Weihnachten - Mein politischer Wunschzettel 2023

Freiheit und Demokratie mehr schätzen, sprachlich abrüsten, Antisemitismus abschaffen und die Menschen nehmen, wie sie sind - die Liste der Wünsche ist auch in diesem Jahr wieder lang. Aber wann, wenn nicht zu Weihnachten, darf man noch hoffen und wünschen?

Viel zu tun: Nelli Lunkenheimer, das neue Nürnberger Christkind / dpa
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Autoreninfo

Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Liebes Christkind,

vor einem Jahr hatte ich mir gewünscht, „dass 2023 ein etwas normaleres Jahr wird als die vergangenen drei Jahre“. Das hat leider nicht ganz geklappt. Corona legt nicht mehr das halbe Land lahm, ist zu einer Krankheit unter vielen geworden. Doch die Ukraine muss sich weiterhin gegen Putin wehren, und der brutale Überfall der Hamas hat uns gezeigt, dass Menschen wie Bestien handeln können. 

Im Vergleich dazu geht es uns hier ja noch „gold“ – trotz einer zerstrittenen Bundesregierung, einer zunehmenden Polarisierung in der Gesellschaft und eines erschreckenden Antisemitismus.

Ich erlaube mir deshalb ein paar Wünsche zu äußern – für unser Land und für mich als Bürger. Insbesondere wünsche ich mir:

… dass Freiheit und Wohlstand mehr geschätzt werden

Wir nehmen so vieles als selbstverständlich hin: unsere bürgerlichen Freiheiten und demokratischen Rechte, den Wohlstand, den die allermeisten genießen dürfen, die Abwesenheit einer realen Kriegsgefahr.

Das ist insgesamt erfreulich, verleitet aber schnell dazu, sich zu intensiv mit Nebensächlichkeiten zu beschäftigen. Ohnehin sind die Deutschen „ein übelgelauntes Volk, dem es gut geht“. Was der Publizist Johannes Gross schon vor ein paar Jahrzehnten festgestellt hat, ist unverändert aktuell.

Wenn die Weltuntergangsstimmung, die Panik oder das Gerede über den angeblich unaufhaltsamen drohenden Abstieg – politisch wie wirtschaftlich – durch einen realistischen Optimismus abgelöst würden, wäre das Leben viel schöner.  

… dass die Demokratie nicht als selbstverständlich betrachtet wird

Vor zwanzig Jahren hätte ich Haus und Hof verwettet, dass die Vereinigten Staaten ein Hort der Demokratie sind und bleiben – „A Shining City Upon a Hill“. Das sind die USA seit der Wahl Trumps zum Präsidenten nicht mehr. Und bei einer möglichen Wiederwahl dieses Mannes würden sich nur Putin und die Chinesen freuen. 

Bei uns in Deutschland ist die freiheitliche und pluralistische Gesellschaft ebenfalls in Gefahr. Von Rechtsaußen droht ebenso Gefahr wie vom anderen Ende des politischen Spektrums, wo sich eine neue Partei zu etablieren versucht – national und sozialistisch zugleich. 

Wir sind von „Weimarer Verhältnissen“ noch weit entfernt. Doch gibt es eine Parallele: In der bürgerlichen Mitte sind sich zu viele zu fein für die Politik und haben keine Skrupel, sich einen zu wünschen, der „endlich mal aufräumt“. Ich wünsche mir mehr Wachsamkeit gegenüber den Feinden der freien Gesellschaft – und mehr Demokraten, die sich für unsere Demokratie einsetzen.  

… dass die Politik die Menschen nicht überfordert

„Krisenmodus“ wurde nicht ohne Grund zum Wort des Jahres. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine, der in Wirklichkeit ein Krieg gegen den Westen ist, Inflation, Energiekrise, Flüchtlingskrise, Zeichen wirtschaftlicher Schwäche – es ist einiges zusammengekommen.

Da wünsche ich mir Politiker, die nicht nur so tun, als hätten sie das Ganze im Griff, sondern bei denen das auch tatsächlich der Fall ist. Leider erleben wir allzu oft das Gegenteil: hektisches Regierungshandeln statt Regieren mit ruhiger Hand, Verunsicherung der Menschen, von Arbeitnehmern wie Selbständigen und Managern, statt der Vermittlung von Vertrauen und Zuversicht.

Vor allem wünsche ich mir, dass die Politik die Sorgen der Menschen ernst nimmt und sie nicht ständig überfordert – mit Blick auf den ungeregelten und unkontrollierten Zustrom von Menschen, in Bezug auf die Weigerung von Migranten aus fremden Kulturen, nach unseren Regeln zu leben, in Anbetracht der Umwälzungen auf dem Arbeitsmarkt. 

… dass der Staat bei der Einhaltung von Gesetzen ein Vorbild ist

Ohne feste Regeln ist ein geordnetes Zusammenleben nicht möglich, nicht in der Familie, nicht in einer Gruppe und erst recht nicht im Staat. Gesetze – ob sie uns zusagen oder nicht – machen den Unterschied zwischen dem Dschungel und der Zivilisation. 

Der Staat erwartet, dass die Bürger sich an Recht und Gesetz halten. Doch gibt er selbst allzu oft ein schlechtes Bild ab. Millionen von Immobilienbesitzern haben sich mit den Formularen für die Grundsteuer abgequält, um hinterher zu erfahren, dass Länder und Gemeinden bei der Neubewertung von Häusern und Grundstücken die verbindlichen Fristen nicht einhielten. 

Besonders schlimm ist es, wenn die Regierenden gegen die Verfassung verstoßen – und das hinterher als Kleinigkeit abzutun versuchen. Ich wünsche mir keine Heiligen in Regierung und Parlament. Ich wünsche mir seriöse Männer und Frauen, die von sich nicht weniger verlangen als vom Bürger: Gesetzestreue.

… dass wir Solidarität richtig definieren

Die Bundesrepublik ist ein sozialer Staat. Einzelfallgerechtigkeit gibt es auch hierzulande nicht. Wenn ein Gemeinwesen 30 Prozent seiner gesamten Wirtschaftsleistungen für Soziales aufwendet, dann kann man es zu Recht als Sozialstaat bezeichnen.

Das System beruht darauf, dass die Leistungsfähigen die Hilfen für diejenigen finanzieren, die ihren Lebensunterhalt aus gesundheitlichen Gründen oder altersbedingt nicht selbst bestreiten können. Hier gilt das Prinzip der Solidarität.

Ich wünsche mir, dass wir Solidarität nicht so einseitig definieren, wie viele Politiker das gern tun: Die einen geben und die anderen nehmen. Auch die Hilfeempfänger müssen sich solidarisch verhalten, und zwar mit denen, die sie finanzieren. Wenn der Staat auf Kosten der Steuer- und Beitragszahler selbst diejenigen großzügig versorgt, die sich durchaus selbst versorgen könnten, handelt er in hohem Maße unsolidarisch. 

Solidarität kann keine Einbahnstraße sein. Andernfalls schlägt Solidarität in Ausbeutung um – in Ausbeutung der Fleißigen durch die Faulen.  

… dass wir sprachlich abrüsten

Unsere Gesellschaft ist nicht gespalten, aber polarisiert. Der Ton der Auseinandersetzungen wird schärfer, geht allzu oft ins Verleumderische über. Im Schutz der Anonymität in den sogenannten sozialen Netzwerken toben sich viele aus, die gerne pöbeln, diffamieren, Lügen verbreiten.

Politische Kontroversen dürfen hart ausgefochten werden, hart in der Sache, aber in einem vernünftigen Ton. Ich wünsche mir, dass wir alle sprachlich abrüsten: in der Politik, in den Medien, am Arbeitsplatz wie in den Hochschulen. 

Nicht jeder, der mit der Zuwanderungspolitik nicht einverstanden ist, ist deshalb ein Nazi, nicht jeder Fehlgriff eines Politikers ist ein Skandal, nicht immer, wenn ein Ziel nicht erreicht wird, handelt es sich um Versagen. Der Ton macht die Musik – im Guten wie im Schlechten. 

… dass Antisemitismus verschwindet

Es ist zum Schämen: Noch nie seit der Nazizeit war jüdisches Leben in Deutschland so gefährdet wie heute. Es gab unter den Deutschen schon immer links- und rechtsextremistische Antisemiten; nun ist der importierte, islamistische Antisemitismus dazugekommen.

Ich wünsche mir, auch wenn das nicht zur friedvollen Weihnachtszeit zu passen scheint, vom Staat mehr Härte: Antisemiten müssen der deutsche Pass und das Aufenthaltsrecht genommen werden, islamistische Eltern müssen für die Taten ihrer minderjährigen Kinder haften, Sozialleistungen sind bei antisemitischen Aktivitäten zu kürzen. 

Ja, man soll anderen nichts Böses wünschen, schon gar nicht an Weihnachten. Aber der Satz „Friede den Menschen auf Erden, die guten Willens sind“, stellt eben den guten Willen in den Vordergrund. Wer andere Menschen aufgrund ihrer Herkunft, ihrer Religion oder ihrer Lebensweise hasst, darf nicht auf einen friedlichen, das heißt einen untätigen Staat bauen.

… dass wir die Menschen nehmen, wie sie sind

Der Ratschlag von Konrad Adenauer war schlicht: „Nehmen Sie die Menschen wie sie sind, andere gibt ’s nicht.“ Er war auch klug. Denn daraus folgt, von anderen nichts Übermenschliches zu erwarten, schon gar nicht mehr als von sich selbst.

Die Menschen zu nehmen, wie sie sind, setzt Toleranz voraus. Nicht Toleranz im Sinne eines schmalen Meinungskorridors, in dem alles gesagt werden darf, was als „woke“ gilt. Sondern Toleranz im Sinne der Bedeutung von „tolerare“, also die Meinung des anderen zu ertragen, auch wenn man sie selbst für falsch hält.

Die Menschen zu nehmen, wie sie sind, heißt vor allem, nicht nach dem „neuen Menschen“ zu streben, nicht die Menschen politisch korrekt umerziehen, sie nicht verändern zu wollen. Ich wünsche mir ein tolerantes Land, in dem wir uns gegenseitig nehmen, wie wir sind.

Liebes Christkind,

Ich weiß, das ist ein bisschen viel auf einmal. Ich erwarte auch nicht, dass alle meine Wünsche in Erfüllung gehen. Aber die Hoffnung stirbt bekanntlich zuletzt. Und wann, wenn nicht an Weihnachten, ist Hoffnung angesagt – auch wenn viele das längst vergessen oder nie erfahren haben?

In diesem Sinne: Frohe Weihnachten! 

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