Rücktritt in Thüringen - Was wollte Kemmerich erreichen?

Am Ende war der Druck zu groß. Thomas Kemmerich konnte nur noch einen Rückzieher machen, nachdem auch FDP-Chef Christian Lindner ihn fallen ließ. Übrig bleibt ein Scherbenhaufen. Aber auch neue Optionen für rechte Mehrheiten.

FDP: Ein alter Satz und seine aktuelen Folgen / dpa
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Marko Northe hat die Onlineredaktion von cicero.de geleitet. Zuvor war er Teamleiter Online im ARD-Hauptstadtstudio und Redakteur bei der "Welt". Studium in Bonn, Genf und Berlin sowie am Deutschen Literaturinstitut Leipzig. 

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Es dürfte am Ende auf die kürzeste Amtszeit eines deutschen Ministerpräsidenten hinauslaufen. Die FDP-Fraktion hat am Donnerstag etwa 24 Stunden nach der Wahl von Thomas Kemmerich einen Antrag auf Auflösung des Thüringer Landtags gestellt. Thomas Kemmerich hat seinen Rücktritt erklärt. Aber was wollte er mit seiner Ernennung zum thüringischen Ministerpräsidenten eigentlich bezwecken? Diese Frage bleibt nach dem „Erfurter Erdbeben“ und seinen anhaltenden Erschütterungen. Dass Thomas Kemmerich sich als Anführer der Partei, die es mit Ach und Krach über die 5-Prozent-Hürde geschafft hatte, zum Ministerpräsidenten wählen ließ, war absehbar eine Schnapsidee.

Vielleicht hat Kemmerich die Entrüstung unterschätzt, die ihm seit seiner Wahl entgegenschlug. Doch kann man wirklich so naiv sein? Es dauerte keine 24 Stunden, bis erst Angela Merkel sich äußerte und dann zum zweiten Mal auch Christian Lindner, der Kemmerich zum Rücktritt bewegen wollte. So ist kein Staat zu machen, auch nicht im Freistaat Thüringen. So kann man nicht einmal ein Kabinett aufstellen.

Hamburg und Bayern als Seismographen

Übrig bleibt ein Scherbenhaufen. Kemmerich ist verbrannt und geht als Ministerpräsident mit der wohl kürzesten Amtszeit in die Geschichte der Bundesrepublik ein. Für die FDP ist es ein Imagedesaster. Sie gilt nun als die Partei, die sich nicht zu schade ist, mit den Stimmen der Höcke-AfD an die Macht zu kommen. Christian Lindners Tage als Vorsitzender der Liberalen dürften dementsprechend gezählt sein. Sein Satz „Es ist besser nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ fiel ihm nach der Wahl Kemmerichs auf die Füße. Schnell wurde ihm der Spruch von Kritikern umgedreht: "Lieber mit der AfD regieren, als gar nicht regieren". Erstaunlich lange fand Lindner keine klare Haltung zu den Vorgängen in Thüringen. Da mussten ihm erst Parteikolleginnen wie Marie-Agnes Strack-Zimmermann auf die Sprünge helfen.

Wie groß der Schaden für die FDP sein wird, dürfte man schon bald an den Ergebnissen der Hamburger Bürgerwahl ablesen können. Die Parteifreunde aus dem Norden werden sich bei Thomas Kemmerich bedanken, wenn sie nicht über die 5-Prozent-Hürde kommen. Und auch bei den bayerischen Kommunalwahlen im März wird das „Erfurter Erdbeben“ noch zu spüren sein.

Kalkulierte Tabubrüche

Doch auch Andere sind nun angezählt. Angela Merkel zum Beispiel. Auch wenn sie nicht mehr die Parteivorsitzende der CDU ist, ist jede Stimme aus der CDU-Fraktion für Kemmerich auch ein Affront gegen sie. Dass es der von ihr installierten Nachfolgerin Kramp-Karrenbauer nicht gelingt, die Partei auf Linie zu halten, fällt auch auf Merkel zurück, die in diesen Tagen besonders müde wirkt. Statt klar den Rücktritt Kemmerichs zu fordern, wünschte sich Merkel dementsprechend verwurschtelt, dass die Wahl „rückgängig“ gemacht wird. Als könne man das verordnen. Als könne man das Ereignis ungeschehen machen.

Man kann es nicht. Wenn man sich einmal von der AfD zum Ministerpräsidenten wählen lässt, und sei es noch so kurz, dann kann man es auch ein zweites Mal. Und Entscheidungen mit weniger Tragweite kann man dann erst recht von der sogenannten Alternative für Deutschland mittragen lassen. Der Aufschrei wird jedes Mal groß sein, aber wahrscheinlich nie mehr so groß wie bei Kemmerichs Wahl.

Die AfD wird stärker werden

Die AfD ist deshalb der Gewinner. Sie ist der Normalisierung ein großes Stück näher gekommen. Und vielleicht, ganz vielleicht beantwortet ja auch das die Frage, worauf Kemmerich und Konsorten mit dieser Aktion hinaus wollten. Auch wenn einzelne Personen über die Wahl fallen werden, so ergeben sich neue Machtoptionen aus diesem Präzedenzfall. Die Brandmauer zur AfD haben Kemmerich, Mohring und ihre Fraktionen niedergerissen.

Die AfD wird dadurch stärker werden. Nach der nächsten Thüringenwahl ist dann vielleicht das Argument von CDU, FDP und AfD: Die Bürger wollen nun einmal eine rechte Regierung. Und in Berlin könnte dann keine Kanzlerin Merkel mehr sitzen, die sich wünscht, dass der Vorgang „rückgängig“ gemacht wird.

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