Christian Drosten und die Labortheorie - Desinformationsvorwurf legitim, aber keine „gezielte Täuschung“

Internationale Top-Virologen wollten zu Beginn der Corona-Pandemie eine öffentliche Debatte über einen möglichen Laborunfall in Wuhan verhindern. Welche Rolle der deutsche Wissenschaftler Christian Drosten dabei spielte, ist umstritten. Vor Gericht hat er sich nun gegen zu scharf formulierte Kritik durchgesetzt.

Christian Drosten, Direktor des Instituts für Virologie an der Charité Berlin, in der Bundespressekonferenz mit RKI-Chef Lothar Wieler und Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach / dpa
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Das Hanseatische Oberlandesgericht, ein monumentaler Justizpalast aus der Kaiserzeit, ist wohl der falsche Ort für das, was Roland Wiesendanger vorhat. So stattlich und Ehrfurcht einflößend das neoklassizistische Gebäude auch wirken mag: Es ist nicht die richtige Kulisse für den Physik-Professor, der sich mit mächtigen Gegnern anlegt.

Bei der Gerichtsverhandlung am Dienstag ging es eigentlich um einen kleinteiligen Streit zwischen ihm und dem in der Corona-Zeit zum Star-Virologen aufgestiegenen Berliner Charité-Professor Christian Drosten. Wiesendanger hatte Drosten in einem Cicero-Interview vorgeworfen, zu Beginn der Pandemie an einer „Desinformationskampagne“ international führender Virenforscher beteiligt gewesen zu sein, um eine öffentliche Debatte über den bereits damals aufgekommenen Verdacht, dass das Virus aus einem Labor stammen könnte, aufzuhalten.

Wissenschaftlicher Meinungskampf

Gegen dieses Interview wehrte sich Drosten auf juristischem Wege, indem er einzelne Formulierungen und Behauptungen Wiesendangers gerichtlich verbieten lassen wollte. Er hatte damit nur teilweise Erfolg. In erster Instanz wertete das Landgericht Hamburg den Begriff „Desinformationskampagne“ und den Vorwurf, Drosten habe „Unwahrheiten“ von sich gegeben, als „zulässige Wertungen im wissenschaftlichen Meinungskampf“. Die Aussage, er habe „die Öffentlichkeit gezielt getäuscht“, wurde Wiesendanger jedoch verboten.

Das wiederum wollte der Hamburger Wissenschaftler nicht auf sich sitzen lassen und trug den Rechtsstreit in die nächste Instanz. Am Oberlandesgericht ging es daher nun nur noch um drei inhaltliche Punkte, der zentrale war der Täuschungsvorwurf. Die Vorsitzende Richterin, Simone Käfer, machte jedoch bereits zu Beginn der Verhandlung deutlich, dass sie Wiesendanger dabei nicht folgen mag.

Tatsachenbehauptung oder Meinungsäußerung

Die Täuschungs-Aussage beinhalte die Unterstellung, Drosten habe in Bezug auf die Herkunft des Coronavirus bewusst die Unwahrheit gesagt, also eine unwahre Tatsachenbehauptung verbreitet, führte Käfer aus. Und das wiederum sei selbst keine Meinungsäußerung mehr, sondern eine Tatsachenbehauptung. Im Unterschied zum Vorwurf der „Desinformationskampagne“, dieser sei „ganz klar meinungsgeprägt“, so die Richterin. Dieser Unterschied ist wichtig. Denn für Tatsachenbehauptungen gelten rechtlich deutlich strengere Maßstäbe als für Meinungsäußerungen.

 

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Wiesendanger, der sich akribisch vorbereitet hatte und mit einem dicken Aktenstapel neben seinem Anwalt Lucas Brost auf der Holzbank des Gerichts saß, holte zu einer leidenschaftlichen Rede aus. Es gehe ihm nicht um eine persönliche Auseinandersetzung mit Christian Drosten, versicherte er. Es gehe hier um „die entscheidendste Frage der Menschheit seit Ende des Zweiten Weltkriegs“. Das Verhalten jener Virologen, die gemeinsam die wahre Ursache der Pandemie hätten vertuschen wollen, sei ein Fall für den internationalen Strafgerichtshof.

Verschwörung der Virologen

Von der Richterbank blickte die Vorsitzende fast schon etwas mitleidend auf Wiesendanger herab. Sie gab nicht zu erkennen, was sie von seinem Kampf gegen die sogenannte Gain-of-function-Forschung, bei der gefährliche Viren im Labor gebastelt werden, hält. Aber darum ging es in diesem Rechtsstreit auch nicht. Die Feinheiten des deutschen Äußerungsrechts sind nicht das Schwert, mit dem sich gegen eine vermutete Verschwörung von Virenforschern, Pharmakonzernen sowie den Regierungen zweier Weltmächte, China und USA, ins Feld ziehen lässt. Genau darum geht es Wiesendanger letztendlich aber.

Am Ende versuchte das Oberlandesgericht, ein salomonisches Urteil zu finden. In einem Punkt gaben die Richter Wiesendanger Recht. Drosten und die anderen Virologen hatten sich in einer Fachpublikation sehr früh auf einen natürlichen Ursprung des neuen und verdächtig gut an den Menschen angepassten Coronavirus festgelegt und die andere Möglichkeit, dass es künstlich erzeugt und aus einem Labor in Wuhan entkommen sein könnte, als Verschwörungstheorie abgetan. Diese frühe Festlegung „entbehrte jeglicher Grundlage“, warf Wiesendanger dieser Gruppe vor und darf dies nach der jüngsten Entscheidung aus Hamburg auch weiterhin tun. Das Oberlandesgericht korrigierte in dieser Hinsicht den Beschluss der Vorinstanz.

Verboten bleibt es ihm jedoch, den Vorwurf zu verbreiten, Christian Drosten habe die Öffentlichkeit gezielt getäuscht. Das ist eine schmerzliche Niederlage für Wiesendanger.

Wiesendanger wirft Drosten Meineid vor

Aufgeben will der eigensinnige und mit anderen Wissenschaftlern, die ebenfalls ans Licht bringen wollen, was in Wuhan wirklich passiert ist, weltweit bestens vernetzte Forscher jedoch nicht. Er kündigte noch im Gerichtssaal an, eine Strafanzeige wegen Meineids gegen Drosten zu stellen. Anlass dafür ist eine eidesstattliche Versicherung, die der Berliner Virologe im Verfahren gegen Wiesendanger abgegeben hat und die wir an dieser Stelle dokumentieren.

Roland Wiesendanger behauptet, dass in den USA erst kürzlich freigeklagte E-Mails belegen würden, dass Drosten in dieser eidesstattlichen Versicherung falsche Angaben gemacht habe. Es geht unter anderem um eine zweite Veröffentlichung in einer medizinischen Fachzeitschrift, die maßgeblich dafür gesorgt hatte, dass Medien und Politiker lange davon ausgingen, in der Wissenschaft herrsche Konsens darüber, dass das Coronavirus direkt aus dem Tierreich stamme und nicht im Labor manipuliert worden sei.

Einen solchen Konsens gab es allerdings nie. Selbst unter der Virologen-Gruppe nicht, die sich sehr früh über die Herkunftsfrage austauschte und an der Drosten beteiligt war. Das belegen die E-Mails sehr deutlich.

Drostens Anwalt weist Vorwürfe zurück

In seiner eidesstattlichen Versicherung behauptet Drosten, dass er an dieser zweiten, wissenschaftlich hoch umstrittenen Veröffentlichung nicht beteiligt gewesen sei. Wiesendanger meint, anhand der neu veröffentlichten E-Mails das Gegenteil beweisen zu können.

Drostens Rechtsanwalt Gernot Lehr teilte dazu gegenüber Cicero mit: „Nach der öffentlich einsehbaren Mitteilung von K. Andersen (einem der Autoren der späteren Publikation in Nature Medicine) in dessen Nachricht vom 08.02.2020, dass er keine Veröffentlichung einer von ihm angefertigten Zusammenfassung des Diskussionsstands beabsichtige, wurde Prof. Drosten an keiner weiteren Abstimmung beteiligt und war insbesondere nicht in die Abfassung eines Manuskripts zur späteren Publikation eingebunden. Auch war er nicht als Gutachter am Publikationsprozess beteiligt.“

Die Meineid-Vorwürfe Wiesendangers hätten keine Grundlage, so Lehr, und stellten „den unseriösen Versuch dar, einmal mehr das hohe Ansehen von Christian Drosten mit falschen Tatsachenbehauptungen herabzusetzen“. Wiesendanger wolle damit von seiner „empfindlichen Niederlage“ vor dem Oberlandesgericht ablenken.

Wiesendangers Anwalt kritisiert Urteil als kurios

Wiesendangers Anwalt wiederum kritisiert die Entscheidung aus Hamburg. Dass der Begriff „Desinformationskampagne“ zulässig sei, aber nicht von einer „gezielten Täuschung der Öffentlichkeit“ gesprochen werden dürfe, sei kurios, kommentierte Lucas Brost das Urteil. „Aus meiner Sicht handelt es sich bei der Äußerung um keine Tatsachenbehauptung, sondern eine Meinung. Selbst wenn man von einer Tatsachenbehauptung sprechen würde, liegen zahlreiche Belege dafür vor, dass die Virologen gezielt getäuscht haben. So sieht es ja auch die internationale Presse.“

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