Auf den Spuren bayerischer Genusskultur - Zwischen „O’zapft is“ und Obatzda

Unser Genusskolumnist würde nicht im Traum auf die Idee kommen, auf das Münchner Oktoberfest zu gehen. Aber was die rund sechs Millionen Besucher außer Unmengen Bier dort sonst noch so verzehren, hat ihn schon interessiert. Daher hat er sich an die Zubereitung von „Obatzda“ gewagt, einer klassischen bayerischen Kästepaste.

Am besten selber machen: Obatzda / dpa
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Autoreninfo

Rainer Balcerowiak ist Journalist und Autor und wohnt in Berlin. Im Februar 2017 erschien von ihm „Die Heuchelei von der Reform: Wie die Politik Meinungen macht, desinformiert und falsche Hoffnungen weckt (edition berolina). Er betreibt den Blog „Genuss ist Notwehr“.

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So wirklich verstanden habe ich das, was gemeinhin als „bayerische Lebensart“ bezeichnet wird, noch nie. Ich habe mich auch nur recht selten in Bayern aufgehalten, wohl auch, weil ich weder mit Bergen noch mit der Fortbewegung auf Brettern allzuviel anfangen kann. Nur Franken fand ich immer ganz nett, aber das gehört ja irgendwie nicht zu Bayern. Sagen zumindest viele Franken.

Mein Fremdeln mit den Bajuwaren bewegt sich auf mehreren Ebenen. Die Sprache erscheint mir teilweise skurril. Bayerische Politiker waren mir stets unheimlich, besonders wenn sie Ambitionen auf führende Ämter auf Bundesebene erkennen ließen. Kulinarisch finde ich Bayern auch nur mäßig interessant, denn meine Aufenthalte waren stets von einem deutlichen Schweinsbraten- und Wurst-Overkill begleitet. Und dass dort der wohl unsympathischste Fußballverein der ganzen Welt beheimatet ist, macht die Sache auch nicht besser. Aber das ist natürlich reine Ansichtssache.

Für einen Berliner schwer zu verstehen

Rein gar nichts anfangen kann ich ferner mit dem alljährlichen Höhepunkt des gesellschaftlichen und kulturellen Lebens in dieser Region. Denn da treffen sich Jahr für Jahr an 16 Tagen rund sechs Millionen Menschen zum größten kollektiven Besäufnis der Welt: dem Oktoberfest, auch „Wiesn“ genannt. Nicht wenige Gäste fühlen sich dabei sogar bemüßigt, sich in unbequeme Lederhosen oder ein merkwürdiges Damenoberbekleidungsstück namens „Dirndl“ zu pressen, um derartig gewandet in großen Festzelten beträchtliche Mengen Bier in Ein-Liter-Maßkrügen, Brathendl, Schweinshaxen, Weißwürste, Brotzeitbrettl und weitere „Wiesn-Spezialitäten“ zu verzehren, und das zu horrenden Preisen. Und wer in Bayern eine auch nur einigermaßen relevante Rolle spielt – egal ob Politiker, Kulturschaffender, Sportler oder anderweitig Prominenter – kann es sich schlicht nicht leisten, dort nicht aufzutauchen.

Wie gesagt: Verstehen kann ich das zwar alles nicht, aber natürlich gönne ich den Bayern und ihren Gästen ihr Spektakel, das auch folkloristische Elemente wie den Trachtenumzug der Schützen und der Brauereiwagen der Wiesn-Wirte durch die Münchner Innenstadt und jede Menge Blasmusik beinhaltet. Das Oktoberfest begann offiziell in diesem Jahr am 16. September, wie immer mit einigen kräftigen Hammerschlägen des jeweils amtierenden Oberbürgermeisters auf die Zapfvorrichtung eines Bierfasses und dem martialischen Schlachtruf „O’zapft is“, und wird am 3. Oktober enden. Und wenn nicht wieder Kriege, Cholera und zuletzt 2020 und 2021 die Corona-Pandemie eine Absage notwendig machen, wird es im kommenden Jahr zum 189. Mal stattfinden. Und mit ziemlicher Sicherheit erneut ohne mich.

Klare Regeln bei der Weißwurst

Doch als Genusskolumnist, der sich mitunter gerne der kulinarischen Feldforschung widmet, fühlt man sich auch als distanzierter Beobachter aus der Ferne animiert, einen näheren Blick auf einige „Wiesn-Spezialitäten“ zu werfen, zumal diese über das Oktoberfest hinaus einen festen Platz in der bayerischen Wirtshaus-, Biergarten- und Marktkultur haben. Brathendl und Schweinshaxen lasse ich mal beiseite, und zu Weißwürsten nur so viel: Es gibt beträchtliche Qualitätsunterschiede zwischen industrieller Massenware und traditionell hergestellten Produkten. Unstrittig scheint zu sein, dass man Weißwürste stets mit süßem Senf, Brezn und einem Weißbier verzehren soll, vorzugsweise am Vormittag. Traditionelle Verzehrtechnik ist das „Zutzeln“. Man packt die Wurst zwischen Daumen und Zeigefinger, beißt an einem Ende rein und saugt dann das Brät aus der Pelle, die nicht mitverzehrt wird. Weniger archaische Verzehrtechniken, wie das Aufschneiden und Abziehen der Pelle vor dem Verzehr, der dann mit Messer und Gabel erfolgt, gelten mittlerweile aber als zulässig.

 

Zuletzt in „Genuss ist Notwehr“ erschienen:

 

Aber selber Weißwurst herstellen wäre mir viel zu aufwendig. Anders sieht das bei einer anderen Wiesn-Spezialität aus, dem Obatzda. Wie viele Traditionsgerichte entspringt er dem Prinzip der Resteverwertung. In diesem Fall geht es dabei vor allem um reifen Käse, der zu einer relativ festen, aber noch sämigen Paste verarbeitet wird. Und diesen Klassiker sollte man unbedingt selber fabrizieren, denn die handelsübliche Supermarktware ist eher enttäuschend.

Obatzda schmeckt auch ohne Oktoberfest

Los geht’s. Reifen, weichen, zimmerwarmen Camembert (oder Brie) in kleine Stücke schneiden und zusammen mit Frischkäse und weicher Butter zerdrücken und kräftig verrühren. Stückig sollte es nicht sein, also notfalls mit dem Rührgerät ein wenig nachhelfen. Wer es etwas würziger mag, kann einen Teil des Camemberts auch durch Limburger ersetzen. Die Masse mit zerstoßenem Kümmel, Paprikapulver, Salz und Pfeffer abschmecken.

Jetzt noch einen kleinen Schuss Weißbier unterrühren, so wird der Obazda cremiger. 20–30 Minuten ziehen lassen und dann mit dünnen Zwiebelringen und fein gehacktem Schnittlauch in einer Schüssel servieren, aus der sich dann alle bedienen. Dazu Brezn oder deftiges Bauernbrot. Und natürlich ein Weißbier oder ein Helles. Schnell wird man merken, dass das auch ohne Oktoberfest- oder Biergarten-Flair als deftige Brotzeit ganz hervorragend funktioniert

 

Obatzda

Zutaten für 4 Personen

300g Camembert (oder 200g und 100g Limburger)

150g Frischkäse

60g Butter

50ml Weißbier

2 kl. rote Zwiebeln

1 Bd. Schnittlauch

Paprikapulver (edelsüß), große Prise gemahlener Kümmel, Salz, Pfeffer

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