Ist der öffentliche Rundfunk noch zu retten? - Reformvorschläge für ein strauchelndes System

Der öffentlich-rechtliche Rundfunk könnte ein wesentliches Element der Entspannung unseres übernervösen öffentlichen Diskurses sein. Dafür bräuchte es aber weitgehende Reformen – für mehr Ordnung, mehr Kontrolle und mehr Sachlichkeit.

Alter Fernseher im Rahmen einer Ausstellung in Recklinghausen / dpa
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Autoreninfo

Carlos A. Gebauer ist Fachanwalt für Medizinrecht und Autor. Er war u.a. Prozessbevollmächtigter des Klägers in dem Verfahren 6 C 2.21 bei dem Bundesverwaltungsgericht, das mit Urteil vom 27.04.2022 die Rechtswidrigkeit der bundesdeutschen Rundfunkbeitragssatzungen erkannte, jedoch – unter Aufgabe der vorherigen ständigen Rechtsprechung – deren Fortgeltung bis zu einer verfassungsgemäßen Neuregelung höchstrichterlich anordnete.

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Nach dem „Staatsvertrag zur Modernisierung der Medienordnung in Deutschland“ aus dem Jahr 2020 tragen die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten eine große Last. Sie haben ihrem Publikum zu dessen Meinungsbildung nicht weniger als einen umfassenden Eindruck über das Geschehen in allen wesentlichen Lebensbereichen zu geben. Bei dieser Arbeit sind die Anstalten zudem „in besonderem Maße der Einhaltung journalistischer Standards“ verpflichtet.

Vorrangige Finanzierungsquelle dieser gesamten Tätigkeit soll der „Rundfunkbeitrag“ sein, der im Jahre 2013 an die Stelle der vormaligen „Rundfunkgebühr“ getreten war. In dieser vordergründig unwesentlichen Neuorganisation lag weit mehr als nur ein Wechsel des Namens für die Zahlungspflicht. Denn abgabenrechtlich unterscheidet man drei Zahlungskategorien: Steuern hat man ohne jeden Anspruch auf irgendeine Gegenleistung zu zahlen. Gebühren sind im genauen Gegensatz dazu der Preis für einen konkreten Vorteil. 

Beiträge indes stellen eine Mischung aus Steuern und Gebühren dar. Der Beitragszahler erwirbt zwar einen Anspruch auf etwas, doch dieses „etwas“ ist lediglich die Möglichkeit, eine Einrichtung vielleicht nutzen zu können. Zum Vergleich: Renten-, Pflege- und Krankenkassenbeiträge muss man auch dann zahlen, wenn man weder Rentner wird, noch pflegebedürftig, noch krank.

Widerspruch zur Lebenserfahrung vieler Menschen

Auch das Bundesverfassungsgericht hat mittlerweile die gesetzgeberische Neukonstruktion für rechtens erklärt, Zahlungspflichten gegenüber dem öffentlichen Rundfunk ausschließlich auf einen nur potentiellen Nutzen der Zahlungsschuldner zu stützen. Ob ein Haushaltsinhaber also überhaupt ein funktionsfähiges Empfangsgerät besitzt und nutzt, ist damit heute – anders als noch in Zeiten der Rundfunkgebühr – ohne jede Bedeutung. 

Die bloß theoretische Möglichkeit, Rundfunksendungen hören oder sehen zu können, legitimiert bereits die unbedingte Finanzierungspflicht des Bürgers. Die detektivische Arbeit der Rundfunkaußenmitarbeiter ist dadurch leichter geworden: Statt eine Wohnung kompliziert nach versteckten Transistorradios durchsuchen zu müssen, reicht heute eine unkomplizierte Haushaltssuche in den kommunalen Melderegistern. Wer schon nur wohnt, könnte dort hören oder sehen und muss also zahlen.

Unbedingt für eine Leistung bezahlen zu müssen, die tatsächlich nicht in Anspruch genommen wird, widerspricht indes der alltäglichen vertragsrechtlichen Lebenserfahrung vieler Menschen. Die fehlende Wechselbeziehung zwischen Leistung und Gegenleistung im Rundfunkrecht provoziert daher mittlerweile zunehmend Akzeptanzdebatten. Ein Weiteres kommt hinzu: Auch grundrechtsdogmatisch weicht das Modell des öffentlichen Rundfunks einschneidend von verfassungsrechtlichen Üblichkeiten ab.

Merkliche Irritationen im Rechtsempfinden

Obwohl die Sendeanstalten nämlich selbst Behörden sind, weist die Rechtsordnung ihnen die Rundfunkfreiheit als eigenes Abwehrgrundrecht zu. Die Sender kassieren daher Beiträge so resolut wie ein Amtsträger, sind aber journalistisch so unabhängig wie Privatleute. Diese außergewöhnlich privilegierte Lage der Sender führt zu merklichen Irritationen im Rechtsempfinden vieler beitragszahlender Bürger.
 

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Um eine dem Vertragsrecht wenigstens ähnliche Gegenseitigkeitsbeziehung zwischen den Sendern und ihren Finanziers zu schaffen, entwickelten Verfassungs- und Rundfunkrechtler schon vor geraumer Zeit die Rechtsfigur einer „dienenden Freiheit“ der Sender. Statt im Schutze grundrechtlicher Abwehrrechte auf Kosten anderer selbstverliebt und haltungsstolz nur eigene Auffassungen zu verbreiten, ist es mithin dezidierte Aufgabe und rechtliche Pflicht der Sender, plurale und vielfältige inhaltliche Arbeit abzuliefern. Dies ist im eingangs genannten „Medienstaatsvertrag“ auch gut lesbar so geregelt.

Gleichwohl sind mannigfaltige Versuche beitragsverpflichteter Bürger, die Ausgewogenheits- und Vielfaltspflicht der Sender verwaltungsgerichtlich durchzusetzen, in der Vergangenheit wiederholt gescheitert. Denn die verwaltungsgerichtliche Rechtsprechung verneint bislang ein zur individuellen Klage berechtigendes, subjektives Recht von Beitragszahlern auf inhaltliche Kontrolle der journalistischen Leistung von Sendeanstalten. Diese Nichtanerkennung eines substanziellen Mitspracherechtes der Beitragszahler hat deren Akzeptanzproblem mit dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk spätestens seit dem Ende der individuell vermeidbaren Rundfunkgebührenpflicht verständlicherweise weiter verschärft.

Eine hinreichende interne Selbstkontrolle

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes zeichnet sich nun allerdings eine Hoffnung spendende Bewegung zur Rechtsfortbildung ab. Am 24. April 2023 wiesen die im Anschluss an einen verwaltungsgerichtlichen Streit angerufenen Karlsruher Verfassungsrichter zu ihrem Aktenzeichen 1 BvR 601/23 eine Verfassungsbeschwerde ab. Und sie taten dies mit einer Begründung. Sie erklärten, der Bürger habe nicht ausreichend erläutert, nach welchen Maßstäben Verwaltungsgerichte die hinreichende interne Selbstkontrolle der Sender bei der Vielfaltsicherung ihres Programms prüfen sollten. 

Dies aber hätte von dem dortigen Beschwerdeführer schärfer konturiert werden müssen, um die Rundfunkfreiheit der Anstalten mit dem die Beitragszahlung rechtfertigenden Vorteil des Bürgers verfassungsrechtlich angemessen abgleichen zu können. Wer nämlich geltend mache, sich bei Gericht effektiv gegen unbillige Beitragspflichten wehren zu wollen, der müsse den Richtern auch erklären, warum genau der Sender ihm keinen ordnungsgemäßen Vorteil verschafft habe.

Die Bedeutung dieser höchstrichterlichen Bemerkung für das Rundfunkrecht ist nicht zu unterschätzen. Denn das Bundesverfassungsgericht verfügt grundsätzlich über das Privileg, abweisende Entscheidungen überhaupt nicht begründen zu müssen. Umgekehrt aber können die Richter ihre rechtlichen Gedanken dann offenlegen, wenn sie dies für eine künftige Rechtsentwicklung für sinnvoll erachten. Man sieht also offenbar rechtlichen Handlungsbedarf für das Rundfunkrecht in Karlsruhe.

Eine handfeste Qualitätsverbesserung herbeiführen

In welche Richtung könnte es nun sinnvollerweise weitergehen? Rein tatsächlich scheint schwer vorstellbar, jedem einzelnen Beitragszahler das Recht zuzuweisen, nötigenfalls mit gerichtlicher Hilfe persönlich auf die inhaltliche Programmgestaltung der Sender direkten und konkreten Einfluss nehmen zu können. Einer solchen Einschränkung der traditionellen Rundfunkfreiheit bedarf es indes auch gar nicht, um eine handfeste Qualitätsverbesserung des zunehmend in die Kritik geratenen öffentlichen Rundfunks herbeizuführen.

Denn die Sender sind ja durch den Medienstaatsvertrag bereits verpflichtet, die anerkannt geltenden journalistischen Standards „im besonderen Maße“ zu berücksichtigen. Die Verwaltungsgerichtsbarkeit kann also – ohne dass der Gesetzgeber dazu noch einmal selbst vorbereitend tätig werden müsste – umgehend dazu übergehen, den unbedingt zur Beitragszahlung verpflichteten Rundfunkteilnehmern die Klagebefugnis zuzugestehen, ein eigenes subjektives Recht auf Programmarbeit nach Maßgabe des elaborierten Presserechtes mitsamt all seiner Sorgfaltsregeln durchzusetzen. 

Auf diese Weise wird der gehobene journalistische Sorgfaltsmaßstab, der an die öffentlichen Anstalten anzulegen ist, einer bisher noch fehlenden rechtsstaatlichen Kontrolle durch Gerichte zugänglich. Es schließt sich damit eine klaffende rechtsstaatliche Systemlücke: Denn wenn beispielsweise gesetzlich pflichtversicherte Patienten ihre durch Beitragszahlung erworbenen medizinischen Behandlungsansprüche gegen Krankenkassen bei Gericht einklagen können, dann muss entsprechend auch jeder Rundfunkbeitragszahler qualitätsgesicherte Senderleistungen geltend machen können.

Drei ordnungspolitische Weiterentwicklungen

Doch nicht nur die Verwaltungsgerichtsbarkeit ist nun aufgerufen, den öffentlichen Rundfunk durch kluge Rechtsprechung vor weiteren Ansehensverlusten zu schützen. Auch der Gesetzgeber selbst sollte sich beeilen, das System gegen einen weiteren Verfall seiner Akzeptanz zu sichern. Drei ordnungspolitische Weiterentwicklungen erscheinen rechtssystematisch zeitgemäß:

Erstens sollte die Beitragszahlungspflicht mit dezidiert verbrieften Teilhaberechten der Bürger an den Rundfunkanstalten verbunden werden. Konkret: Wer zur Beitragszahlung herangezogen wird, muss das aktive und passive Wahlrecht für den Rundfunkrat seines zuständigen Senders haben. Statt indirekter Mitbestimmung über politisch entsandte Rundfunkräte aus legislativ für gesellschaftlich relevant gehaltenen Gruppen sollte der Rundfunk damit künftig unmittelbar demokratisch legitimiert werden. Eine solche Struktur existiert im Bereich der Sozialwahlen bereits. Zudem beseitigt dies den derzeit eigenwilligen Eindruck, bestimmte Gruppen von Beitragszahlern wären gesellschaftlich irrelevant.

Zweitens bedarf das Finanzsystem innerhalb der Sender einer eingehenden Revision und Neujustierung. Vollständige Transparenz über alle Zahlungsvorgänge bis hinein in die Subsysteme der medialen Zulieferindustrie wirkt populären Korruptionsmythen entgegen. Zudem sollte die Vergütung der Mitarbeiter behördenüblichen Niveaus angepasst werden. Warum verdient der Intendant einer Landesrundfunkanstalt mehr als der Präsident eines Oberlandesgerichtes? Sparsame Haushaltsführung hilft, Beitragszahler zu entlasten und Missempfinden gegenüber Sendern zu beseitigen.

Drittens sollte die rechtstaatliche Kontrolle einer verfassungsgemäß gelebten Rundfunkfreiheit nicht von dem Zufall abhängig sein, ob ein klagebereiter Beitragszahler einen Sorgfaltsmangel entdeckt. Die in Deutschland gut etablierten und ausgefeilten Grundsätze des Wettbewerbsrechtes lassen sich auch für das Konzert aller Sendeanstalten untereinander fruchtbar machen. Entdeckt die Sendeanstalt A, dass die Sendeanstalt B journalistische Standards verletzt hat, ist möglich, ihr Abmahn- und Unterlassungsansprüche zuzubilligen. Die damit etablierte wechselseitige Kontrolle der Rundfunkprofis untereinander – ergänzt vielleicht um ein finanzierungsrelevantes Bonus- und Malus-System nach Maßgabe aufgedeckter Fehler – wird helfen, die Qualität des öffentlichen Rundfunks und damit auch die Zufriedenheit der Beitragszahler mit seinen Sendungen wieder zu steigern.

Ein ordnungspolitisch wohlgeformter, in der Bevölkerung akzeptierter, seriös bewirtschafteter, gerichtlich behutsam kontrollierter und journalistisch sachlich arbeitender öffentlicher Rundfunk könnte ein wesentliches Element für die nötige Entspannung des derzeit übernervösen öffentlichen Diskurses sein.
 

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