Verfassungswidriger Haushalt - Die Not der Regierenden

Infolge des verfassungswidrigen Nachtragshaushalts soll rückwirkend für das gesamte Jahr 2023 eine Notlage erklärt werden. Aber warum hat die Ampel nicht schon 2022 eine Notsituation ausgerufen? Der Begriff der Not wird in der aktuellen Politik inflationiert und verschleiert.

Das Bundeskabinett in der 139. Sitzung des Deutschen Bundestages / picture alliance
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Autoreninfo

Ferdinand Knauß ist Cicero-Redakteur. Sein Buch „Merkel am Ende. Warum die Methode Angela Merkels nicht mehr in unsere Zeit passt“ ist 2018 im FinanzBuch Verlag erschienen.

 

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Der Bundestag wird nun also voraussichtlich eine Notsituation erklären. Um diesen Vorgang zu bewerten, sollte man sich wohl zunächst einmal verdeutlichen, was das eigentlich dem Wortsinne nach bedeutet. Wer oder was ist da eigentlich in der Notlage, die nun ausgerufen wird? Der Staat? Die Deutschen? Die Regierung? Und was ist eine Not überhaupt?

Laut Wikipedia ist ein Notfall „jede Situation, in der eine drohende Gefährdung für Sachen, Tiere oder die körperliche Unversehrtheit von Menschen eintritt“. Not ist ein anderes Wort für den (drohenden) Untergang. Artikel 109 des Grundgesetzes, der die Schuldenbremse und die Möglichkeit ihrer Aussetzung bestimmt, erlaubt letzteres nur, falls „Naturkatastrophen oder außergewöhnliche Notsituationen, die sich der Kontrolle des Staates entziehen“, eintreten. Also eigentlich: wenn Menschen oder gar das ganze Gemeinwesen existentiell gefährdet sind.

Der Verdacht, dass die Not, die im Bundestag ausgerufen werden wird, eine andere ist, als die in Artikel 109 benannte, ist naheliegend. Wer wirklich in Not geraten ist, versucht alles, um aus dieser Lage so schnell wie möglich herauszukommen. Dazu gehört auch das Aussenden von Signalen – das klassische SOS oder „Mayday“ –, um andere zur Rettung zu rufen. Unter Seefahrern gilt es als absolut unverzeihlich, SOS-Rufe aus irgendwelchen anderen Gründen als schierer Lebensgefahr auszusenden. Missbräuchliche Notrufe bei Feuerwehr oder Polizei sind strafbar.

Eine Lage jedenfalls, die nicht unbedingt, jedenfalls nicht sofort beendet werden muss, ist somit eigentlich keine Notlage. Aber man hat nicht den Eindruck, als wollten Scholz und seine Mitregierenden ganz schnell aus der Lage herauskommen, zusätzliche Schulden aufnehmen zu müssen (oder besser: dürfen).

 

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Es gab durchaus Termine, zu denen der deutsche Bundestag halbwegs glaubwürdig und nachvollziehbar eine Notsituation hätte ausrufen können. Das war allerdings schon im (Haushalts-)Jahr 2022, als Putins Russland die Ukraine überfiel, oder im Sommer 2022, als die Gaslieferungen aus Russland drastisch zurückgingen und schließlich ganz eingestellt wurden. Da schien es denkbar, dass Menschen im darauffolgenden Winter wirklich frieren, also notleiden.

Der Grund dafür, dass die Ampel damals keine Notsituation ausrief, dürfte wohl gewesen sein, so wird in SPD-Kreisen gemunkelt, dass man damals die Konsequenz scheute: Man hätte dann eben alles dafür tun müssen, diese Notsituation bald zu beenden. Und diesem Handlungsdruck wollte man sich lieber nicht aussetzen. Man hatte schließlich das umgewidmete Corona-„Sondervermögen“ im Klima- und Transformationsfonds.

Absurdität des Politikbetriebs

Nachträglich eine Not zu behaupten, über die man bei ihrem angeblichen Eintritt seinerzeit schwieg, würde jenseits des Politikbetriebs von vornherein für eine Absurdität gehalten. Nur in der gegenwärtigen Politik ist so etwas möglich.

Scholz setzt der Absurdität in seiner Regierungserklärung noch die Krone auf, indem er sagt, das Karlsruher Urteil werde für die Bürger nichts ändern, Unternehmen können sich darauf verlassen, dass die Subventionen fließen. Aber wo ist denn dann die Notlage?

Besonders absurd wird dieser nachträgliche Notruf der Regierung noch dadurch, dass ja gerade der Anlass dafür, nämlich das Urteil des Bundesverfassungsgerichts, darin bestand, die Regierung anzuhalten, besser mit dem Begriff der Notlage hauszuhalten und ihr zu verbieten, Schulden für die Behandlung einer angeblichen Notlage durch Corona einfach für die angebliche Notlage des Klimaschutzes umzuwidmen. Das Verbot einer Notlagenbehauptung führt also nun zur nächsten Notlagenbehauptung.

Zweierlei Not

Die Not jedenfalls, die jetzt behoben werden soll, ist nicht die des Staates und der Bevölkerung, sondern die der Ampel-Regierung, der nämlich sonst der Untergang droht. Dieser Untergang drohte nicht im Februar 2022 oder im darauffolgenden Winter der explodierenden Energiepreise. Er drohte jetzt durch das Urteil.

Die (Macht-)Not der Ampel-Regierung und die (Verschuldungs-)Not des Staates sind eng miteinander verwoben, aber sie sind nicht identisch. Die Regierenden interessieren sich in erster Linie für die erstere, der Rest der Bevölkerung muss sich eigentlich aber nur für letztere interessieren. Die Regierenden haben also aus naheliegenden Gründen ein Interesse daran, den Unterschied unkenntlich zu machen.

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