienabend ohne Kinder verbringen. Grinsend hatten ihre Freunde ihnen ein Hotelzimmer abseits des Ferienhauses organisiert, um endlich mal „auszuspannen“, zwinker, zwinker. Und mitten im daraus folgenden Liebespiel – Celine sitzt bereits mit freigelegten Brüsten auf dem Bett – löst ein Telefonanruf das lange überfällige Grundsatzgespräch aus. Die Art von Gespräch, für die es Mut bracht, weil es eine Sprengkraft hat, die es im Film voll entfaltet.

Ganz selten einmal wird die dauernde Bauchnabelschau der beiden anstrengend. Mal geht einem Celines passive Aggressivität auf die Nerven, mal Jesses affektiert-altkluge Art, über Literatur oder das Leben an sich zu monologisieren. Vielleicht ist das eh' der Witz an der Sache: dass dem Zuschauer so die Fähigkeit gegeben wird, sich über die Figuren zu ärgern, wie ein Ehepartner, der jahrelang die schlechten Eigenschaften des anderen ertragen hat. Und der Sprachwitz der Hauptdarsteller, die Dialoge, die zuweilen Sätze perfekter Komik oder pointiertester Lebensweisheit hervorbringen, das alles entschädigt einen ohnehin schnell.

Schon seit Frühwerken wie „Slacker“ oder „Dazed and Confused“ hat Richard Linklater es verstanden, die perfekte Illusion der unbeobachteten, scheinbar beiläufig aus der Magie des Augenblick entstandenen Dialoge zu erzeugen, und so Filme zu machen, bei denen wir völlig vergessen, dass es Filme sind, und wir den Anspruch hatten, fiktiv unterhalten zu werden. Es sind Werke, die wir, wenn sie funktionieren, nicht als Filme, sondern als Lebenserfahrung abspeichern. Und wer das Glück hat, auch nur ansatzweise die Freuden und Herausforderungen einer langjährigen Beziehung nachvollziehen zu können, für den wird „Before Midnight“ Reflexionsfläche für das eigene Leben. Ob das dann schön ist, oder eher nicht, hängt davon ab, wo man selbst gerade steht.

Jedenfalls aber wird man das Kino weiser verlassen. Und welchen besseren Grund gäbe es denn, hineinzugehen?

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