Vereidigung junger Soldaten in Berlin - „Seien Sie wachsam und schauen Sie nicht weg!“

Jedes Jahr werden am 20. Juli in Berlin vor dem sogenannten „Bendlerblock“ Rekruten vereidigt. Das Datum ist bewusst gewählt, die Bundeswehr baut ihr Selbstverständnis, ihre Tradition auf den Widerstandskämpfern dieses Tages auf.

Carsten Breuer (l-r), Generalinspekteur der Bundeswehr, Boris Pistorius (SPD), Bundesminister der Verteidigung, und Konstanze von Schulthess-Rechberg, die jüngste Tochter Claus Schenk Graf von Stauffenbergs / dpa
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York Herder ist ausgebildeter Journalist und hospitiert derzeit bei Cicero.

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Die Straßen, die das Verteidigungsministerium umgeben, sind mit Absperrgittern abgeriegelt und werden von Beamten der Berliner Bereitschaftspolizei bewacht. Die Besucher müssen anstehen und werden wie vor einem Flug kontrolliert. Politiker aus der zweiten Reihe, die versuchen, die Wartezeit aktiv zu verkürzen, scheitern an der Konsequenz der Feldjäger. 

Auf dem Paradeplatz stehen zwei große Tribünen, eine für die Ehrengäste direkt vor dem Bendlerblock, mit Blick in Richtung des Ehrenmals. Im rechten Winkel dazu sitzen die Angehörigen der Rekruten auf einer etwas kleineren Tribüne. Soldaten in Ausgehuniform schieben große Kisten umher, in denen Wasserflaschen mit Eiswürfeln gekühlt werden. Eine Sanitäterin beschwert sich bei ihrer Kollegin darüber, dass sie Wasser verteilen müssen.

Für einen Julitag ist es ungewöhnlich kühl, die Sonne über dem sogenannten „Bendlerblock“ wird meist von Wolken verdeckt. Das ist gut für die Soldaten, die rund eine Stunde auf dem Paradeplatz stehen müssen. Um die Wartezeit der Gäste zu verkürzen, spielt das Heeresmusikkorps ein kurzes Konzert, fröhliche Märsche und Westernmusik werden geboten. 

Nachkommen der Aufständischen

Der 20. Juli ist als Datum bewusst gewählt, und auch der Bendlerblock ist als Ort für die Bundeswehr wichtig. Hier planten die Militärs um Graf von Stauffenberg am 20. Juli 1944 den Umsturz. Hier gab General Ludwig Beck die Befehle an das Ersatzheer in der Hoffnung, diese Truppe zur Übernahme der Macht einsetzen zu können. Hier wurden die Anführer des Aufstandes hingerichtet.

Im Gedenken an diese Tat sind beim Gelöbnis deshalb – neben den Angehörigen der Soldaten, Politiker und Militärattachés aus der ganzen Welt – auch Nachkommen der Aufständischen auf der Tribüne. Zum Rhythmus einer Trommel marschieren die Rekruten in ihren Kompanien auf den Paradeplatz. Die Kompanien stellen sich so auf, dass sie eine L-förmige Formation bilden.

Die einen stehen gegenüber der Ehrentribüne und die anderen mit dem Rücken zu ihren Angehörigen. Ihnen gegenüber, auf der anderen Seite des Platzes, wird sich die Ehrenformation aufstellen. Der Einzug der Ehrenformation aus Wachbataillon und dem Stabsmusikkorps führt den Rekruten und den anwesenden Gästen vor Augen, was die Bundeswehr wieder werden will und werden muss – kraftvoll und bei der Erfüllung ihres Auftrags an Perfektion grenzend. 

Ohne große Schnörkel

Das fordert auch der Oberbefehlshaber der Armee, Verteidigungsminister Boris Pistorius. Er spüre als Bürger und Minister Respekt und Dankbarkeit für die Entscheidung der Soldaten, zu dienen, sagt er. Die Männer und Frauen übernähmen Verantwortung für die Menschen in Deutschland. Denn seit „unsere Art zu leben“ durch den russischen „Angriff auf die Friedensordnung“ bedroht werde, sei die Bedeutung der Bundeswehr wieder sichtbar geworden. Deutschland, so Pistorius, müsse sein Abschreckungspotential wieder erhöhen.

Er spricht die Rekruten ohne große Schnörkel oder gezwungene Raffinesse an. Er erklärt den zur Vereidigung angetretenen Soldaten, sie seien das „Symbol der wehrhaften Demokratie“. Er spricht über den Aufstand des 20. Juli als „Aufstand des Gewissens“. Die Soldaten der Bundesrepublik müssten selbst denken und ihr Handeln reflektieren, denn „Gehorsam findet seine Grenze im Gewissen“. Deshalb seien die „Bürger in Uniform“ so zentral für die Demokratie. 
 

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Nach Boris Pistorius spricht Konstanze von Schulthess-Rechberg, die jüngste Tochter Stauffenbergs, die ihren Vater nie kennenlernte, da sie erst auf die Welt kam, als er bereits über ein halbes Jahr tot war. Sie erzählt, dass die Männer des 20. Juli wegen ihres Gewissens gehandelt hätten. Sie hätten erkannt, dass das, woran sie teilweise lange mitgewirkt hatten, Unrecht war.

Schulthess-Rechberg ruft die Rekruten dazu auf, ebenfalls nicht wegzuschauen, wenn sie Unrecht sehen. Applaus hallt über den Platz und zwischen den Mauern wider. Wenn heute, sagt sie, ein „sorgenvoller Blick nach Osten“ gehe, habe sie den Gedanken: „Wir haben ja unserer Bundeswehr.“ Diese schicke ihre Soldaten nur auf Weisung des Parlaments in Einsätze und würde deshalb immer verantwortungsvoll handeln. Sie schließt mit den Worten: „Seien Sie wachsam und schauen Sie nicht weg!“ 

Was das im Ernstfall bedeuten kann

Für den Eid lösen sich schließlich sechs Rekruten aus ihrer Kompanie, um stellvertretend für alle angetretenen Rekruten auf die Fahne der Bundesrepublik Deutschland zu schwören – wobei Zeitsoldaten „schwören“ und freiwillig Wehrdienstleistende „geloben“. Die Sätze des Eids werden vorgesprochen und von den Rekruten wiederholt.

Als „Ich gelobe/ich schwöre, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. So wahr mir Gott helfe“ über den Paradeplatz hallt und das Echo vom Bendlerblock zurückgeworfen wird, läuft selbst gestandenen Soldaten ein Schauer über den Rücken. Jeder der Männer und Frauen denkt in diesem Moment wohl daran, wie es war, als sie selbst ihren Eid abgelegt haben – und was das im Ernstfall bedeuten kann.

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