Zum CDU-Parteitag in Hannover - „Wir dürfen nicht vor allem um uns selbst kreisen"

Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert warnt die CDU davor, sich zu sehr mit sich selbst beschäftigen. Zwar brauche es nach der „krachenden Wahlniederlage" eine inhaltliche und organisatorische Neuorientierung. Doch mit Blick auf die Debatte um die Frauenquote auf dem am Freitag beginnenden Parteitag sagte er: „Satzungsfragen sind doch eher selten Anlass für Begeisterung."

Partei-Veteran Norbert Lammert zusammen mit dem neuen Parteivorsitzenden Friedrich Merz / dpa
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Autoreninfo

Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Der CDU-Politiker Norbert Lammert ist seit 2018 Vorsitzender der parteinahen Konrad-Adenauer-Stiftung. Von 2005 bis 2017 war er Präsident des Deutschen Bundestages. Seit 1980 war er Abgeordneter. 

Sie sind seit über 50 Jahren Mitglied der CDU und fahren jetzt erneut als Delegierter zum Bundesparteitag. Fühlen sich Bundesparteitage in Oppositionszeiten anders an als in Regierungszeiten? 

Natürlich gibt es Unterschiede: Parteitage zu Regierungszeiten beschäftigen sich auch immer mit dem Erklären und Rückkoppeln von Regierungshandeln. Andererseits kann sich die Partei in der Opposition nicht hinter der „eigenen“ Regierung verstecken. Das gibt aber insgesamt mehr Beinfreiheit, die man dann für vertiefte, auch mal kontroverse programmatische Debatten nutzen muss. 

Was muss dieser Bundesparteitag leisten? 

Es ist der erste Präsenz-Parteitag seit November 2019 – und der erste seit der krachenden Niederlage bei der Bundestagswahl. Natürlich wird es darum gehen, eine Grundlage zu legen für künftige Erfolge – also die organisatorische und inhaltliche Erneuerung anzupacken. Zugleich muss er aber auch deutlich machen, dass wir in dieser schwierigen Zeit – russischer Angriffskrieg auf die Ukraine, ein neuer globaler Systemkonflikt, Energiekrise und Klimawandel, Inflation – unserer staatspolitischen Verantwortung als stärkste Oppositionspartei gerecht werden und uns mit diesen Themen, die die Bürgerinnen und Bürger umtreiben, auseinandersetzen – und nicht vor allem um uns selbst kreisen. 

In der Regierungszeit unter Angela Merkel ist die Partei programmatisch ausgedünnt. Was sind die drei wichtigsten Punkte, die jetzt das neue Grundsatzprogramm bearbeiten sollte? 

Aus meiner persönlichen Sicht gehört dazu zunächst das Selbstverständnis der Partei: Wie gehen wir als christdemokratische Partei damit um, dass in unserer Gesellschaft inzwischen weniger als die Hälfte der Menschen überhaupt noch einer der beiden christlichen Kirchen angehört? Was bedeutet das für uns und die entsprechenden Politikfelder? Und wie erfüllen wir das Versprechen des in der Gründungsphase der Partei so wichtigen, geradezu revolutionären Unionsgedankens, der Gräben überwinden und Brücken bauen will, in einer Gesellschaft, in der die Gegensätze eher zunehmen? Als zweiten Punkt sehe ich die Frage, wie wir die Soziale Marktwirtschaft – in diesem Jahr war der 125. Geburtstag von Ludwig Erhard – in Zeiten von Globalisierung, Lieferkettenproblemen, Alterung der Gesellschaft, Klimawandel und Digitalisierung ausgestalten müssen. Und als drittes: Welche Zukunftsvorstellung haben wir von Europa? Angesichts globaler Herausforderungen werden gemeinsame europäische Antworten immer wichtiger; gleichzeitig lässt die Bereitschaft, stärker in der EU zusammenzuarbeiten und Zuständigkeiten zu bündeln, derzeit aber in allen Mitgliedsstaaten eher nach. Wie können wir die Menschen von der Notwendigkeit einer weiteren Vertiefung überzeugen? Keine dieser Fragen ist einfach zu beantworten. Aber umso wichtiger ist, dass wir sie nun angehen. 

Sie sprechen die Frage des Religiösen an. Wäre es richtig, einen Katholischen Arbeitskreis in der Union zu etablieren? 

Mit Blick auf den Evangelischen Arbeitskreis erscheint es erst einmal nicht abwegig, dass sich auch die Katholiken in der CDU organisieren. Tatsächlich sehe ich historisch wie aktuell keine Notwendigkeit für zusätzliche Organisationsformen, zumal der Partei- und Fraktionsvorsitzende römisch-katholisch ist, der Generalsekretär ebenso; auch der Erste Parlamentarische Geschäftsführer und die Bundestagsvizepräsidentin, um nur ein paar Beispiele zu nennen. 

Spricht Sie der Begriff „bürgerlich“ an, der jetzt neu ins Programm Einzug erhalten soll? 

Die Frage, ob dieser Begriff in unsere Programmatik aufgenommen werden soll, lässt sich mit guten Argumenten in die eine wie die andere Richtung beantworten. Es ist sicher kein Zufall, dass diese Debatte jetzt geführt wird. Denn die Grünen als frühere Nischenpartei nähern sich den Volksparteien an und haben mit ihrem Anspruch, mittlerweile auch "bürgerlich" zu sein, eine neue Wettbewerbssituation geschaffen. Deswegen halte ich es für unvermeidlich, dass die Partei klärt, was sie darunter versteht. Allerdings kann der Begriff nicht an die Stelle des Markenkerns der CDU treten, als christliche, soziale und liberale Volkspartei. 

Was ist die Rolle der Konrad-Adenauer-Stiftung im Programm-Prozess? 

Politische Stiftungen sind weder der verlängerte Arm noch der ausgelagerte Kopf ihrer jeweiligen befreundeten politischen Parteien, und sie sollten es auch nicht werden. Was wir jedoch tun können: Aufzeigen, dass nicht alle Probleme und Herausforderungen neu sind – etwa die ungewohnte, aber doch schon zweimal absolvierte Oppositionsrolle –, und dass es manches schon mal gegeben hat und bewältigt wurde. Dafür steht beispielsweise unser aktuell vorgelegtes „Handbuch zur Geschichte der CDU“, das einen Beitrag dazu leistet, die besondere Verantwortung der CDU als Stabilitätsanker unserer Demokratie zu verdeutlichen. Diese Geschichte zu kennen, kann Zuversicht geben für das, was kommt. Wir können außerdem durch unsere inhaltliche Arbeit konkrete Impulse geben. So haben wir uns zum Beispiel intensiv mit der Frage beschäftigt, wie wir die Erfolgsgeschichte der Sozialen Marktwirtschaft auch in Zeiten von Klimawandel und Ressourcenknappheit fortschreiben können: Indem wir sie ökologisch erneuern. Wir sind mit unseren vielfältigen internationalen Aktivitäten Seismograph für Entwicklungen weltweit, die immer auch Rückwirkungen auf Deutschland haben. Und wir können und werden als Adenauer-Stiftung auch eine Plattform bieten für Debatten, die in der Gesellschaft stattfinden müssen – ob über Dienstpflicht, Freihandel oder Energiepolitik. 

Können Sie sich für die Frauenquote begeistern? 

Satzungsfragen sind doch eher selten Anlass für Begeisterung. Aber nachdem wir mit gut gemeinten Appellen und freiwilligen Regelungen in der Vergangenheit außerordentlich bescheidene Fortschritte erzielt haben, leuchtet mir ein, dass wir jetzt mindestens den umgekehrten Versuch unternehmen müssen. Und aus meiner Sicht können sich hinter dem vorgelegten Kompromissvorschlag der Parteiführung Alle guten Gewissens versammeln. 

Als Sie 1980 in den Bundestag einzogen, war die CDU auch in der Opposition. Wofür sind Oppositions-Zeiten gut? 

Wie schon gesagt: Man muss keine Rücksicht auf die Regierungsarbeit nehmen, hat also mehr Bewegungsfreiheit, kann stringenter programmatisch agieren. Zur Wahrheit gehört aber auch: Jedes Papier, das man als Fachsprecher in der Opposition schreibt, ist ein Beitrag zur öffentlichen Debatte, bleibt aber zumeist ein kluger Gedanke ohne konkrete Auswirkungen. Und weil es der Union immer mehr um das Gestalten als um das Beschreiben von Sachverhalten geht, sind wir nicht nur in unserem Selbstverständnis eine Regierungspartei. Damit das auch in den Augen vieler Bürgerinnen und Bürger bald wieder so wird, gilt es nun, die richtigen Weichen zu stellen – inhaltlich, organisatorisch, personell. 

Hätten Sie sich gewünscht, dass Angela Merkel zum Parteitag kommt? 

Selbstverständlich wäre sie hochwillkommen, aber es ist gewiss zu respektieren, dass Angela Merkel nach dem Ende ihrer Amtszeit sehr konsequent entschieden hat, sich aus aktueller Tagespolitik und Parteipolitik herauszuhalten. 

Wie kann die CDU Profil gewinnen in einer Zeit, in der durch große äußere Bedrohung der politische Konsens sich mehr anbietet, als der Konflikt, siehe etwa Sondervermögen? 

Nach meinem Eindruck gelingt ihr das bislang unter Friedrich Merz gut. Dass die Union, die über Jahrzehnte das Land regiert und geprägt hat, sich angesichts der gewaltigen Herausforderungen nicht einfach auf die Oppositionsrolle zurückziehen kann, aber auch nicht so tun sollte, als sei sie noch Bestandteil der Regierung, ist für mich plausibel. Deswegen war es auch richtig, deutlich zu machen, dass die Opposition zum Beispiel das angesprochene Sondervermögen für die Bundeswehr mitträgt, aber zugleich den Anspruch zu formulieren, an der Ausgestaltung im Grundgesetz beteiligt zu werden. Alles andere hätten unsere Anhängerinnen und Anhänger auch nicht verstanden, weil wir uns schon seit vielen Jahren für eine bessere Ausstattung der Bundeswehr und mehr internationale Verantwortung Deutschlands aussprechen. Dieses Zusammenstehen aller Demokraten angesichts der russischen Aggression schließt aber natürlich nicht aus, immer dann die Finger in die Wunde zu legen, wo es dringend geboten ist – beispielsweise bei zögerlichen Waffenlieferungen an die Ukraine, unzureichenden Antworten auf die hohe Inflation oder Ungereimtheiten in der Ausgestaltung der Gasumlage. Da ist es Aufgabe der Opposition, deutlich zu machen, wie man es besser machen kann.
 

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