Cancel Culture an der Uni Halle - Der neue linke Konsens

Am Fall einer antifaschistischen Hochschulgruppe, die aufgrund von Transfeindlichkeits-Vorwürfen aufgelöst wurde, lässt sich nachverfolgen, worin die ideologische Funktion der postmodernen Linken besteht.

Linke und Kapitalismus vereint in der Postmoderne: CSD-Teilnehmerin mit „kiss me“-Schild vor der Mall of Berlin / dpa
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Nico Hoppe arbeitet als freier Autor in Leipzig und schrieb bisher u.a. für die FAZ, die NZZ und die Jungle World. Auf Twitter ist er unter @nihops zu finden.

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Die Vorstellung, linke Hochschulgruppen würden sich zusammenschließen, um einen antifaschistischen Arbeitskreis aufzulösen, klingt erst einmal grotesk. An der Universität Halle setzten die Hochschulgruppen der Jusos und der Grünen sowie die Offene Linke Liste dieses Vorhaben jedoch mit Erfolg um.

Seit die bis vor kurzem noch im Studierendenrat der Universität Halle vertretene AG Antifa im September letzten Jahres eine Vortragsveranstaltung unter dem Titel „Austreibung der Natur. Zur Queer- und Transideologie“ organisierte, in dem die Gendertheorie Judith Butlers sowie die neueren Auswüchse des Trans-Aktivismus kritisiert wurden, sah sich die antifaschistische Hochschulgruppe den Vorwürfen ausgesetzt, queer- und transfeindlich zu sein.

Islamkritik unerwünscht

Ein entsprechender Antrag, die AG Antifa aufzulösen, ließ nicht lange auf sich warten. Nachdem das laut Vertretern der AG Antifa nur halbherzig anberaumte Mediationsverfahren kürzlich scheiterte, löste der Studierendenrat die bereits über 25 Jahre bestehende Hochschulgruppe nun per geheimer Wahl auf. Sowohl die Finanzierung durch den Studierendenrat als auch die Möglichkeit der Nutzung universitärer Räumlichkeiten ist somit passé: Für eine Gruppe, die in der Zeit ihres Bestehens vor allem durch kontroverse Veranstaltungen zur Kritik des Islam, des Antisemitismus sowie des zeitgenössischen Antirassismus und Feminismus auffiel, ist das zweifellos desaströs.
 

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Der Fall der AG Antifa reiht sich ein in die sich stetig vergrößernde Chronik studentischer Cancel Culture – und doch sollte man ihn nicht bloß als ein Exempel unter vielen abtun. Denn an ihm zeigt sich paradigmatisch, welche Umwälzung in der politischen Linken fortwährend stattfindet. Dass die Linke sich zerstreitet und spaltet, ist zwar beileibe kein neues Phänomen. Von neuer Qualität ist allerdings die selbstverständliche Rigidität, mit der man sogar gegen eine antifaschistische Gruppe mobilmacht, wenn deren Kritik nicht innerhalb der wohlfeil gezogenen Grenzen verbleibt: Statt eines rhetorischen Schlagabtauschs, der am Streitpunkt selbst erwächst, konfrontiert die postmodern-queere Linke ihre Kritiker mit einem Katalog an abgenutzten Begriffen, die stets in denunziatorischer Absicht vorgebracht werden und in ihrer Allgemeinheit schlussendlich austauschbar sind.

Im Dienste der postmodernen Ideale des Kapitalismus

Der implizite Vorwurf lautet: Ihr schließt euch nicht dem Fortschritt an! Fortschritt erschöpft sich dabei in nicht viel mehr als der unterschwelligen Gewissheit, dem Zeitgeist treu zu sein und sich trotzdem als kleiner Rebell zu fühlen, der sich gegen eine vermeintlich konservative Mehrheit in der Bevölkerung zur Wehr setzt. Dass jene Mehrheit längst erodiert ist und dem linksliberalen Zug der Zeit folgt, weil sie ihn schweigend hinnimmt oder bereitwillig mitmacht, fällt denen, die stolzen Schrittes die Richtung vorgeben, natürlich nicht auf.

Was gestern noch Teil linken, kritischen Bewusstseins war, kann heute als eindeutig transphob oder rassistisch gelten. Wer weiß schon, ob das, was heute noch korrekt ist, in ein paar Jahren schon verwerflich sein wird? Die postmoderne Linke korrigiert ihre Ansichten nicht etwa. Würde sie das tun, müsste sie angeblich queer- und transfeindliche Aussagen nicht mit einem Bannfluch belegen, sondern könnte ihnen sachgerecht begegnen. Stattdessen ersetzt Subordination Reflexion.

Womöglich zieht die gegenwärtige Linke also auch deswegen so viele Anhänger zu sich, weil ihre relativistische Ideologie ein ständiges work in progress ist. Damit verkörpert sie die Ideale des postmodernen Kapitalismus: Beliebigkeit als Vielfalt, Unsicherheit als Flexibilität, Chaos als Sinn. Stets ist offen, wer die nächste schreckliche Diskriminierungsform oder die minoritärste Identität entdeckt. Wer als nächstes gecancelt wird, ist schon gar nicht mit Sicherheit vorherzusagen. Kreativität und Einsatz ist gefragt, denn: Das Konkurrenzprinzip, das in der Generation der Start-ups zugleich kaschiert und verinnerlicht wird wie noch nie, findet auch Anwendung auf die eigene politische Clique.

Ideologische Begleitmusik des Status quo

Die ideologische Funktion der Linken besteht heute nicht mehr in der kompromisslosen Aufklärung über das Bestehende, sondern in der Zementierung jener gesellschaftlichen Verhältnisse, welche die scheinsubversive Ideenwelt der Antidiskriminierung und Diversity in ihre konsequenteste Form gegossen haben. Gruppen wie die AG Antifa gelten zwangsläufig als Nestbeschmutzer, weil sie unangenehm daran erinnern, dass es nicht das Ziel einer ihren aufklärerischen Anspruch ernstnehmenden Linken sein kann, sich anzupassen und ideologische Vorarbeit für die zahllosen neuen Arbeitsstellen, die ein auf Vielfalt und Offenheit gepolter Kapitalismus mit sich bringt, zu leisten.

Während die postmoderne Linke die ideologische Begleitmusik zur systemkompatiblen Transformation des Status quo liefert, erscheinen linke Gruppen, die sich diesem Prozess entziehen wollen, als altbacken, ewiggestrig und letztendlich überflüssig. Die Unterstellungen der Transfeindlichkeit oder des Rassismus ereilen jene Gruppen früher oder später wie von selbst – nicht weil sie zutreffen, sondern weil sie sich so wunderbar zur Markierung des Schandflecks eignen.

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