Ungerechter Finanzausgleich? - Markus Söder will sich selbst verklagen

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder bringt eine Reform des Länderfinanzausgleichs ins Spiel, weil er den Freistaat über Gebühr belastet sieht. Das Problem ist nur: Söder operiert mit falschen Zahlen – und er hat die aktuelle Situation selbst mit herbeigeführt. Kein Wunder, dass man in anderen Bundesländern über ihn den Kopf schüttelt.

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) / dpa
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Mathias Brodkorb ist Cicero-Autor und war Kultus- und Finanzminister des Landes Mecklenburg-Vorpommern. Er gehört der SPD an.

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Eigentlich sollte es bei Markus Lanz in dieser Woche darum gehen, warum Bayern in Sachen Energie so schlecht auf die Zukunft vorbereitet ist. Während es in der Vergangenheit seinen Strombedarf mehr als andere Länder aus Atomkraft decken musste, drohen mit der endgültigen Abschaltung der Atomkraftwerke und aufgrund der Energiekrise Engpässe in der Stromversorgung.

Cordula Tutt von der Wirtschaftswoche sieht die Schuld dafür allerdings bei Bayern selbst. Der Freistaat hatte in der Vergangenheit ein ums andere Mal darauf bestanden, dass die neuen Stromtrassen in den Süden unterirdisch verlegt werden. Neben deutlich höheren Kosten führte das vor allem zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung. Bis heute kann überzähliger Strom aus Windkraft nicht in den Süden geleitet werden, weil die dafür erforderlichen Stromtrassen noch nicht betriebsbereit sind. Stattdessen stehen die Windräder an Nord- und Ostsee regelmäßig still, weil der Strom nicht abtransportiert werden kann.

Tutt stellte daher in den Raum, dass es in der Zukunft einen zweigeteilten deutschen Strommarkt geben könne – mit günstigem Strom im Norden und teurem im Süden. Und da platzte Ministerpräsident Markus Söder (CSU) der Kragen: „Wenn wir das Strommodell ändern, regional, dann ändern wir erst einmal den Länderfinanzausgleich.“ Da sei nämlich eine deutliche „Unwucht“ drin.

Finanzausgleich auf Rekordniveau

Der Finanzausgleich sei mittlerweile auf eine „Rekordsumme“ angewachsen. Bayern zahle mit rund neun Milliarden Euro jährlich „über 60 Prozent“ des Ausgleichsaufkommens. „Wir glauben nicht mehr, dass das einen Sinn macht. Wir zahlen jetzt fast doppelt so viel wie damals, als wir eine Klage gemacht haben. Das Modell funktioniert nicht.“, so Söder. Daher werde Bayern gegen das System „wahrscheinlich auch eine Klage einreichen“. Während das Bundesfinanzministerium die Drohung aus Bayern nicht einmal kommentieren will, löst Söder in den Ländern Kopfschütteln aus. Und das gleich aus doppeltem Grund.

Der neue Finanzausgleich zwischen dem Bund und den Ländern wurde nämlich erst im Jahre 2017 mit Wirkung zum Jahr 2020 beschlossen. Vorausgegangen waren der Neufassung eine Klage von Hessen und Bayern aus dem Jahre 2013 und jahrelange, mühsame Verhandlungen zwischen Bund und Ländern. Noch im Oktober 2016 hielt der damalige bayerische Finanzminister vor dem Landtag eine Rede, in der er sehr stolz auf den neuen Finanzausgleich und seine eigene Arbeit daran war: „Wir haben mit dieser Entscheidung auch einen bleibenden Erfolg für die Menschen in Bayern geschafft. Wir waren ja der eigentliche Motor und haben das Ganze angetrieben. Auch waren wir federführend bei den Verhandlungen über den Länderfinanzausgleich.“ Der Finanzminister, der das damals sagte, war übrigens Markus Söder. Im Grunde will er heute also gegen sich selbst klagen.

Fakten stimmen nicht

Genüsslich weist daher auch die Finanzministerin von Thüringen, Heike Taubert (SPD), auf genau diesen Umstand hin: „Mich wundert der Vorstoß des bayerischen Ministerpräsidenten.“ Als bayerischer Finanzminister habe er die Reform des Finanzausgleichs schließlich „begleitet und mitgetragen“. Aber das ist nicht der einzige Grund für Tauberts Verwunderung. Auch die Fakten stimmten nicht. Denn Bayerns Belastung sei durch die Neuregelung in Wahrheit gesunken und nicht gestiegen. Söder gehe also von falschen Voraussetzungen aus.

Wie sich die Sache tatsächlich verhält, rechnet das Finanzministerium aus Thüringen vor. Es sei schlicht „nicht nachzuvollziehen, inwiefern sich die bayerischen Leistungen verdoppelt haben sollen“. Ein Vergleich der Jahre 2019 und 2021, also vor und nach der gesetzlichen Änderung, zeige über alle Ausgleichsstufen hinweg sogar einen Rückgang der Belastung Bayerns von 9,17 Milliarden Euro auf 9,04 Milliarden Euro. Bayern zahlt im neuen System also mehr als 100 Millionen Euro weniger als zuvor – und nicht das Doppelte.

Söders Behauptungen „nicht nachvollziehbar“

Auch insgesamt sanken die Ausgleichsleistungen zwischen den Ländern von 18,7 Milliarden Euro auf 17,1 Milliarden Euro. Dass dennoch mehr und nicht weniger Geld im Topf ist als je zuvor, liegt nicht an den Ländern, sondern am Bund. Der erhöhte seine Bundesergänzungszuweisungen um mehr als drei Milliarden Euro jährlich. Auch das trug damals zu einer einvernehmlichen Lösung und zur Zustimmung Bayerns bei.

Auch Rheinland-Pfalz, im Jahr 2021 mit 287 Millionen Euro ein Geberland, bestätigt die Angaben aus Thüringen. Vom dortigen Finanzministerium heißt es bloß, Söders Behauptungen seien „nicht nachvollziehbar“. Im Jahr 2020 sei Bayern im neuen Finanzausgleichssystem sogar nur mit rund 7,8 Milliarden Euro belastet gewesen. Es sei daher „irritierend, dass Bayern eine Reform, in der es nach eigener Aussage federführend mitwirkte, nach nur zwei Jahren so in Frage stellt.“ Wenn man einen „systematisch richtigen Vergleich“ der Ausgleichswirkungen vor und nach der Reform vornehme, lösten sich Bayerns Argumente in Luft auf.

Allerdings weiß man auch im bayerischen Finanzministerium insgeheim, dass die Argumentation des eigenen Ministerpräsidenten etwas wackelig ist. Die dortige Fachebene betont sogar offiziell, dass „aufgrund des komplexen Systemwechsels“ ein „unmittelbarer Vergleich der Jahre bis einschließlich 2019 und ab dem Jahr 2020 nur bedingt zweckmäßig“ sei. Mitgemeint ist damit, ob gewollt oder nicht, allerdings auch die Argumentation des eigenen Ministerpräsidenten.

„Dauerhaft grobe Missverhältnisse“

Staatsminister Albert Füracker (CSU) äußert sich gegenüber Cicero denn auch gemäßigter als Markus Söder. Bayern sei durch seine Beiträge zum Finanzausgleich zwar ein „Stabilitätsanker in Deutschland“, aber es müssten zugleich „dauerhaft grobe Missverhältnisse“ vermieden werden. Zur Frage, wann über eine Klage endgültig entschieden werde, äußerte er sich dabei nicht. Füracker war unter Söder Staatssekretär im Finanzministerium und hat die Reform des Finanzausgleiches als Amtschef ebenfalls federführend begleitet.

Zwar betonte Ministerpräsident Söder bei Markus Lanz, dass Bayern natürlich „auf keinen Fall“ raus wolle aus Deutschland, rechtlich ginge das ja auch gar nicht. Aber der Freistaat zahle inzwischen eben ein „Übermaß an Geld“, das laufe alles „völlig aus dem Ruder“. Im Finanzministerium in Mainz hat man eine Erklärung für diese Argumentation: „Es ist ein aus der Vergangenheit bekannter Reflex bayerischer Landesregierungen, engere Spielräume im dortigen Landeshaushalt auf eine vermeintliche Überlastung Bayerns im bundesstaatlichen Finanzausgleich zurückzuführen. Mit der tatsächlichen Ausgestaltung der Ausgleichsregelungen haben diese Vorwürfe nichts zu tun.“

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