Wagenknecht, Erdogan, Maaßen: Parteien-Boom in Deutschland - „Jede Partei muss bei der Gründung Verfassungstreue nachweisen“

Es gibt eine Art Parteien-Boom in Deutschland: Erdogan-Partei, Maaßen-Partei, Wagenknecht-Partei. Der Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte ist skeptisch, was deren Erfolgsaussichten angeht: Wähler müssten mit einer Partei einen konkreten Nutzen verbinden.

Sahra Wagenknecht beim Gründungsparteitag ihrer Partei /dpa
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Volker Resing leitet das Ressort Berliner Republik bei Cicero. Er ist Spezialist für Kirchenfragen und für die Unionsparteien. Von ihm erschien im Herder-Verlag „Die Kanzlermaschine – Wie die CDU funktioniert“.

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Karl-Rudolf Korte ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen und Direktor der NRW School of Governance. Gerade ist von ihm im Campus-Verlag das Buch erschienen: „Wählermärkte. Wahlverhalten und Regierungspolitik in der Berliner Republik“.

Herr Korte, die Bild am Sonntag berichtet, der türkische Präsident Erdogan werde mit einem Ableger seiner AKP in Deutschland zur Europawahl antreten. Welche Chancen hat diese neue Partei?

Neue Parteien haben im deutschen Parteienwettbewerb bislang geringe Chancen. Wir haben das zuletzt bei den Piraten gesehen. In vielen Jahrzehnten ist es in sehr seltenen Fällen zu erfolgreichen Parteigründungen gekommen, die in Parlamente einzogen. Hintergrund sind gesellschaftliche Konfliktlagen, die nach einem Ausdruck suchen. Wenn die etablierten Parteien diesen Konflikt nicht abbilden, hat eine neue Partei Chancen. Defizitparteien profilieren sich dann. Dies gilt für die AfD. Dies gilt nicht automatisch für Parteien, die sich über Starkult, wie beim Bündnis Sahra Wagenknecht, konstituieren.

Die Erdogan-Partei soll „Demokratische Allianz für Vielfalt und Aufbruch“ (DAVA) heißen und besonders Deutschtürken ansprechen. Kann von so einer Partei eine Gefahr ausgehen?

Nein, denn bislang haben sich diese Wähler ausreichend in den etablierten Parteien vertreten gefühlt. Warum sollte sich das plötzlich geändert haben?

Es gibt ja viele Erdogan-Fans in Deutschland.

Parteien werden gewählt, wenn mit ihnen eine Anmutung von Problemlösungskompetenz verbunden wird. Welchen konkreten Nutzen im Alltag habe ich, wenn ich diese Partei wähle? Das ist im Hinblick auf eine Erdogan-Partei in Deutschland nicht erkennbar. Zumal: Jede Partei muss bei der Gründung Verfassungstreue nachweisen.

Welche Folgen könnte die DAVA für das deutsche Parteiensystem haben, wenn sie auch bei der Bundestagswahl antritt?

Es ist sehr voraussetzungsvoll, bei einer Bundestagswahl anzutreten. Dies setzt langwierige Organisationsverfahren voraus. Und vor allem: ein Alleinstellungsmerkmal, das auch mit Problemlösungskompetenz verbunden sein muss.

Am Wochenende hat sich auch die Wagenknecht-Partei BSW gegründet. Welche Erfolgschancen sehen Sie, und welche Auswirkungen hat die die Gründung möglicherweise auf die Landtagswahlen im Osten?

Sie hat situativ in diesem Jahr vermutlich Erfolge. Aber Starkult-Parteien, die mit Talkshow-Mandaten agieren, sind in Deutschland unbekannt. Wir wählen eher das Bekannte und eher postheroische Kandidaten. Insofern fehlt uns die Erfahrung, um dies einzuordnen. Das BSW agiert linksautoritär und hat für traditionelle Wähler der Union, der Linken, der SPD und der AfD programmatisch etwas im Gepäck. Das reicht sicher für die Europawahlen und Ostwahlen, denn Wagenknecht hat einen biographischen Ost-Bonus.

Schließlich will auch Ex-CDU-Mitglied und Ex-Verfassungsschutzchef Hans-Georg Maaßen eine Partei gründen. Wird sich seine „Werteunion“ zwischen CDU und AfD etablieren können und möglicherweise Friedrich Merz schaden?

Hier bleibt die Frage, ob es organisatorisch reicht, bei den Wahlen anzutreten. Inhaltlich ist schwer zu erkennen, warum bisherige AfD-Wähler zur Werteunion umschwenken sollten. Die Werteunion ist angelegt als ein „Dazwischen“: zwischen AfD und Union. Ich sehe hier keine Lücke, die für eine Parlamentarisierung ausreichen würde. Wesentlich erfolgreicher werden hingegen die Freien Wähler sein.

Die Freien Wähler und auch das „Bündnis Deutschland“ drängen auf die bundespolitische Bühne. Droht das Parteiensystem zu zersplittern?

Nein, denn die Dynamik ist nicht linear einseitig. Es gibt sicher auch zeitgleich Konzentrationsprozesse, da die etablierten Parteien versuchen werden, stärker und breiter zu integrieren.

Sind die neuen Parteien in der Lage, den Erfolgskurs der AfD zu stoppen?

Sie werden, wenn sie sich parlamentarisieren, auf jeden Fall Regierungsbildungen problematisieren und Opposition vitalisieren.

Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte /dpa

Derzeit wird viel gegen die AfD demonstriert. Schadet oder nutzt dies der rechtspopulistischen Partei eher? Was ist Ihre Prognose?

Das sind Signalereignisse für die wehrhafte Demokratie. Da entstehen emotionale Momente, für die Demokratie zu missionieren. Die politische Mitte agiert plötzlich laut und auffällig. Daraus entstehen Gespräche, die anhalten und die auch Wahlverhalten beeinflussen. Das stärkt die politische Mitte. Gleichzeitig löst es Trotzverhalten bei AfD-Wählern aus, die sich in ihrer Polarisierung bestätigt fühlen.

Wie müssen die etablierten Parteien mit den Neugründungen umgehen: abgrenzen oder gegebenenfalls als Partner nutzen?

Da formiert sich ein Aufbruch, den man gestalten kann. Politisierte Phasen können produktiv sein, wenn man sie in Formen überführt. Hier sind viele neue Bündnisse denkbar, die Ausdruck von wehrhafter Demokratie sein können.

Die Ampel-Parteien befinden sich im Sinkflug. Was muss Ihrer Meinung nach passieren, damit Grüne und SPD noch mal aus dem Umfragekeller herauskommen? Und wie realistisch ist das?

Wenn die Ampel-Parteien die Hauptprobleme des Landes lösen oder einhegen, haben sie noch eine Chance. Für die meisten ist das Hauptproblem die irreguläre Migration. Sie müssen die Verlässlichkeit von Entscheidungen wieder herstellen. Und sie müssen idealerweise das Klimageld im Bundestagswahljahr an alle Haushalte auszahlen.

Das Gespräch führte Volker Resing.

 

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