Wolfgang Schäuble und der Bundeshaushalt - Der Herr der schwarzen Null

2014 legte Wolfgang Schäuble den ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 45 Jahren vor. Fünf Jahre blieb das so. Doch 2020 wurde in nur einem Jahr das von Schäuble Ersparte als Kredit aufgenommen. Man sollte zu seiner Politik zurückkehren.

Wolfgang Schäuble / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Dezember 2013. Das dritte Kabinett von Angela Merkel steht. Das Finanzministerium übernimmt wieder Wolfgang Schäuble. Das ist keine Überraschung. Schäuble gilt zwar nicht als engster Freund der Kanzlerin. Ohne den Skandal um Kohls Parteispenden wäre wohl er, Schäuble, Kanzler geworden, und nicht „Kohls Mädchen“. Doch Schäuble hat, wie er selbst einmal sagte, einen eigenen Kopf, ist jedoch loyal. Die Kanzlerin weiß das zu schätzen.

Entsprechend verkündete der damalige CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe nicht ohne Stolz und mit Blick auf die finanziellen Wünsche des neuen Koalitionspartners SPD: „Ich sage ausdrücklich, dass für unsere Partei von größter Bedeutung war, und ich glaube auch für viele Wählerinnen und Wähler, dass die Frage solider Finanzen und der Einsatz für einen stabilen Euro in den bewährten Händen von Wolfgang Schäuble bleibt.“

Und tatsächlich gelang es Finanzminister Wolfgang Schäuble 2014, den ersten ausgeglichenen Bundeshaushalt seit 1969 vorzulegen. Das war keine kleine Leistung. Als Schäuble 2009 als Nachfolger Peer Steinbrücks Finanzminister im Kabinett Merkel II wurde, war die Finanzkrise auf ihrem Höhepunkt. Der deutsche Staat kämpfte mit Staatsgeldern dagegen an. Finanziert wurde das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, das Maßnahmenpaket „Beschäftigungssicherung durch Wachstumsstärkung“ und ein Konjunkturprogramm mit dem malerischen Namen „Pakt für Beschäftigung und Stabilität in Deutschland zur Sicherung der Arbeitsplätze, Stärkung der Wachstumskräfte und Modernisierung des Landes“. Darin enthalten etwa die berühmte Abwrackprämie für PKW.

Das Ziel, ohne neue Schulden auszukommen, wurde schon 2014 erreicht

Das alles kostete natürlich Geld. Sehr viel Geld. Allein die beiden Konjunkturpakete I (von 2008) und II (von 2009) beliefen sich zusammen auf etwa 64 Milliarden Euro. (Wie sich die Zeiten ändern: Das ist ziemlich genau der Betrag, den die aktuelle Regierung eben mal von Schattenhaushalt zu Schattenhaushalt verschieben wollte.) Wolfgang Schäuble trat nun, im Herbst 2009, mit dem Vorsatz als Finanzminister an, dass diese Ausgabenorgie nun ein Ende haben müsse. Und tatsächlich gelingt es ihm, Jahr für Jahr die Neuverschuldung des Bundes hinunterzudrücken. 2014 will er noch einmal – ein letztes Mal – 6,5 Milliarden Euro an neuen Schulden aufnehmen. Danach soll Schluss sein. Doch im Januar 2015 wird klar: Das Ziel, ohne neue Schulden auszukommen, wurde schon 2014 erreicht. Die berühmte „schwarze Null“ war geboren.

Für Wolfgang Schäuble wird die „schwarze Null“ von nun an so etwas wie ein Markenzeichen und damit Messlatte und Selbstverpflichtung. Ein ausgeglichener Haushalt, das soll von nun an die Regel werden. Und tatsächlich gelingt Schäuble das Kunststück auch in den Folgejahren 2015 und 2016. 2015 erzielt der Bund sogar einen Haushaltsüberschuss von 12 Milliarden Euro, die der Finanzminister in eine Rücklage umschichtet, um die anfallenden Kosten für die Flüchtlinge begleichen zu können.

 

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Schaut man genauer hin, ist die Geschichte vom Haushaltsüberschuss allerdings nicht ganz so strahlend, wie sie auf den ersten Blick scheint: Das Geld entstammt unter anderem aus Bereitstellungen für Kindergärten und Schulen, die von Ländern- und Kommunen nicht abgerufen wurden, da diese ihren jeweiligen Anteil nicht zahlen konnten.

Und auch in anderen Bereichen spart Schäuble auf Kosten der Substanz: Bundeswehr etwa oder Infrastruktur. Anders als Franz-Josef Strauß, der 1969 den letzten ausgeglichenen Bundeshaushalt für Jahrzehnte vorlegte, agiert Wolfgang Schäuble in einem renovierungsbedürftigen Land. Die Jahre der schwarzen Null erklären sich auch zum Teil aus der Geschichte des Investitionsstaus, der sich in den letzten Jahrzehnten aufgebaut hat.

Sechs Jahre kam der Staat ohne Nettokreditaufnahme aus, dann kam die Ampel

Allerdings hat Wolfgang Schäuble immer wieder darauf hingewiesen, dass das Problem nicht auf der Einnahmenseite liegt. Auch schon zu seinen Zeiten sprudelten die Steuereinnahmen. Allerdings betrug Schäubles Kernhaushalt 2015 knapp 300 Milliarden Euro. Der Haushalt 2022 umfasste 480 Milliarden. Das ist eine Erhöhung des Bundeshaushalts um 60 Prozent in sieben Jahren. Und das Geld reicht angeblich immer noch nicht. Wolfgang Schäuble hatte recht: Das eigentliche Defizit der Haushaltsplanung des Staates ist nicht das vorhandene Geld, sondern die Ineffizienz und Planlosigkeit, mit der es ausgegeben wird.

Sechs Jahre kam der deutsche Staat ohne Nettokreditaufnahme aus, von 2014 bis 2019. Dann kam die Ampel. Und wie ein Drogenabhängiger, der endlich wieder an Stoff kommt, langt man voll zu. Lag in den Jahren 2005 bis 2013 die Neuverschuldung im Durchschnitt bei etwas über 20 Milliarden Euro im Jahr, so betrug sie 2020 (dem ersten neuen Schuldenjahr) 130 Milliarden, im Jahr darauf 215 Milliarden.

Oder anders formuliert: Das Werk Schäubles, es wurde mit einem einzigen Bundeshaushalt pulverisiert. Statt mit Trauerworten in Moll sollte man den Verstorbenen lieber mit Taten ehren und wieder zu dessen Haushaltsdisziplin zurückkehren. Es wäre vermutlich in seinem Sinne.

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