Bündnis Sahra Wagenknecht - Die Gründung der neuen Partei und Scholz‘ Migrationswende

Sahra Wagenknechts neue Partei ist ein Teil einer größeren Umwälzung im deutschen Parteiengefüge. Zu der gehört auch die von Bundeskanzler Olaf Scholz nun offen angekündigte Wende in der Migrationspolitik.

Sahra Wagenknecht / dpa
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Es war monatelang eine der meistdiskutierten Fragen der deutschen Politik. Nun ist sie geklärt: Sahra Wagenknecht wird eine neue Partei gründen. Am Montag wird sie einen Verein vorstellen, der laut Medienberichten „BSW – Für Vernunft und Gerechtigkeit“ heißen soll. Das Kürzel soll für „Bündnis Sahra Wagenknecht“ stehen. Aus dem Verein wird dann eine Partei werden.  

Damit vollzieht sich ein weiterer Schritt der Umwälzung des deutschen Parteiensystems. Der Bedeutungsverlust der Linkspartei, jedenfalls in den alten Bundesländern, der schon vor Wagenknechts Sezession in den letzten Landtagswahlen deutlich wurde, wird dadurch wohl besiegelt. Was Wagenknecht in Büchern und Medienauftritten propagiert, nämlich dass eine woke Linke, die von den Grünen kaum zu unterscheiden ist, überflüssig sei, wird Wirklichkeit. In der Sprache des Marktes: Sie bedient eine politische Nachfrage, die andere Anbieter verschmähten. Der Nationalökonom Joseph Schumpeter nannte so etwas „schöpferische Zerstörung“.

Wagenknechts Erfolg in der medialen Öffentlichkeit beruht auf ihrer Persönlichkeit. Sie ist eine der ganz wenigen im Politikbetrieb, die durch ihre analytische Intelligenz, ihre konsequenten, leidenschaftlichen Positionen und die Fähigkeit zur klaren, unverstellten, glaubwürdigen Ansprache fasziniert. Sie erscheint zwischen abgebrühten Machttaktikern wie Söder oder Scholz als eine späte Nachgeborene aus einer Zeit der leidenschaftlichen political animals. Während erstere Politiker die Geschöpfe ihrer Parteien sind, handeln Politiker wie Wagenknecht selbst als Schöpfer ihrer Parteien. Ihr Mann übrigens, Oskar Lafontaine, gehört fraglos auch zu dieser Spezies.

Was bedeutet das für die deutsche Politik?

Es ist jedenfalls eine Premiere in der bundesdeutschen Geschichte seit 1949: Zum ersten Mal spaltet sich eine neue Partei aus einer im Bundestag und mehreren Landesparlamenten vertretenen Partei ab. Neben Wagenknecht selbst werden dem Vernehmen nach auch Klaus Ernst, Noch-Co-Fraktionschefin Amira Mohamed Ali, Sevim Dagdelen und Christian Leye die Linke-Fraktion verlassen. In der herrscht deswegen  schon jetzt nervöse Betriebsamkeit, denn die verbleibenden Linke-Abgeordneten verlieren damit ihren Fraktionsstatus. Die FAZ berichtet schon von Sozialplänen für die 108 Mitarbeiter, die damit ihren Job verlieren. Fraglich ist auch ob die Vize-Präsidentin Petra Pau im Amt bleiben darf. Wie gesagt, es gibt für diese Abspaltung keinen Präzedenzfall in der Geschichte des Bundestages.

Es wird also bald eine Fraktion weniger und dafür zwei „Gruppen“ im Bundestag geben. Die Opposition wird also vielfältiger. Spannend wird sein, wie sich Wagenknecht und ihre Mitstreiter bei Abstimmungen verhalten, ob sie zum Beispiel die sogenannte Brandmauer aller Parteien gegen Anträge der AfD einhalten werden. Umgekehrt stellt sich die Frage, wie die anderen Parteien mit Wagenknecht künftig umgehen. Werden diese sie in die „demokratischen Parteien“ einzugemeinden versuchen? Oder wird nun eine weitere kleine Brandmauer errichtet? Noch wichtiger ist die Frage, wie das Wagenknecht-Bündnis bei den kommenden Landtagswahlen 2024 abschneiden wird – und vor allem, ob es mit dem Einzug in den nächsten Bundestag rechnen kann. Meinungsumfragen bejahen das und sehen ein Potenzial von 20 Prozent, in Thüringen könnte sie sogar stärkste Kraft werden.

Quer zu bisherigen Einteilungsgewohnheiten

Wagenknechts Partei steht quer zu bisherigen Einteilungsgewohnheiten des politischen Spektrums. In wirtschafts- und sozialpolitischen Fragen ist sie zweifellos weit links. Damit wird sie als potentieller Koalitionspartner für Union und FDP unvorstellbar. In der derzeit wichtigsten Frage der Einwanderung dagegen steht sie (zumindest aus Sicht der verlassenen Linke und der Grünen) eindeutig rechts, nämlich bei jenen, die die Zuwanderung stark drosseln wollen. Und auch in Fragen der Kultur, etwa beim Gendern, steht sie den Transformationsprojekten der früheren Genossen in entschiedener Abneigung entgegen.

Ganz außerhalb des Mainstreams stellt sie sich mit ihren radikalen Positionen in der Außen- und Sicherheitspolitik: raus aus der Nato, keinerlei Waffenexporte, weder an Israel noch an die Ukraine, keine Sanktionen gegen Russland. Eine BSW-Regierung würde letztlich eine Art radikale Neutralität und den Abschied aus der Nato bedeuten. Da sind sogar die meisten AfD-Politiker anderer Ansicht.

 

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Andererseits: Die außen- und sicherheitspolitischen Positionen der Grünen waren in den ersten zwei Jahrzehnten ihrer Existenz ähnlich radikal. Gerade auf diesen Politikfeldern pflegen sich Politiker sehr stark zu temperieren, wenn sie auch nur in die Nähe echter Regierungsverantwortung kommen. Das zeigten die Grünen und das zeigt derzeit auch Giorgia Meloni in Italien. Die Außenpolitik eines europäischen Landes ist stets ein sehr träges Schiff, das nur ganz langsam und allenfalls graduell seinen Kurs ändern kann.

Deutsche Parteien waren seit 1949 erstaunlich stabil, im Gegensatz etwa zu Frankreich, Italien und anderen Ländern, wo immer wieder starke Politikerpersönlichkeiten aus bisherigen Parteien austraten, neue gründeten und damit die politische Landschaft umprägten. Das Aufkommen neuer Parteien, die auf aktuelle politische Bedürfnisse reagieren, ist ein Zeichen für den Zerfall eines überlebten Parteiensystems, aber kein Zeichen für die Schwäche einer Demokratie. Im Gegenteil: Es zeigt, dass diese nicht notwendigerweise in eingefahrenen Machtstrukturen verkrusten muss.

Verfall einer kurzlebigen Ordnung

Die Gründung der neuen Partei und ihr absehbarer Erfolg sind also ein Beleg dafür, dass sich nicht nur die altbundesrepublikanischen Links-Rechts-Lager aufgelöst haben, sondern auch die von den Grünen dominierte und von Merkel installierte Brandmauer-Ordnung der in wesentlichen Fragen einigen etablierten („demokratischen“) Parteien gegen die Paria-Partei AfD nicht halten lässt. Der Verfall dieser im Rückblick sehr kurzlebigen Ordnung kündigt sich nicht nur durch die querstehende neue Wagenknecht-Partei an, sondern auch durch die lange überfällige Wende in der Migrationspolitik.

Diese Wende, die Scholz nun im Spiegel verkündet und die Gründung der Wagenknechtpartei haben unmittelbar nichts miteinander zu tun. Aber sie gehören mittelbar doch zusammen, weil sie im Wesentlichen dieselbe Ursache haben. Sie sind eine Reaktion auf das offenkundige Scheitern einer Politik, die 2015 mit Angela Merkels „Wir schaffen das“ ihren Höhepunkt erreicht hatte und sich acht Jahre später unter der Ampel als Weg in eine multiple Krise entpuppt hat.

Dass die Ampel, deren eigentliche Führung nicht Scholz' SPD, sondern die Grünen innehatten, noch lange weiterregieren wird, erscheint immer fraglicher. Keiner wittert so etwas im deutschen Politikbetrieb besser als Markus Söder.

 

 

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