
- Zeitenwende? Ja, aber dann richtig!
Die Tatsache, dass es offenbar eines Krieges bedarf, um eine „Zeitenwende“ auszulösen, zeigt, wie sehr wir eine brauchen. Entscheidend hierfür ist aber nicht die Wehrhaftigkeit einer Demokratie nach außen, sondern dass wir sie endlich wieder mit Leben füllen. Denn die Bedrohungen der Freiheit kommen nicht nur von außen, sondern vor allem von innen.
Krisen und Kriege sind die Zeiten großer Worte und Gesten. Derzeit macht der Begriff der „Zeitenwende“ die Runde. Als Folge von Russlands Krieg gegen die Ukraine scheint die westliche Welt aus dem Dornröschenschlaf zu erwachen. Vor nicht allzu langer Zeit hatte der französische Präsident Emmanuel Macron noch den Hirntod der Nato diagnostiziert. Nun scheint es, als wäre das nordatlantische Bündnis munter wie nie und der „Kalte Krieg“ nie zu Ende gegangen.
Ganz offensichtlich braucht die westliche Welt einen äußeren und klar benennbaren Feind, um sich ihrer Handlungsfähigkeit zu erinnern. Der Spiegel bezeichnet Putin bereits ironisch als „Einiger Europas“. Aber nicht nur das, denn plötzlich sind auch versteinerte europäische Politblockaden überwindbar. Die aktuellen Entwicklungen erinnern an ein Erdbeben, bei dem sich über viele Jahre aufgebaute Spannungen zwischen tektonischen Platten abrupt entladen und sich die Landschaft sprunghaft verändert. Und erneut zeigt sich: Politische Dynamik ist außerhalb einer Notsituation von historischer Dimension kaum noch denkbar. Globale Klimakatastrophe, lokale Umweltkatastrophen, lokale Atomkatastrophen, der Untergang des Abendlandes, Flüchtlingsschwemmen, Pandemien und jetzt der drohende Flächenbrand in Europa – unterhalb des Levels einer ordentlichen Apokalypse kommt hier politisch nichts mehr in Gang.