Brüggemanns Bayreuth-Tagebuch II - Die Elefanten von Salzburg oder Salzburgs Verrat an der Offenheit der Debatte

Im zweiten Teil seines Bayreuth-Tagebuchs blickt Axel Brüggemann gen Süden zu den parallel laufenden Festspielen in Salzburg. Deren Eröffnung wurde überschattet vom Skandal um die Kreml-Verstrickungen des Dirigenten Teodor Currentzis und seines Orchesters MusicAeterna. Die Verantwortlichen der Festspiele blocken jegliche Kritik ab. Sogar Pianist Igor Levit, der mit dem Orchester auftritt und sonst nie um einen regierungstreuen Kommentar verlegen ist, hüllt sich in Schweigen.

Illustration: Dominik Herrmann
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Autoreninfo

Axel Brüggemann ist Musikjournalist und lebt in Bremen. Zuletzt erschien der von ihm herausgegebene Band „Wie Krach zur Musik wird“ (Beltz&Gelberg-Verlag)

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Dies ist der zweite Teil des Bayreuth-Tagebuchs von Axel Brüggemann. Lesen Sie hier Teil I über die Eröffnung der Wagner-Festspiele: „Die Tristan-Scheibe oder Wenn Claudia Roth die Flasche aus der Hand fällt“.

Heute schweift der Blick aus dem beschaulichen Bayreuth 260 Kilometer gen Süden, von Festspielstadt zu Festspielstadt – von Wagners Bayreuth zu Mozarts Salzburg. Zuweilen taugt der ferne Blick besser als vor einem Tiger zu stehen, um ihn zu beschreiben. Seit der Cicero-Reportage in der Juni-Ausgabe über den Dirigenten Teodor Currentzis, haben Festspiel-Intendant Markus Hinterhäuser und seine Pressesprecherin Ulrike Kalchmair allerhand zu tun. Ihre Strategie ist es, offene Fragen einfach nicht zu beantworten. Sie versuchen, kritische Journalisten möglichst fernzuhalten und hinter den Kulissen zu desavouieren, Einfluss auf Berichterstattung zu nehmen und sich wegzuducken, wenn es um die Nähe der Festspiele zu russischen Geldgebern geht. Alles nur, damit die Sache gestern irgendwie über die Bühne gehen konnte: die feierliche Eröffnung der Salzburger Festspiele und die Premiere von Bela Bartoks Oper „Blaubarts Burg“ mit Teodor Currentzis.

Im Kern geht es um die Russland-Verstrickungen des Dirigenten und seines Ensembles MusicAeterna. Cicero hatte aufgedeckt, dass das Orchester nicht nur von der zweitgrößten russischen Bank, VTB, gesponsort wird, sondern auch, dass der Vorstand des Orchesters von drei Putin-Vertrauten, dem Chef der VTB-Bank, der Nationalbankchefin und des Gouverneurs von St. Petersburg geleitet wird, und dass die Heimspielstätte des Orchesters einer Medien-Holding gehört, der Alina Kabajewa vorsteht, Putins Geliebte. Currentzis selber will sich nicht zum Krieg positionieren.

Stinkefinger aus St. Petersburg

Das Orchester des SWR, dessen Chefdirigent Currentzis ebenfalls ist, geriet in Erklärungsnot und ließ wissen, man gehe davon aus, dass der Dirigent neue Sponsoren finden würde. Und Salzburgs Festspielintendant Hinterhäuser stellte in Aussicht, dass Currentzis sich sicherlich positionieren würde. Nichts davon ist passiert. Im Gegenteil: Currentzis behielt das VTB-Sponsoring, ging mit MusicAeterna auf eine von Gazprom gesponserte Tournee durch Russland und trat bei Putins Propaganda-Wirtschaftsforum auf, wo er als treuer Musiker des Landes gefeiert wurde. Er streckte Baden-Baden und Salzburg einen gigantischen Stinkefinger aus St. Petersburg entgegen.

Wie tragisch mutet es an, dass Intendant Markus Hinterhäuser in den letzten Wochen lieber keine Fotos und Vorberichte mit Teodor Currentzis, seinem eigentlichen Festspiel-Helden, gepostet hat, um jegliche Kritik zu vermeiden? Dass Salzburgs große Eröffnung ein andauerndes Hoffen wurde, dass bitte, bitte, bitte alles gut gehen möge. Immerhin, die österreichische Presse spielte brav mit.    

Igor Levit hüllt sich in Schweigen

Dass die Alpen-Nation im Jahre 2022 in einem Ranking von Reporter ohne Grenzen von Platz 17 auf Platz 31 purzelte, mag auch damit zusammenhängen, wie die Salzburger Festspiele auf Anfragen reagieren: Statt Fragen zu beantworten, schickten sie Journalisten alte Interviews, redeten wortreich um den heißende Brei herum und duckten sich am liebsten weg. In der österreichischen Presse scheint all das auch gut zu funktionieren. Die Festspiele sind eine Art unangreifbares Nationalheiligtum – kritische Aufarbeitung: unerwünscht. Stille auch bei den Künstlern: Pianist Igor Levit wird mit MusicAeterna auftreten, ansonsten nie um einen regierungstreuen Kommentar verlegen, hüllt er sich nun in Schweigen. Und Currentzis-Regisseur Romeo Castellucci betet die ewige Litanei vom Orchester, das in Gefahr sei, und von Kommentatoren, die es sich auf dem Sofa bequem machen würden – so als sei es normal, dass die Erpressung Putins westlichen Kommentatoren jegliche Kritik verbieten würde. Ja, dass man machtlos zuschauen müsse, auch, wenn das Orchester mehr als regelmäßig in Putins Propaganda-Show auftritt. In Salzburg stehen so viele Currentzis-Elefanten im Porzellanladen, dass es wirklich schwerfallen muss, sie zu übersehen.
 

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Im Ausland sieht die Situation allerdings allmählich anders aus. Der britische Guardian hat umfänglich über Salzburgs Russland-Connections berichtet. Englands Top-Kritiker Norman Lebrecht sprach von den „schlimmsten Festspielen seit 1941“, und die New York Times hat heute einen großen Artikel mit allen Verstrickungen veröffentlicht. Darin kommt auch der Pianist Evgeny Kissin zu Wort, der die Auftritte von MusicAeterna scharf verurteilt. Auch die deutschen Medien bleiben einigermaßen wachsam: das ZDF wird sich die Causa Currentzis kommenden Freitag in „aspekte“ vornehmen, die Stuttgarter Nachrichten kommentieren: „Für Salzburg gilt: Vorhang auf – und alle Fragen offen. Auch das hat hier Tradition.“ Sie nehmen die Salzburger Festspiele und ihr Sponsoring unter Beschuss, allerdings noch ohne Fragen an den Heimatsender SWR zu stellen.

Pseudo-selbstkritisches Whitewashing

Man kann derzeit in Salzburg erkennen, dass die Fragen an Currentzis und sein Orchester nicht aufhören werden. Jedes Konzert wird ein „aber-da-ist-doch-die-Sache-mit-Putin“-Konzert sein. Ein bisschen scheint es, als wiederholten Salzburg und der SWR einen Fehler, den die Münchner Philharmoniker mit dem russischen Dirigenten Valery Gergiev gemacht haben. Der hatte die Annektion der Krim gefeiert, sprach sich gegen Homosexuelle aus und jubelte über den Syrien-Kurs von Vladimir Putin. All das akzeptierte man in München als Gergievs „Privatsache“ – bis der Krieg kam und man merkte, dass der Dirigent natürlich Teil der kulturellen Putin-Propaganda war, ja, seine klassische Säule. Gergievs Rauswurf kam viel zu spät, aber es ist nicht verwunderlich, dass Salzburgs Intendant ihn sofort als „scheinheilig“ verurteilte.

Gestern also die Eröffnung der Salzburger Festspiele. Am Abend dirigierte Currentzis Bartok und Orff, Castelucci inszenierte. War okay, schrieb die deutsche Kritik im Großen und Ganzen: Bartok hui, Orff eher pfui. Im fernen Bayreuth konnte man die Übertragung des Festaktes im Fernsehen verfolgen. Hinterhäuser verpflichtete den deutschen Schriftsteller Illja Trojanow als Redner, der ein pseudo-selbstkritisches Whitewashing der Festspiele betrieb. Er verurteilte das Solway-Sponsoring, von dem man sich in Salzburg eh getrennt hat, kritisierte Dirigent Valery Gergiev, und es wirkte ein bisschen wie Hohn, als Trojanow erklärte, man müsse Antworten geben, „Ja“ oder „Nein“ sagen. Was er damit wahrscheinlich nicht meinte, ist Antworten auf Fragen, die man sich lediglich selber stellt. Die Salzburger Festspiele bleiben auf jeden Fall viele Antworten schuldig. Auf jeden Fall, wenn sie nicht selber die Fragen stellen.

Die kulturlose Arroganz Salzburgs

Im Finale seiner Rede sagte Tojanows: „Desertieren wir also aus der Eintönigkeit des Krieges in die Vieltönigkeit der Kunst.“ Markus Hinterhäuser wird dieser Satz sicherlich gefallen haben. Suggeriert er doch, dass die Kunst gerade in Krisenzeiten in ihrer Indifferenz eine Möglichkeit für neue Lösungen darstellen könnte. Wenn aber diese Kunst Teil der Eintönigkeit des Krieges ist, also von einem Diktator bezahlte Kultur-Propaganda, zerschellt Trojanows Optimismus ausgerechnet in Salzburg an der kulturellen Überheblichkeit der Festspiele, die im Ernst glaubt, klüger sein zu können als die rationalen Fragen der Welt, ja, die nicht einmal mehr merkt, dass sie Teil einer perfekt inszenierten Maschine der allgegenwärtigen Indifferenz geworden ist.

Die Salzburger Festspiele erweisen ausgerechnet der Vieltönigkeit der Kunst einen Bärendienst, indem sie die Bühne nicht als Anlass öffentlicher Debatte verstehen, sondern als moralisch unantastbaren Ort, dessen Wahrheit – ganz ohne Gegenrede – vom Intendanten selber definiert wird. Schließlich ist die eigentliche Erkenntnis der Causa Currentzis, dass die Kultur jenseits der Kultur-Blase niemanden interessiert. Dass die Festspiele eine weltfremde Nische geworden sind, in der grundsätzliche Prinzipen der Demokratie und der Transparenz nicht mehr gegeben sind. Große Sponsoren in Salzburg wie Siemens haben ihr Russland-Geschäft weitgehend eingestellt – und unterstützen gleichzeitig eine Vieltönigkeit der Festspiele, die nichts mehr daran findet, Teil von Putins Propaganda zu werden. Die Salzburger Festspiele riskieren die Glaubwürdigkeit der Kultur auf Kosten ihrer kulturlosen Arroganz.

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