Damen-WM in Australien und Neuseeland - Möge der Sport im Vordergrund stehen

Der Frauenfußball scheint an Prestige zu gewinnen. Wie groß das Interesse in Deutschland wirklich ist, wird die WM in Australien und Neuseeland zeigen – und auch, inwiefern der DFB sich in Sachen zeitgeistigem Firlefanz zurückhalten kann.

Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg gibt Anweisungen / dpa
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Neulich im Vereinsheim meiner Hobbyfußballmannschaft: Beim zweiten Bier kommen wir auf die Frauenfußball-WM in Australien und Neuseeland zu sprechen, die am Donnerstag mit dem Spiel Neuseeland gegen Norwegen begonnen hat (Endstand: 1-0) und bis 20. August andauern wird.

Einig sind wir uns in drei Punkten: Man wird sich das eine oder andere Spiel auf jeden Fall ansehen, mindestens als Zusammenfassung. Frauenfußball ist zwar langsamer als jener der Herren, das Niveau ist in den vergangenen Jahren aber deutlich gestiegen. Und drittens ist das Gejammer geringer: Wenn sich, sagt die anekdotische Empirie, eine Spitzenfußballerin am Boden wälzt, tut’s wirklich weh – anders als bei den Herren der Schöpfung. 

Der Frauenfußball hat sich professionalisiert

Seit meinem 6. Lebensjahr spiele ich – inklusive längerer Unterbrechung, weil Partys und Mädchen irgendwann wichtiger wurden als der Sport – in Fußballvereinen. Zuerst in der Jugend, dann in der A-Klasse, mittlerweile in genannter Hobbymannschaft. Als wir dereinst in der B-Jugend gegen unsere 1. Damenmannschaft spielten, war das eine klare Sache für uns. Im Prinzip haben wir die Gegnerinnen überrannt; ein zweistelliger Sieg war das Ergebnis. 

Doch die Zeiten haben sich geändert. Der Frauenfußball hat sich sukzessive professionalisiert, strategisch, psychisch und physisch; auch, was die Vereins- und Verbandsstrukturen betrifft und das Marketing. Und mittlerweile wird sogar bei uns im Vereinsheim über Damenfußball gesprochen. Es scheint also so, als sei das Interesse gestiegen; als habe der Sport insgesamt an Prestige gewonnen.

Im Tenor unterschiedliche Schlussfolgerungen

Das verlorene EM-Finale der Damen im vergangenen Jahr ist ein schönes Beispiel dafür: Fast 18 Millionen Zuschauer verzeichnete die ARD damals. Das waren rund fünf Millionen Zuschauer mehr als beim WM-Finale der Herren in Katar zwischen Argentinien und Frankreich und sogar ein bisschen mehr als das meistgesehene WM-Spiel der deutschen Herrennationalmannschaft gegen Costa Rica. 

Hinterher überschlugen sich die Gazetten deshalb mit Schlagzeilen, von wegen der Frauenfußball in Deutschland würde jetzt einen regelrechten Boom erleben. Ob dem wirklich so ist, ist allerdings auch eine Frage des individuellen Gefühls und der Perspektive: Eine aktuelle Umfrage des Meinungsforschungsinsituts YouGov kommt etwa zu dem Ergebnis, dass 54 Prozent der Deutschen kein Interesse an der Weltmeisterschaft der Damen in Australien und Neuseeland haben. 35 Prozent der Befragten gaben an, die Spiele verfolgen zu wollen, 22 Prozent, dass sie immerhin die Partien der DFB-Elf einschalten werden.
 

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Das lässt, je nach Gusto, zwei im Tenor unterschiedliche Schlussfolgerungen zu. Die erste wäre, dass die Mehrheit der Deutschen kein Interesse an der Damen-WM hat. Die zweite jedoch, dass mittlerweile sehr viele Deutsche sehr wohl Interesse am Turnier und damit am Damenfußball haben. Wie groß das Interesse am Ende wirklich ist, hat freilich auch damit zu tun, wie weit die DFB-Elf im Turnier kommen wird. Und hinterher wird dann mit Blick auf die Einschaltquoten ohnehin final abgerechnet. 

Streit zwischen FIFA und TV-Anstalten

Dass ARD und ZDF die WM der Damen in Australien und Neuseeland zeigen werden, war zeitweise aber gar nicht mal so sicher. Der Grund: Ein Streit zwischen der FIFA, die als Dachverband das Turnier ausrichtet, und den TV-Anstalten, die von der FIFA die Übertragunsrechte kaufen müssen. Während FIFA-Präsident Gianni Infantino – denn Moralisieren kann man auch bei einem der unmoralischsten Sportverbände der Welt – über eine „moralische und rechtliche Verpflichtung, die Frauen-WM nicht unter Wert zu verkaufen“, referierte, warfen die TV-Anstalten der FIFA Geldgier vor.

Streitpunkt war tatsächlich ein mittlererer einstelliger Millionenbetrag, den die FIFA für die Übertragungsrechte forderte. Zum Vergleich: ARD und ZDF haben für die Übertragungsrechte der Fußballweltmeisterschaft der Herren in Katar über 200 Millionen Euro ausgegeben. Ergo: Selbst ein Bruchteil dessen, was sich die TV-Anstalten eine Herren-WM kosten lassen, sorgte für Aufregung. Ganz vorne mit dabei: Italien. Das Land wollte nur eine Million Euro in die Übertragunsrechte investieren. Das geringste Angebot überhaupt. 

Womit wir wieder beim Thema Prestige wären. Denn freilich wird bei den TV-Anstalten kalkuliert, konkrete Ausgaben gegen mögliche Einnahmen aufgerechnet. Bei der Damen-Weltmeisterschaft kommt aus europäischer Sicht noch obendrauf, dass die Spiele bei uns entweder tagsüber oder frühmorgens übertragen werden. Die DFB-Elf zum Beispiel absolviert ihre ersten drei Partien um 10.30 Uhr (Marokko), 11.30 Uhr (Kolumbien) und 12 Uhr (Südkorea). Das sind denkbar ungünstige Anstoßzeiten für das arbeitende Volk. Ob das jedoch rechtfertigt, weniger für die Übertragungsrechte zu bieten als eine „Tatort“-Produktion des NDR kostet (laut Handelsblatt durchschnittlich 1,7 Millionen Euro), ließe sich gesondert diskutieren. 

Moralisierung versus Sport

Die Chancen, dass die DFB-Elf über die Gruppenphase hinauskommt, stehen jedenfalls gar nicht so schlecht. Zwar waren die Leistungen zuletzt eher ausbaufähig (Anfang Juli verlor das Team gegen die Nationelf Sambias mit 2-3), dennoch verrät ein Blick auf die Wettquoten – ein guter Indikator in solchen Dingen –, dass der Vize-Europameister zum Favoritenkreis gezählt wird; auf dem vierten Platz hinter den USA, England und Spanien. Läuft alles nach Plan, sollte es das Team um Bundestrainerin Martina Voss-Tecklenburg also wenigstens bis ins Halbinfale schaffen.  

Sorgen bereitet mir ohnehin etwas anderes: die Symbolrepublik Deutschland und der Hang auch des DFB zu zeitgeistigem Bekenntnis-Firlefanz. Der bisher peinlichste Höhepunkt dessen war zweifellos der Auftritt der DFB-Elf der Männer in Katar, der Zoff um „One Love“, die Mund-zu-Geste der Nationalelf vor dem Spiel gegen Japan, der Auftritt Nancy Faesers, die als erste deutsche Politikerin nach 1945 mit einer politischen Bekenntnisarmbinde ins Ausland reiste, und die Flankierung des Ganzen durch unzählige Artikel in der deutschen Medienlandschaft, die sich mehr mit dem Thema Moralisierung als mit sportlichen Leistungen befassten. 

Keine Regenbogenbinde

Es bleibt also abschließend zu hoffen, dass die DFB-Elf der Damen ihre Lehren aus dem peinlichen Spektakel der Herren der Schöpfung gezogen hat. Und, hier kommt schonmal eine gute Nachricht: Die FIFA hat die Regenbogenbinde ohnehin von vornherein ausgeschlossen, acht andere Binden zur Wahl gestellt. Entschieden hat sich frau für eine Kapitänsbinde mit der Botschaft „Vereint gegen Gewalt gegen Frauen“, wofür ein solches Frauenfußballturnier, das sei zugestanden, keine so schlechte Plattform sein mag.

Überhaupt ist Vielfalt ja eher etwas, das man leben sollte, statt es hochnotpeinlich zu demonstrieren. Und damit wären wir abschließend vielleicht beim allerbesten Argument, dieses Turnier in Australien und Neuseeland zu verfolgen, angekommen: Wenn der peinliche Bekenntniskram im Sinne des Zeitgeistes tatsächlich ausbleibt, steht der Sport endlich wieder im Vordergrund.

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