Volker Wissing - Er kann auch anders

Verkehrsminister Volker Wissing galt in der FDP als Grünen-Versteher. Doch jetzt setzt er liberale Positionen durch, und in der Ökopartei erklärt man ihn zum Lieblingsfeind.

Volker Wissing landet häufig im Streit mit den Grünen, gegen seinen Willen / Daniel Hofer
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Es gibt dieses Gute-Laune-Foto aus der Anbahnungsphase der Ampelkoalition. Es zeigt den grün-gelben Frühling, den zaghaften Beginn einer ökoliberalen Freundschaft. Annalena Baerbock schmunzelt in die Kamera, eingerahmt von Robert Habeck und Volker Wissing. Dahinter, in der zweiten Reihe, steht Christian Lindner. Sie blicken entspannt und zuversichtlich. Besonders zufrieden wirkt Wissing. Er hält das Handy, von dem die Aufnahme stammt, am ausgestreckten Arm.

Wissings Vierer-Selfie stammt aus einer anderen Zeit. Damals, nach der Bundestagswahl 2021, glaubten FDP und Grüne noch, gemeinsam frischen Schwung ins Kabinett zu bringen. Heute ist klar: Aus dieser Idee wird nichts. Die beiden kleineren Koalitionspartner sind heillos zerstritten. Zu gegensätzlich sind ihre politischen Überzeugungen. Während die Grünen glauben, dass der Staat alles besser weiß, und den Bürgern vorschreiben wollen, was sie essen, wie sie sich fortbewegen und heizen sollen, wollen die Liberalen das Gegenteil. Es knirscht im Gebälk der „Fortschrittskoalition“.

Kaum jemand verkörpert diese gescheiterte Annäherung so wie Volker Wissing. FDP-Chef Lindner holte den Pfälzer als neuen Generalsekretär nach Berlin, weil er in seiner Partei als Grünen-­Versteher galt. Er hatte in Mainz erfolgreich an einer Ampelkoalition mitgewirkt und sollte Wegbereiter des auf Bundesebene noch unbekannten Regierungsbündnisses werden. Das gelang ihm auch. Sein Handyfoto von den grün-gelben „Vorsondierungen“ zeugt davon.

Hin und Her mit Habeck

Doch kaum im Regierungsalltag angekommen, begannen die Grünen, sich auf Wissing einzuschießen. Aus deren Bundestagsfraktion kommen mehr kritische Fragen und heftigere Angriffe als aus der Opposition. Der Verkehrsminister wird als Klimaschutzverhinderungsminister attackiert, dabei war er es, der Lieblingsprojekte der Grünen wie das deutschlandweite Nahverkehrsticket durchgesetzt hat. Auch gegen Widerstand aus den eigenen Reihen.

Manches, was Wissing nun vom Koalitionspartner abbekommt, ist offensichtlich ein Ablenkungsmanöver, um das Scheitern des Klimaschutzministers Robert Habeck zu verdecken. Denn der steigert den CO2-Ausstoß, indem er Kohlekraftwerke aus der Reserve holt, statt am Atomausstieg zu rütteln. Um über diese Widersinnigkeit ihrer „Energiewende“ nicht reden zu müssen, werfen die Grünen Wissing vor, bei der „Verkehrswende“ zu versagen. Und der wiederum revanchiert sich, indem er darauf hinweist, dass Elektroautos, die mit Kohlestrom betrieben werden, alles andere als klimafreundlich seien. Der grün-gelbe Streit wirkt zuweilen kleinlich bis kindisch.
 

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In der FDP hält man es nach wie vor für einen klugen Schachzug, statt des Wirtschafts- das Verkehrsministerium übernommen zu haben. Von der verkorksten Energiepolitik will man Abstand halten. Volker Wissing wäre jedenfalls für beide Ressorts infrage gekommen. Denn in Rheinland-Pfalz war er zuvor Minister für Wirtschaft und Verkehr. 

Gegen Brüssel, für die Wähler

Der 1970 in Landau geborene Wissing stammt aus einer calvinistischen Winzerfamilie. Er studierte Jura, arbeitete als Staatsanwalt und Richter, bevor er 2004 als Nachrücker in den Bundestag kam. Nachdem die Liberalen 2013 aus dem Parlament geflogen waren, gründete Wissing eine Rechtsanwaltskanzlei, wechselte aber bald wieder in die aktive Politik: 2016 als Stellvertreter der SPD-Ministerpräsidentin Malu Dreyer.

Wissing ist ein Pragmatiker, der innerhalb seiner Partei keinem Flügel klar zuzuordnen ist. Er gehört nicht zu jenen meist jüngeren FDPlern, die Rot-Grün von vornherein näherstehen als der CDU. Aber von der anderen Seite, den Klassisch­liberalen, wurde er während der Anfangszeit der Berliner Ampelkoalition kritisch beäugt. Denn da suchte er noch nach Gemeinsamkeiten mit den Grünen. 

Weil er innerparteilich unter Druck stand, aber vielleicht auch, weil er beim grünen Koalitionspartner auf so wenig Gegenliebe stieß, hat Wissing inzwischen die Gangart gewechselt und gezeigt: Ich kann auch anders. Der Bundesverkehrsminister kippte das auf EU-Ebene längst beschlossene Verbrennerverbot und setzte eine Ausnahme für Autos durch, die mit klimafreundlichen Kraftstoffen betankt werden.

Ein Erfolg, der ihm zwar den nicht ganz unberechtigten Vorwurf einbrachte, Deutschland in Brüssel als unzuverlässig erscheinen zu lassen. Aber in der Wählerschaft, weit über die FDP-Kernklientel hinaus, hat er sich damit beliebt gemacht. Dass vom Jahr 2035 an nur noch Elektroautos neu zugelassen werden sollten, ist keine Position, die in Deutschland mehrheitsfähig ist. Wissing hat das erkannt und in letzter Minute verhindert.

 

Dieser Text stammt aus der Mai-Ausgabe des Cicero, die Sie jetzt am Kiosk oder direkt bei uns kaufen können.

 

 

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