Pistorius ruft zur Kriegstüchtigkeit - Die Bundeswehr braucht weniger Stabsoffiziere und mehr Truppen

Mit den neuen Verteidigungspolitischen Richtlinien will Minister Boris Pistorius offenbar eine große Bewegung hin zur „Kriegstüchtigkeit“ in der Bundeswehr auslösen. Ein zentrales Problem scheint er immerhin erkannt zu haben.

Verteidigungsminister Boris Pistorius in einem Leopard-Panzer / dpa
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Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Eigentlich ist es eine Selbstverständlichkeit. Der nicht mehr ganz so neue, aber jedenfalls beliebteste Verteidigungsminister seit Jahrzehnten, Boris Pistorius, hat schon vor ein paar Tagen gefordert, Deutschland solle „kriegstüchtig“ werden. Die öffentliche Aufmerksamkeit, teilweise auch Empörung über diese Aussage zeigt nur, wie wirklichkeitsentwöhnt und vor allem jeglichem Militärischen und Sicherheitsdenken entfremdet die deutsche Öffentlichkeit auch in Zeiten der Kriege immer noch ist. Hier hat man sich offenbar angewöhnt, die Bundeswehr, in der schon zu Zeiten der Wehrpflicht de facto niemand gegen seinen Willen dienen musste, als eine Art Fassaden-Streitkraft zu betrachten. Die drei Vorgängerinnen von Pistorius im Amt erschienen schließlich wie die Inkarnationen einer generellen Entmilitarisierung der deutschen Armee. Da wurde tatsächlich das Wesentliche „verbockt“, um Pistorius zu zitieren.

Nun hat Pistorius am Donnerstag neue verteidigungspolitische Richtlinien vorgestellt. Schon in der Überschrift steht da erneut die Forderung nach einer „kriegstüchtigen Bundeswehr". Und Generalinspekteur Carsten Breuer, der ranghöchste deutsche Soldat, sieht diese Richtlinien als Grundlage für „ein neues gemeinsames Selbstverständnis von Wehrhaftigkeit und Kriegstüchtigkeit“. Im Dokument selbst wird „Kriegstüchtigkeit als Handlungsmaxime“ festgelegt. Die Vokabel scheint also mit Bedacht gewählt. Sie macht eben vor allem klar, wie tief die Bundeswehr gesunken ist, nämlich in einen Zustand der Wehrlosigkeit und Kriegsuntüchtigkeit.

Nicht nur fehlendes Geld ist am schlechten Zustand der Bundeswehr schuld

Das ganze Dokument ist von einem neuen, markigen Ton geprägt. Deutschland müsse als Gesellschaft und Staat stabil bei Angriffen und Störaktionen sein. Die Wehrhaftigkeit sei eine gesamtstaatliche und gesamtgesellschaftliche Aufgabe mit der Bundeswehr als ein Kerninstrument. „Hierzu muss sie in allen Bereichen kriegstüchtig sein. Das bedeutet, dass ihr Personal und ihre Ausstattung auf die Wahrnehmung ihrer fordernden Aufträge ausgerichtet sind“, heißt es. „Maßstab hierfür ist jederzeit die Bereitschaft zum Kampf mit dem Anspruch auf Erfolg im hochintensiven Gefecht. Nur so wird Abschreckung glaubwürdig und Frieden gewährt.“ Auch dass „die Streitkräfte das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes in aller Konsequenz tapfer und erfolgreich verteidigen wollen und können“, steht da dem Soldaten-Eid gemäß, und: „Falls erforderlich würde die Bundeswehr gleichwohl bereits heute mit allen verfügbaren Mitteln ihren Beitrag zur Landes- und Bündnisverteidigung leisten.“ Solche Sätze zeigen eher, dass es daran durchaus Zweifel gab und gibt.

 

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Die Richtlinien fordern Entscheider in Verwaltung, Militär und Behörden auf, Spielräume für die Bundeswehr auch zu nutzen. Bei der Vergabe von Aufträgen seien bestehende Ausnahmeklauseln „konsequent anzuwenden und vergaberechtliche Möglichkeiten zur Beschleunigung des Verfahrens auszuschöpfen“. Die Ausstattung der Streitkräfte werde konsequent auf marktverfügbare Beschaffungen ausgerichtet. Eigene Entwicklungsvorhaben würden insbesondere im Bereich der nationalen Schlüsseltechnologien weiterverfolgt. Voraussetzung für funktionierende Streitkräfte bleibe die langfristige Finanzierung über das 100-Milliarden-Sondervermögen hinaus.

Das vielleicht wichtigste und erfreulichste an diesem Dokument: Es zeigt ein gewisses Maß an zumindest indirekt eingestandener Selbsterkenntnis darüber, dass nicht nur fehlendes Geld am schlechten Zustand der Bundeswehr schuld ist. Der Truppe selbst war der Sinn ihrer Existenz etwas unklar geworden. Daher nun die neue Betonung der Kriegstüchtigkeit und Wehrhaftigkeit.

Das Kernproblem der Bundeswehr hat Hans-Peter Bartels, Präsident der Gesellschaft für Sicherheitspolitik, kürzlich offen benannt: nämlich ihre absurde Überbürokratisierung, also das Übergewicht der Stäbe und zivilen Verwalter gegenüber den tatsächlichen Kämpfern, was wohl nicht zuletzt auch ein Ergebnis der jahrzehntelangen, politisch letztlich gewollten Demilitarisierung des Militärs ist. Die Bundeswehr brauche „mehr Truppe, weniger Stäbe“, sagt Bartels. „Wir haben eine überbordende Kommandolandschaft, statt ehemals drei Teilstreitkräften inzwischen sechs militärische Organisationsbereiche mit einer Vielzahl von zusätzlichen Behörden, die sich gegenseitig Arbeit machen. Die Verantwortungsdiffusion ist absurd.“

Rat aus der Truppe wäre ratsam

Es bleibt zu wünschen, dass das Lichten und Stutzen dieser überbordenden Kommandolandschaft nun endlich zu einem Kernanliegen der Verteidigungspolitik wird. Das wäre ein Riesenfortschritt. Das Problem ist in jeder Kaserne, im Verteidigungsministerium und in den zugehörigen Ämtern bislang zwar wohlbekannt, wurde aber kaum je offen problematisiert: Die Bundeswehr ist eine Armee, die vielen Beamten, aber auch hohen Offizieren im Generalsrang eine Schreibtischkarriere ermöglichte - ohne allzuviel direkte Berührung mit der Welt der Soldaten, in der es oft knallt und oft ungemütlich ist. Und es liegt auf der Hand, dass gerade in den höheren Rängen viele Profiteure dieses Missstandes kein Interesse an dessen Beseitigung haben. Viele der 214 Generale und Admirale werden nicht freiwillig ihre eigenen Planstellen kürzen, obwohl offenkundig ist, dass kein Heer mehr Generale (rund 200) als Kampfbataillone (üblicherweise von einem Oberstleutnant kommandiert) und mehr Admirale als Fregatten braucht.

In den Richtlinien heißt es immerhin in holprigem Stabsoffiziersdeutsch: „Absicht ist es, im bundeswehrgemeinsamen Zusammenwirken vielfältige Karriereoptionen zu ermöglichen, die systemische Überkomplexität zu reduzieren, durch Deregulierung und Regionalisierung Entscheidungsbefugnis und Verantwortung vor Ort zu stärken, flexibel und schnell Potenziale für die Bundeswehr zu gewinnen, um so durch eine Vielzahl von Maßnahmen die personelle Einsatzbereitschaft der Bundeswehr unter Berücksichtigung und Akzeptanz der gesellschaftlichen Realitäten zu erreichen.“

Wenn Pistorius wirklich die große Wende zur Kriegstüchtigkeit schaffen will, sollte er sich bei der Durchführung nicht in erster Linie auf den Rat der Bürokraten in seinem Ministerium und der Generäle in den Stäben verlassen, sondern den Draht zu den Truppenführern und der Truppe selbst pflegen. Die wissen meist am besten, was sie brauchen, um tüchtig Krieg führen zu können. Nach mehr Generalen und nach mehr Referatsleitern im Verteidigungsministerium werden sie kaum verlangen. Es gab übrigens mal einen sozialdemokratischen Vorgänger in seinem Amt, an dem sich Pistorius da ein Vorbild nehmen kann. Das war Georg Leber, der „Soldatenvater“ genannt wurde.

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