Corona-Kampagne „Ich schütze mich“ - Die letzten Töne des Panikorchesters

Vor vier Wochen wurde die „Ich schütze mich“-Kampagne des Bundesgesundheitsministeriums vorgestellt. Die Beiträge, die bisher veröffentlicht wurden, kommen ziemlich einfallslos daher. Ein Charakteristikum ist aber noch viel entscheidender.

„Nico, Travestie-Künstler, hält seinen Corona-Schutz aktuell“, heißt es im Kampagnenvideo / Screenshot
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Autoreninfo

Ben Krischke ist Leiter Digitales bei Cicero, Mit-Herausgeber des Buches „Die Wokeness-Illusion“ und Mit-Autor des Buches „Der Selbstbetrug“ (Verlag Herder). Er lebt in München. 

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Treffen sich ein Karnevalist, ein Bestatter und ein Travestie-Künstler: Was klingt wie der Anfang eines Witzes, ist ungefähr das Konzept hinter der Regierungskampagne „Ich schütze mich“. 84 Menschen – „normale Leute“, keine Schauspieler, wie betont wird, die stellvertretend für 84 Millionen Bundesbürger stehen sollen – bekennen sich auf Plakaten, im Radio und in Videobeiträgen einzeln dazu, sich weiterhin vor einer Corona-Infektion schützen zu wollen. Chapeau! Denn so eine Corona-Infektion ist wahrlich alles andere als vergnügungssteuerpflichtig, wie ich aus eigener Erfahrung zu berichten wüsste.

Selbstverständlich kostet so eine umfangreiche Kampagne viel Geld. Angesichts der vielen Milliardenpakete, die in den vergangenen Monaten von der Ampelregierung geschnürt wurden, fällt „Ich schütze mich“ aber auch nicht mehr groß ins Gewicht. Ein paar Millionen Euro sollen es wohl sein; nicht mehr als Peanuts für die „Zeitenwende“-Regierung, die bekanntermaßen sehr gut darin ist, das Geld anderer Leute auszugeben; namentlich des Steuerzahlers. Aber das ist eine andere Diskussion. Und irgendwie muss der teure Anbau des Kanzleramts eben finanziert werden. 

Lass mich wie klares Wasser sein

Mitte Oktober jedenfalls stellte Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) diese Kampagne gemeinsam mit der Spiegel-Kolumnistin Margarete Stokowski vor. Ein seltsamer Auftritt, weil Stokowski vor der versammelten Hauptstadtpresse erklärungsdürftig für eine Impfung warb, die sie weder vor einer Infektion, noch vor „Long Covid“ geschützt haben soll. Ich fragte mich, ob das noch eine Kommunikationsstrategie ist, wenn man ausgerechnet Stokowski für eine solchen Auftritt verpflichtet, oder schon ein Ausdruck von Verzweiflung. Und ich fragte mich, ob das eine gute Idee ist, durch solche Schulterschlüsse das Vorurteil vom Journalisten als „Schmusekätzchen der Regierenden“ (Jens Peter Paul) weiter zu kultivieren. Vier Wochen ist das nun her. Zeit für ein Zwischenfazit. 

Beginnen wir etwas unkonventionell mit Google: Wer „Ich schütze mich“ ins Suchfeld eingibt, erhält als erstes Ergebnis einen Liedtext der Band Ich & Ich. Das dazugehörige Lied heißt „Schütze mich“ (finden Sie auf YouTube), und die ersten Zeilen lesen sich so: „Schütze mich vor Größenwahn und Arroganz. Halt mich fern von falschem Glanz. Mach mein Ego sanft und rein. Lass mich wie klares Wasser sein.“ Über Geschmack lässt sich bekanntlich streiten. Daher möchte ich diese Zeilen nicht weiter kommentieren.


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Interessant trotzdem, dass erst an zweiter Stelle der Google-Suche die Webseite „Zusammen gegen Corona“ kommt. Denn die ist der zentrale Sammelpunkt der Bundesregierung für alles, was mit dem vermaledeiten Virus und dem heldenhaften Kampf gegen Sars-Cov-2 zu tun hat; auch für die „Ich schütze mich“-Beiträge. Seltsame Prioritäten, die dieser Schwurbler-Algorithmus da setzt, wenn Sie mich fragen. Wobei: Google ist ein US-Unternehmen, und in den Vereinigten Staaten hat Joe Biden die Pandemie ja bereits im September für beendet erklärt. Möglicherweise hat das damit zu tun.  

Nico schützt sich und Stefan auch

34 Videos der „Ich schütze mich“-Kampagne sind derzeit auf „Zusammen gegen Corona“ veröffentlicht. Der Travestie-Künstler Nico schützt sich, sagt er, „damit ich mir Corona abschminken kann“. Der Bestatter Hans-Peter schützt sich, weil er „seine Hoffnung nicht begraben will“. Der Karnevalist Tim schützt sich, „weil ich nur an Karneval närrisch bin“. Biker Stefan schützt sich, „damit ich nicht aus der Kurve fliege“. Und Student Robert schützt sich, „weil ich in der Prüfungsphase einen langen Atem brauche“. „Ich schütze mich“ hallt es also wieder und wieder, wenn man sich durch die Videos klickt. Meist versehen mit Begründungen, die gerne einfallsreiche Wortspiele wären, aber ziemlicher Kokolores sind. 

Mich stört gleichwohl weniger die Einfallslosigkeit der ein, zwei gesprochenen Zeilen dieser Videos. Was mich stört, ist die Botschaft, die hier von den Verantwortlichen gesendet wird. Im Kontext der vergangenen zwei Jahre wohlgemerkt. Denn „Ich schütze mich“ ist eigentlich ein großer Appell an eigenverantwortliches Handeln. Dabei war es um die Eigenverantwortung zuletzt eher schlecht bestellt. Einfach deshalb, weil man in Berlin und anderswo der Meinung war, dass 84 Millionen Menschen wahlweise zu naiv, zu dumm oder zu verantwortungslos sind, um selbst zu entscheiden, was richtig für sie, ihre Freunde und Familie im Umgang mit dieser Pandemie gewesen wäre. 

Bei uns in Bayern zum Beispiel durfte man zeitweise nach 22 Uhr nicht mehr das Haus verlassen, nur noch eine bestimme Anzahl von Leuten treffen und musste seine Kinder regelmäßig einem Corona-Test unterziehen, damit sie in die Kita durften, auch ohne dass sie irgendwelche Symptome gezeigt hätten. Außerdem kann ich mich sehr gut an den mit Absperrband versehenen Spielplatz erinnern, der sich direkt vor dem Balkon meiner alten Wohnung im Münchner Westen befindet. Und an die Polizeidurchsagen bei den hiesigen „Spaziergängen“, als es immer wieder blechern, weil vom Band gespielt, „Der Infektionsschutz hat höchste Priorität“ zwischen Marienplatz und Stachus dröhnte. 

Je vager die Botschaft

Zwei Jahre lang hat man tagtäglich versucht, den Menschen im Land das „Ich“ auszutreiben, das selbstständige Denken, Begriffe wie „Eigenverantwortung“ wurden ins Lächerliche gezogen und Individuen auf Basis eines Impfstatus in homogene Gruppen eingeteilt. Das infame Gerücht von der „Pandemie der Ungeimpften“ wurde gestreut und jene, die ausscherten, sozial, ökonomisch und politisch sanktioniert, weil sie sich entweder nicht impfen lassen wollten oder öffentlich die Corona-Politik der Bundesregierung kritisierten. In einer Corona-Kampagne der Regierung jetzt das „Ich“ in den Mittelpunkt zu stellen, ist blanker Zynismus. 
 

Epidemiologe Klaus Stöhr im Cicero-Podcast:


Ein Charakteristikum dieser Kampagne ist aber noch viel entscheidender. Nämlich, dass „Ich schütze mich“ in Kombination mit genannten Wortspielen gar keine klare Botschaft sendet. Unbeantwortet bleibt stets, welche Maßnahmen eigentlich gemeint sein sollen, mit denen sich die Protagonisten weiterhin vor Corona schützen wollen. 34 Videos – und in keinem einzigen sagt jemand im Detail, dass er sich impft, um sich zu schützen, dass er die Maske trägt, um sich zu schützen, oder dass er auch weiterhin Abstand hält, um sich zu schützen. 

Das mag wie eine Nebensächlichkeit klingen. Schließlich wisse doch jeder, ließe sich entgegnen, was gemeint sei. Wer sich aber auskennt mit politischer Kommunikation, der weiß: Das ist genauso gewollt. Denn je vager die Botschaft, desto unangreifbarer der Botschafter. Indem in den Videos keine konkreten Maßnahmen genannt werden, entzieht sich die Bundesregierung prophylaktisch jedweder Kritik an selbigen. Wirklich niemand hat etwas gegen „Corona-Schutz“, jedenfalls niemand, den ich kenne. In den Diskussionen der vergangenen zwei Jahre ging es stets um die Verhältnismäßigkeit einzelner Maßnahmen, nicht darum, ob es gut ist, gesund zu bleiben. 

Das Panikorchester verstummt

Zwei Schlüsse ziehe ich daraus. Erstens: Das Bundesgesundheitsministerium will die lange Zeit durchaus erfolgreiche Erzählung von der „Solidarität“, vom „schütze dich und andere“, mit der die Maßnahmen verkauft wurden, unbedingt aufrechterhalten. Weil das kommunikativ aber nicht mehr so einfach ist – schließlich kann sich jeder Geimpfte anstecken und jeder Ungeimpfte trotzdem nur einen Schnupfen bekommen –, bleibt man lieber vage und hofft darauf, dass beim Rezipienten die erwünschten Assoziationen geweckt werden, die dann wiederum in konkrete Handlungen münden. Zum Beispiel, sich das vierte Mal impfen zu lassen.

Und zweitens: Die Medien- und PR-Maschinerie hinter den Corona-Maßnahmen scheint zunehmend ratlos zu sein, wie sich gleichzeitig der Panikmodus aufrechterhalten lässt, der zuletzt doch ein so treuer PR-Begleiter war. Dieser Panikmodus ist aber ganz entscheidend, damit der Bürger auch weiterhin brav tut, was die Regierung von ihm verlangt, ohne dass die Verantwortlichen in die unschöne Situation geraten würden, das Verlangte stichhaltig, also evidenzbasiert begründen zu müssen. Oder – Gott steh uns bei! – sogar manch Maßnahmensprachrohr im Journalismus die eigene Berichterstattung der jüngeren Zeit hinterfragen müsste. 

Die schlechte Nachricht lautet also, dass die „Ich schütze mich“-Kampagne ein weiterer Tiefpunkt der politischen Kommunikation rund um das Coronavirus darstellt, weil schon wieder unaufrichtig und intransparent kommuniziert wird. Die gute Nachricht aber lautet, dass nach „Flatten the curve“, „Schütze dich und andere“, „Pandemie der Ungeimpften“, „Ich schütze mich“ und allen anderen Botschaften, die in den vergangen zwei Jahren herausposaunt wurden, das Panikorchester nun langsam zu verstummen scheint. Wie es dann wohl mit dem Dirigenten im Bundesgesundheitsministerium weitergeht?

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