Politischer Eklat bei der Documenta Fifteen - Antisemitismus: Jetzt also doch?!

Gegen die Documenta Fifteen wurden seit Jahresbeginn immer wieder Antisemitismus-Vorwürfe vorgebracht. Bisher hielten einige diese für unbegründet - doch jetzt, nur wenige Tage nach der Eröffnung der Weltkunstausstellung, sorgt das Kunstwerk eines indonesischen Künstlerkollektivs auf dem zentralen Friedrichsplatz in Kassel wegen antisemitischer Darstellungen für einen Eklat. Wie konnten die Organisatoren das zulassen?

Schweinsgesichter und andere Fratzen: Ausschnitt des umstrittenen Großgemäldes des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi auf dem Kasseler Friedrichsplatz / dpa
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Welche eine Ironie. Tagelang waren in den Vorbesichtigungstagen der Documenta Fifteen Journalistinnen und Journalisten über die Ausstellung gegangen, um wie Detektive in Kassel nach Spuren des Antisemitismus zu suchen, der den Documenta-Machern im Vorfeld vorgeworfen worden waren. Kritisch diskutiert wurde das Bild mit dem Titel „Guernica Gaza“ aus der Präsentation der Künstlergruppe Eltiqa aus dem Gaza-Streifen – doch Picassos Guernica zum x-ten Mal als Chiffre für die Schrecken des Krieges zu zitieren, ergibt vielleicht kein gutes Bild, aber ist nicht wirklich skandalisierbar. Ansonsten lautete die Diagnose: nichts gefunden.

Dennoch hielt Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier bei der Eröffnung der Schau am Samstag in Kassel eine Rede, die die Antisemitismus-Vorwürfe einfach als berechtigt darstellte. Die Kunstfreiheit sei ein wichtiger Pfeiler demokratischer Gesellschaften, habe aber auch ihre Grenzen, so Steinmeier. Kritik an israelischer Politik sei erlaubt. „Doch wo Kritik an Israel umschlägt in die Infragestellung seiner Existenz, ist die Grenze überschritten“, so der Bundespräsident.

Waren die Antisemitismus-Vorwürfe anfangs noch diskutabel, schienen sie es spätestens nicht mehr zu sein, als die indonesische Künstlergruppe Taring Padi am Wochenende den großen Banner auf dem Friedrichsplatz vor der Documenta-Halle enthüllte. Das große Banner zeigt in einem von mehreren Teilen Karikaturen von Soldaten mit Schweinegesichtern, die Mossad-Helme tragen, und, versteckt hinter einem grotesken Clown, auch die Karikatur eines Juden mit Schläfenlocke, Zigarre und SS-Zeichen auf dem Hut.

Die Documenta schwächt ihre Position

Taring Padi, gegründet Ende der 1990er-Jahre in politischer Opposition zu dem Regime des damaligen Präsidenten Suharto, bedienen sich in ihren Bannern, Gemälden und Pappaufstellern einer pointierten Agit-Prop-Ästhetik, sie arbeiten mit scharfen Karikaturen, aber auch den Bildwelten von Friedensbewegung, Ökobewegung oder Pro-LGBTQ. Über 1000 ihrer Pappaufsteller, teilweise in Workshops mit Kindern und anderen Gruppen aus Kassel produziert, sind auf dem Friedrichsplatz installiert.

In der satirischen Welt von Taring Padi wird niemand verschont, viele Karikaturen zielen auch auf die USA und auf lokale Machthaber. Zahllose Tierwesen bevölkern die Bilder, viele Symbole, die man als westlicher Betrachter, der den Kontext dieser Gruppe nicht kennt, nicht zuordnen kann.

Das Banner mit dem Titel „People’s Justice“ auf dem Friedrichsplatz ist dem Vernehmen nach über 20 Jahre alt, Kontext und Intention werden mit der Gruppe zu klären sein. Zweifellos aber überschreitet die Karikatur des Juden die Grenzen dessen, was in Deutschland gezeigt werden sollte. Immer wieder werden ähnliche Karikaturen in deutschen Medien scharf kritisiert und auch zurückgezogen, zu Recht. Mit diesem Bild schwächt die Documenta Fifteen ihre Position. Gerade nach all den Diskussionen vorab hätte das nicht passieren dürfen.

„Klare antisemitische Hetze“

Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, forderte die Verantwortlichen der Weltkunstausstellung in Kassel auf, einen Beitrag des indonesischen Künstlerkollektivs Taring Padi wegen antisemitischer Motive zu entfernen. „Das ist eine klare Grenzüberschreitung“, sagte Mendel am Montag der Deutschen Presse-Agentur. „Diese Bilder lassen überhaupt keinen Interpretationsspielraum zu. Das ist klare antisemitische Hetze.“ Das Werk müsse umgehend abgedeckt oder bestenfalls entfernt werden, forderte er. Im zweiten Schritt brauche es einen Dialog darüber, was schiefgelaufen sei und wo die blinden Flecken dieser documenta seien.

Dem indonesischen Kuratoren-Kollektiv Ruangrupa war schon vor Monaten von einem Kasseler Bündnis vorgeworfen worden, auch Organisationen einzubinden, die den kulturellen Boykott Israels unterstützten oder antisemitisch seien. Ruangrupa und die documenta wiesen die Anschuldigungen entschieden zurück. Später schaltete sich auch der Zentralrat der Juden in Deutschland ein. Eine zur Beruhigung gedachte Diskussionsreihe wurde abgesagt.

Bislang hatte sich Mendel in der Debatte hinter die documenta gestellt. Er sagte, er sehe dort keinen Antisemitismus, kritisierte aber die fehlenden Positionen von jüdischen Künstlern aus Israel. Mendel betonte am Montag, nicht die gesamte Ausstellung sei als antisemitisch zu bezeichnen. „Man muss da differenzieren. Da ist sicher etwas schiefgelaufen. Aber so etwas sollte nicht passieren.“ Die Verantwortung, dafür Sorge zu tragen, läge nun bei den Kuratoren und der Leitung der Documenta Fifteen.

Hessens Kunstministerin will Generaldirektorin zur Rede stellen

Auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth fand deutliche Worte: „Das ist aus meiner Sicht antisemitische Bildsprache“, teilte die Grünen-Politikerin mit. „Ich sage es noch einmal: die Menschenwürde, der Schutz gegen Antisemitismus, wie auch gegen Rassismus und jede Form der Menschenfeindlichkeit sind die Grundlagen unseres Zusammenlebens, und hier findet auch die Kunstfreiheit ihre Grenzen.“ Die documenta müsse das umgehend gegenüber den Kuratoren und Künstlern deutlich machen und „die notwendigen Konsequenzen“ ziehen.

„Auch mein persönlicher Eindruck ist, dass hier eine antisemitische Bildsprache vorliegt“, teilte die stellvertretende documenta-Aufsichtsratsvorsitzende, Hessens Kunstministerin Angela Dorn (Grüne), mit. Sie habe deshalb umgehend Kontakt zur Generaldirektorin der documenta, Sabine Schormann, aufgenommen – mit dem Ziel, schnellstmöglich eine Klärung herbeizuführen – gegebenenfalls auch unter Hinzuziehung von Expertinnen und Experten für Antisemitismus aus der Wissenschaft.

Dorn zufolge ist Schormann bereits tätig geworden. Sie rechne damit, „dass wir uns zeitnah als Gesellschafter der documenta gGmbH in einer Sondersitzung mit den Ergebnissen befassen werden“, erklärte die Ministerin. „Ich habe immer gesagt, dass antisemitische Ressentiments und Antisemitismus auf der documenta nicht zum Ausdruck kommen dürfen.“ Das hätten auch die documenta und Ruangrupa selbst immer wieder betont.

Als „eindeutig antisemitisch“ bezeichnete der Antisemitismusbeauftragte der hessischen Landesregierung, Uwe Becker, die Bildsprache des umstrittenen Beitrages. „Dieses Werk muss weg, und es ist Aufgabe der documenta, sich nun mit Entschlossenheit der eigenen Verantwortung zu stellen“, teilte er mit.

„Rote Linie überschritten“

Auch der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, zeigte sich am Montag empört. Der Rat sei für seine Bedenken gegenüber der diesjährigen documenta von vielen Seiten kritisiert worden. Sogar Rassismus sei ihm indirekt vorgeworfen worden. „Es spielt jedoch keine Rolle, woher Künstler stammen, die Antisemitismus verbreiten“, betonte Schuster. Kunstfreiheit ende dort, wo Menschenfeindlichkeit beginne. „Auf der documenta wurde diese rote Linie überschritten.“ Die Verantwortlichen müssten jetzt ihrer gesellschaftlichen Verantwortung gerecht werden und Konsequenzen ziehen, forderte er.

Von einem „Skandal mit Ansage“ sprach der Geschäftsführer des Deutschen Kulturrates, Olaf Zimmermann: „Die Gesellschafter der Documenta Fifteen, also die Stadt Kassel und das Land Hessen, müssen jetzt für Klarheit sorgen, da die Geschäftsführung der Documenta Fifteen offensichtlich dazu nicht bereit oder in der Lage ist.“

Die AfD im Landtag von Hessen verlangte gar, die Documenta Fifteen zu beenden. Die antisemitische Kunst müsse umgehend entfernt werden und Schormann zurücktreten, sagte Frank Grobe, kulturpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion. „Sie hat die Verantwortung dafür zu tragen, dass auf der weltweit bedeutendsten Ausstellung für zeitgenössische Kunst ausgerechnet in Deutschland antisemitische Bilder gezeigt werden.“

Die documenta, seit 1955 in Kassel, gilt neben der Biennale in Venedig als weltweit bedeutendste Ausstellung zeitgenössischer Kunst. Sie wird nur alle fünf Jahre veranstaltet. Die Schau dauert bis zum 25. September.

Text: Elke Buhr, mit Material von dpa

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