Corona-Politik - Der deutsche Angstmichel will keine Rückkehr zur Normalität

Der 20. März hätte der Tag sein können, an dem Deutschland seine Angstneurosen weitgehend hinter sich und mündige Bürger endlich wieder freie Bürger sein lässt. Doch solange Karl Lauterbach Gesundheitsminister ist, wird es kein Zurück zur Normalität mehr geben. Das ist seine Kernbotschaft seit Herbst 2021. Verlassen kann er sich dabei auf eine immer noch große Schar an Unterstützern, die sich längst eingerichtet haben in ihrer Feigheit vor dem Leben – und Sinn und Unsinn der Corona-Politik nicht hinterfragen.

Ist die Impfung etwa nicht der Moses, der uns aus der Pandemie führt? / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

So erreichen Sie Ben Krischke:

Anzeige

„Nur weil alle die Schnauze voll von Corona haben, ist es lange noch nicht weg. Leider. Ich persönlich fühle mich meiner Freiheit beraubt, wenn ich überall Angst haben muss, angesteckt zu werden“, las ich kürzlich bei LinkedIn zum Thema Corona-Lockerungen, das früher ein soziales Netzwerk war, um berufliche Kontakte zu knüpfen. Mittlerweile ist LinkedIn – jedenfalls in meinem Dunstkreis, der sich vor allem aus Medienschaffenden speist – weitgehend okkupiert vom woken Zeitgeist einerseits und vom deutschen Angstmichel andererseits, der zwar den großen Mut der Ukrainer im Kampf gegen die russischen Invasoren lobt, selbst aber zu feige ist, ohne Maske in einen Supermarkt zu gehen. 

Wissen Sie, ich habe viel über Corona diskutiert in den vergangenen zwei Jahren und selbstverständlich auch über die pandemiegetriebene Politik der Regierenden. In anderem Zusammenhang hatte ich unterdessen einen langatmigen Streit mit einem Freund, der bei der Partei Die Linke aktiv ist, und der vergangenen Sommer auf meiner Terrasse behauptete, der Hang zum Autoritären sei dem Deutschen quasi in die Wiege gelegt. Ich hielt das für Unsinn. Aber je mehr ich mir vergegenwärtige, was viele Bürger dieses Landes bei den Corona-Maßnahmen mit sich machen lassen, desto mehr muss ich meinem Freund gegenüber eingestehen, dass es in der deutschen Natur zu liegen scheint, dass man brav folgt und kommentarlos Befehle ausführt, die sich irgendwer in seiner Hybris erdacht hat.

Die große Freude am übergriffigen Staat

Ich kann mir den Maßnahmen-Irrsinn der vergangenen zwei Jahre heute jedenfalls nur damit erklären, dass die deutsche Akzeptanz und Toleranz gegenüber der Corona-Politik die logische Fortsetzung einer über Jahre gewachsenen Freude der Leute am übergriffigen Staat ist. Und ja, auch mir wäre lieber, wenn dem nicht so wäre, aber mir gehen leider die Ideen aus, warum etwa junge, gesunde Frauen – eine solche postete eingangs erwähnten LinkedIn-Beitrag – Angst haben vor einem Virus, das ihnen rein statistisch überhaupt nichts anhaben kann. Und überdies finden, die eigenen Ängste seien ein legitimes Argument, um 83 Millionen Menschen mal mehr, mal weniger klein zu halten, und kleine Kinder drei Mal die Woche mit einem Schnelltest zu belästigen.

Selbst wenn von heute auf morgen alle Corona-Maßnahmen fielen – wirklich alle, was ich ausdrücklich begrüßen würde – ginge damit kein Verbot einher, sich selbst weiterhin nach der eigenen Façon zu schützen. Diese junge Frau und alle, die ähnlich denken und fürchten, könnten auch weiterhin so viel Maske tragen, wie sie möchten. Sie könnten Abstand zu anderen Menschen halten. Sie könnten meinetwegen darauf bestehen, dass sich Leute testen lassen, bevor sie sich mit ihnen zum Grillen verabreden, obwohl ich mir an deren Stelle gut überlegen würde, ob das eine gute Basis für eine Freundschaft ist. Ich jedenfalls trage bei meinen Radtouren entlang der Isar auch einen Helm, und brauche dafür keinen Innenminister, der mich verfolgen lässt, wenn ich es nicht tue. Oder der drei Jugendliche in der fränkischen Provinz wegen des Infektionsschutzgesetzes verfolgen lässt, wenn sie mit dem Bollerwagen unterwegs sind.

Außerdem ist erwähnte junge Frau – ebenso wie die allermeisten Lockungverängstigten, nehme ich an – zwei Mal geimpft und geboostert obendrein, weil alles andere unlogisch wäre. Und wenn man dem glaubt, was seriöse Leute im öffentlich-rechtlichen Sinne behaupten, ist die Dreifachspritze doch der allerbeste Schutz gegen Covid-19. Oder hat sich der baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) etwa geirrt, als er sagte: „Impfen ist der Moses, der uns aus dieser Pandemie herausführt“?

Der Tag des jüngsten Corona-Gerichts

Da tippt man sich monatelang die Finger wund und redet sich den Mund fuselig, am Ende läuft es wohl auf Folgendes hinaus: Mit dem deutschen Angstmichel wird es keine Rückkehr zur Normalität mehr geben. Nicht am 20. März und auch sonst nie wieder, weil es nunmal in der Natur des Angstmichels liegt, dass er immer einen Anlass findet, Angst zu haben. Oder wenigstens glaubt, sich stellvertretend für andere fürchten zu müssen, obwohl er Oma Christel gar nicht gefragt hat, ob die lieber schlecht atmet beim Edeka, statt die Maske nur in der Enge der Samstagnachmittagkasse übers Gesicht zu ziehen, wenn sie das punktuell für die angebrachte Schutzmaßnahme hält.
 

Lesen Sie zum Thema Corona-Maßnahmen auch:

Wenn der deutsche Angstmichel weiterhin Angst hat, dann folgt er Leuten wie unserem Gesundheitsminister Karl Lauterbach bedingungslos, der zwischen den Zeilen seit Herbst fleißig die Botschaft verbreitet, dass es mit ihm keine Rückkehr in prä-pandemische Zeiten geben wird. Der kann sich – der Hotspot-Regelung sei Dank – dabei nicht nur auf seine eigene Partei, sondern auch vielfach auf die Spitzenpolitiker anderer Parteien verlassen, weil die entweder genauso ängstlich sind, oder im Sinne unserer Familienministerin Anne Spiegel (Grüne) immerhin Angst vor einem Imageverlust haben, sollte auf den Freiheitstag wider Erwarten doch der Tag des jüngsten Corona-Gerichts folgen.

Und dann wäre da ja noch die dritte Kategorie des lupenreinen Corona-Politikers: die Art von Regent nämlich, der große Freude daran hat, am Schalthebel der Macht zu sitzen und dort endlich richtig regieren zu können, statt sich den ganzen Tag nur öden Themen wie Trassenbau und Veggie-Day zu widmen, obwohl er doch der Machtausübung wegen in die Politik gegangen ist, und nicht nur des Geschwätzes wegen. Dank Corona kann man dem Volk seit zwei Jahren endlich zeigen, wo der Frosch die Locken hat, während das geimpfte Volk – nicht alle freilich, aber erschreckend viele – sich nicht mehr ins Theater traut, wenn dort auch wieder Ungeimpfte reindürfen.

Gesundheitsminister Karl Lauterbach bezeichnet die Forderung nach deutlich mehr Freiheit nach zwei Jahren deutlich weniger Freiheit übrigens als „drängeln“, las ich jüngst auf Twitter, wo sich selbiger Minister lieber an der „Springer-Presse“ abarbeitet, statt einzugestehen, dass – anders als von ihm behauptet und von der Deutschen Presse-Agentur versendet – Deutschland eben nicht den höchsten Inzidenzwert Europas hat. Wenn's um die „Springer-Presse“ geht, mischt denn freilich auch die Zero-Covid-Fraktion mit, die ansonsten dadurch auffällt, dass sie im Internet Bild-Vize Paul Ronzheimer für seine Kriegsberichterstattung beschimpft, oder, wie ein Kollege vom Maßnahmen-Sprachrohr Tagesspiegel, damit, den vergleichsweise reflektierten Hendrik Streeck im Prinzip einen „Nazi“ zu nennen.

Ja, das ist der Stand der Corona-Dinge im März 2022, zwei Jahre, nachdem diese vermaledeite Pandemie begonnen hat, und wenn es nach Lauterbach und seinen Jüngern geht, wird das auch noch der Stand im März 2023 und im März 2024 und weit darüber hinaus sein. Denn klar ist, dass Corona nicht verschwinden, sondern bleiben wird, und dass deshalb auch in den nächsten Jahren Menschen an Covid-19 sterben werden. So, wie in den nächsten Jahren Menschen auch noch an anderem sterben werden – infolge eines Suizids wegen einer Depression, oder wegen schlechter Ernährung und zu wenig Sport zum Beispiel, weil sie sich nicht mehr vor die Tür trauen.

Das soll nicht zynisch klingen, wirklich nicht. Was ich sagen will, ist dies: Auch der übergriffigste Staat kann seine Bürger nicht vor einem tödlichen Verlauf einer Viruserkrankung schützen. Und weil dem so ist, haben wir ja eigentlich das Grundgesetz, das wiederum den Bürger vor einem allzu übergriffigen Staat schützen sollte, plus das Bundesverfassungsgericht, das dies aber konsequent nicht tut. Oder um es mit den Worten meines geschätzten Kollegen Ralf Hanselle in Richtung Karl Lauterbach zu sagen: „Es ist nicht die Springer-Presse, die drängelt, es ist die Verfassung. Die ist einfach nicht auf Ihren ewigen Katastrophenkonjunktiv hin ausgerichtet.“ Dem ist im Prinzip nichts hinzuzufügen, außer das Wort „eigentlich“ vielleicht. Denn das Grundgesetz ist dem Angstmichel wurscht, und Karl Lauterbach leider weniger wichtig, als man das von einem Repräsentanten eines demokratischen Rechtsstaates erwarten müsste.

 

 

 

 

Anzeige