Kramp-Karrenbauers "Ultima Ratio" bei der Migration - In letzter Konsequenz gegen Merkel

Mit ihrer frisch gekürten Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer stellt sich die Union den Lebenslügen der Ära Merkel. Aber die Folgen des Kontrollverlusts während der Flüchtlingskrise sind damit noch lange nicht behoben

Die Zukunft im Blick, die Vergangenheit im Nacken: Gelingt der CDU der Neuanfang? /picture alliance
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Alexander Marguier ist Chefredakteur von Cicero.

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„Werkstattgespräch“, dieses Wort klingt so unverbindlich wie „Brainstorming“ oder „Fragestunde“. Tatsächlich aber dürfte jenes „Werkstattgespräch“, das die CDU vor wenigen Tagen zum Thema Migration abgehalten hat, durchaus mehr gewesen sein als ein nettes Plauderstündchen: Von nichts weniger als einer „Neujustierung der Migrationspolitik“ seiner Partei sprach etwa der CDU-Bundestagsabgeordnete Alexander Throm, Mitglied des Innenausschusses. Gekrönt wurde diese Einschätzung durch ein Statement der neuen Parteichefin höchstpersönlich: Im Falle eines Zuzugs in der Dimension vom Herbst 2015 wäre eine Grenzschließung als Ultima Ratio „durchaus denkbar“, so Annegret Kramp-Karrenbauer in der ARD. Das muss nicht als explizite Distanzierung von Angela Merkel gemeint gewesen sein, in der Sache aber wurde die Kanzlerin („Wir können die Grenzen nicht schließen“, Oktober 2015) gleich doppelt widerlegt: Es wäre nämlich nicht nur möglich, man würde es zur Not auch tun.

Die Ära Merkel geht also zu Ende; Lebenslügen und offenkundig manifeste politische Falschaussagen der vergangenen Jahre werden sang- und klanglos abgeräumt oder revidiert. Wurden Kritiker der verheerenden Merkel-Doktrin vor gar nicht allzu langer Zeit noch in die Nähe völkischer Putschisten gerückt, so verkörpern sie nun auf einmal den Mainstream der Partei. Ob diese jetzt auch offizielle Kurskorrektur den brutalen Verlust an Vertrauen und an Wählerstimmen für die CDU zumindest teilweise zurückholen kann, wird sich zeigen. Eines ist jedenfalls sicher: Präsidium und Vorstand der Partei – jene Gremien also, in denen bald die Ergebnisse des Migrationsworkshops diskutiert werden – können sich eine nachträgliche Verwässerung schlichtweg nicht leisten. Denn dann wäre der mühsam eingeschlagene Weg der Befriedung verbaut, den die CDU so dringend nötig hat.

Der AKK-Bonus

Kramp-Karrenbauer ist sich dessen natürlich sehr wohl bewusst. Und hier kommt es der neuen Parteivorsitzenden zugute, dass sie in der Vergangenheit gerade nicht als Hardlinerin aufgetreten ist. Wäre Anfang Dezember nicht sie, sondern Friedrich Merz an die CDU-Spitze gewählt worden, würden ihm bei exakt gleicher Vorgehensweise mit Sicherheit Wellen der Empörung entgegenschlagen: aus Teilen seiner eigenen Partei, ganz zu schweigen von Opposition und Medien. Der scheinbar sanften AKK hingegen lässt man es fast klaglos durchgehen. So funktioniert Politik.

Tatsächlich hatte Kramp-Karrenbauer schon das Setting des „Werkstattgesprächs“ keineswegs als Kuschelrunde angelegt. Sie hätte es ja durchaus in der Hand gehabt, durch Auswahl der Teilnehmer ein mehr oder weniger harmloses Kaffeekränzchen daraus zu machen, um Merkels Handeln im Nachhinein ins milde Licht vermeintlicher Humanität und Alternativlosigkeit zu tauchen. Aber das war nicht der Fall. Allein schon die Anwesenheit von Leuten wie Bundespolizeichef Dieter Romann oder dem kritischen Innenpolitikers Armin Schuster zeigen, dass nicht der Weg des geringsten Widerstands gewählt wurde. Auch die Expertise von betroffenen Kommunalpolitikern oder des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge beim „Werkstattgespräch“ spricht für den Willen zu einer ernsthaften Auseinandersetzung mit den Problemen. Leider war so etwas lange Zeit keine Selbstverständlichkeit.

Spielt der Koalitionspartner mit? 

Die CDU hat sich also neu justiert und wagt einen Neuanfang. Leicht wird es nicht, zumal die Betonung tatsächlich auf „Anfang“ liegt. Denn jetzt geht es nicht nur darum, die beschlossenen Maßnahmen – von schärferen Sanktionen bei Fehlverhalten bestimmter Asylbewerber bis zu einer sofortigen Abschiebung bei schwererer Straffälligkeit – in geltendes Recht zu gießen und dann vor allem konsequent umzusetzen. Auch die Partner müssen eingebunden werden. Das dürfte mit den derzeitigen Koalitionsgenossen von der SPD übrigens sogar einfacher sein als mit den Grünen, die ja inzwischen in weiten Teilen der CDU als Traumkandidaten für eine künftige Regierung gelten.

Nicht zuletzt bleibt der immer wieder beschworene Schutz der europäischen Außengrenze bis auf weiteres ein frommer Wunsch in politischen Sonntagsreden. Da können die Teilnehmer der CDU-Migrationswerkstatt nämlich noch so beherzt fordern, die EU-Grenzschutztruppe Frontex innerhalb der nächsten zwei Jahre auf 10.000 Leute aufzustocken. Die entscheidende Frage wird vielmehr sein, ob Frontex – sollte es überhaupt so weit kommen – dann auch über ein Mandat verfügt, das robust genug ist, um den Schutz wirksam auszuüben. Davon ist man heute weit entfernt.

Eines ist sicher: Migration wird auch in den nächsten Jahren und Jahrzehnten ein bestimmendes Thema für die Politik bleiben. Dass die CDU jetzt offenbar doch noch die Kraft gefunden hat, sich auf eine realistische Agenda zu verständigen, ist ein Fortschritt. Dass es dafür erst einer neuen Parteivorsitzenden bedurfte, spricht allerdings Bände.

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