Bombenstimmung vor Silvester - Böllern als Bonsai-Bürgerkrieg

Unser Genusskolumnist hat diesmal keine Lust auf rauschende Silvesterpartys. Zu bedrückend war das zu Ende gehende Jahr, zu erschreckend sind die Aussichten für 2024. Er belässt es bei einer Kiste Austern, einer Flasche Crémant und guter, lauter Musik. Aber eine Rakete hat er sich doch besorgt.

Eine leer geschossene Feuerwerksbatterie / picture alliance
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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Irgendwie ist das Warten auf den Jahreswechsel in diesem Jahr extrem unentspannt. Mit wohligem Schaudern schaut man auf die kommende Silvesternacht und die anscheinend mit Sicherheit zu erwartenden Ausschreitungen in Berlin und anderen Großstädten. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) stimmt die Bürger auf neue Exzesse „blinder Wut“ und „sinnloser Gewalt“ ein, vor allem gegenüber Polizei- und Rettungskräften. Die „generelle Gewaltbereitschaft an Tagen wie Silvester“ nehme zu, und zudem drohe eine Verknüpfung mit den aktuellen Spannungen im Nahen Osten.

Doch der Rechtsstaat sei gewappnet und werde konsequent vorgehen, versprachen die Ministerin und ihre Länderkollegen. So soll in der Hauptstadt ein Rekordaufgebot von knapp 4000 Polizisten wenigstens dafür sorgen, dass Feuerwehr und Rettungskräfte ihre Arbeit in dieser Nacht ohne ständige Gefahr für Leib und Leben verrichten können.

Feuerwehr ist nicht in Feierlaune

Doch die sehen sich schlecht vorbereitet und teilweise im Stich gelassen. „Was hat sie getan, damit es nicht so kommt?“, fragt Manuel Barth, Sprecher der Deutschen Feuerwehrgewerkschaft und Personalrat der Berliner Feuerwehr in einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland. „Ein Verbot von Schreckschusswaffen wäre in der Innenministerkonferenz beschlussfähig gewesen, gekommen ist es nicht“. Auch eine Obergrenze für den Kauf von Feuerwerk gebe es nach wie vor nicht.

Andere Feuerwehrbeamte merkten in Interviews an, dass sie trotz der Ausschreitungen am vergangenen Jahreswechsel nicht praxisnah auf derartige Einsätze vorbereitet worden seien. Man habe nicht mal ausreichend Ohrenschützer für die Einsatzkräfte besorgt, um Knalltraumata zu verhindern.

Randale mit Ansage und fruchtlosen Debatten

Einen kleinen Vorgeschmack lieferte eine „Erfolgsmeldung“ der Berliner Staatsanwaltschaft vor wenigen Tagen. Demnach wurden in einer Wohnung bei zwei Verdächtigen rund 30.000 illegale Böller sowie mehr als 80 sogenannte Kugelbomben entdeckt. Der via Instagram organisierte Handel war da aber schon längst im Gange. Der Polizei liege ein Hinweis vor, „dass sich unter anderem die aktionsorientierte propalästinensische Szene über die Internetshops des Tatverdächtigen mit illegaler Pyrotechnik versorgt haben könnte“, hieß es.

Ab dem Neujahrstag wird dann die „erschreckende Bilanz“ gezogen, nebst Rufen nach besserer Ausstattung der Polizei, härteren Strafen für die Randalierer und einer Debatte über „Integrationsdefizite“.  Also alles so wie in diesem Jahr. Und wahrscheinlich auch im Jahr danach. Langweilig.

Gehört privates Böllern zur „Leitkultur“?

Dennoch werden Forderungen nach einem generellen oder wenigstens weitreichenden Böllerverbot, wie sie unter anderem von Ärzteverbänden sowie den Gewerkschaften der Polizei und der Feuerwehr erhoben werden, von den meisten Politikern kategorisch abgelehnt. Vielleicht gehört ja auch das private Böllern an Silvester irgendwie zu der neuerdings wieder beschworenen „deutschen Leitkultur“.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Wer jetzt in ganz normalen Supermärkten einkaufen geht, kann jedenfalls den Eindruck gewinnen, dass sich manche Menschen auf eine Art Krieg vorbereiten. Imposante Mengen von Raketen und Sprengstoffprodukten aller Art wandern dort über die Kassenbänder. Natürlich plant nicht jeder Käufer damit Attacken auf Polizei und Feuerwehr, aber dennoch geht es um ein großes Battle: Wer hat den hellsten Lichteffekt, den lautesten Böller, und wer kann aufgrund seines quantitativ überlegenen Arsenals am längsten durchhalten und noch bis zum frühen Morgen Salven durch die Gegend schießen.

Soziologe mahnt Qualitätsbewusstsein an

Aber auch jenseits der zu erwartenden Böller-Exzesse ist die Stimmung an diesem Jahresende allgemein ziemlich gedrückt. Die guten Wünsche für ein „frohes neues Jahr“ erscheinen diesmal leider besonders hohl. Wer glaubt schon daran, dass es 2024 tatsächlich besser wird. Auch der Soziologe Daniel Kofahl – ohnehin nach eigenem Bekunden ein „ausgeprägter Silversterbrummbär, der der Schaumschlägerei um den Wechsel eines abgezählten hin zu einem bereits jetzt schon angezählten neuen Jahrs wenig abgewinnen kann“ –  hat dies bemerkt. Er habe – anders als sonst – „von noch wirklich niemandem den Spruch gehört, 2024 würde nun aber endlich sein Jahr. Es scheint, egal wie betrunken manch einer sein wird, dass wir doch alle irgendwie ernüchtert von der letzten in die nächste Runde gehen“.  

Das heißt nicht, dass der sinnesfreudige Soziologe Kofahl jetzt Silvesterpartys aller Art für obsolet hält: „Soll jeder feiern, was er feiern will, und ein wenig Frohsinn ist den Leuten ja zu gönnen. Und meinethalben soll es auch einmal im Jahr Fondue geben, wenn dann aber bitte mit gutem Fleisch  und Soßen, die nicht aus der erstbesten Flasche stammen, sondern mit etwas Geschick und ordentlichen Zutaten selbst angerührt sind“.

Skurril ist für ihn „diese ausufernde Privatböllerei“. Er habe nichts gegen ein schön gemachtes Feuerwerk, „aber das erwachsene Menschen massenweise Knallfrösche und Schlimmeres zünden müssen, das ist doch verwunderlich“. Es sei doch wesentlich sinnvoller, das dafür buchstäblich verbrannte Geld lieber „in eine bessere Flasche Wein anstatt in den vielfach geschluckten Fuselsekt zu investieren“. Warum das nicht geschehe, „weiß wohl nur der heilige Sankt Sylvester selbst“.

Kiste Austern, gute Musik und eine Rakete

Auch ich gönne jedem, der das mag, eine rauschende Silvesternacht. Gerne auch auf einer Party. Doch darauf habe ich diesmal keinen Bock. Lieber eine Kiste Austern und ein bisschen ausgewählte Musik, von der Karelia Suite von Jean Sibelius, über „Human nature“ von Miles Davis  bis zu „Who Knows“ von Jimi Hendrix. Das alles darf ich dann ja ausnahmsweise dröhnend laut hören, weil sich an Silvester niemand darüber beschwert. Und im Regal liegt auch noch ein richtig exzellenter Winzersekt, ein Crémant Brut Zero von Jean Paul Schmitt aus dem Alsace. Irgendwann dann Ohropax und Vertrauen auf meine relativ neuen, schallschluckenden Schlafzimmerfenster.  Und das war‘s dann mit 2023.

P.S. Eine Rakete habe ich mir allerdings doch gekauft. Doch die zünde ich nicht an Silvester, sondern in der Nacht der Umstellung auf Sommerzeit, am 31. März. Da habe ich wenigstens einen vernünftigen Grund, denn man kann sich auf den Frühling und auf laue, helle und lange Abende freuen.

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