Thüringen und die Folgen - Die CDU kreist um ihren Fixstern AfD

Mit den Linken zu kooperieren, und sei es nur durch die „passive Wahl“ Ramelows, würde der Programmatik der CDU fundamental widersprechen. Die Christdemokraten machen ihre Politik von der AfD abhängig und sich selbst damit immer mehr überflüssig.

CDU-Zentrale in Berlin: Die Partei trudelt ihrem Untergang entgegen / dpa
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Frank Lübberding ist freier Journalist und Autor.

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Parteien kann man als eine Gruppe gleichgesinnter Bürger definieren, die „sich die Durchsetzung gemeinsamer politischer Vorstellungen zum Ziel gesetzt haben.“ So hat es vor Jahrzehnten schon das „Wörterbuch zur Politik“ definiert. Diese seien zugleich „Ausdruck von Interessenkonflikten, die sie artikulieren und organisieren, die sie gleichzeitig aber auch aufzuheben trachten“, so der Politikwissenschaftler Rainer-Olaf Schultze im Jahr 1992.

Er konnte nicht ahnen, in welche Konfusion unser Parteiensystem 28 Jahre später geraten sollte. Die Parteien definieren sich nicht mehr als ein Zusammenschluss gleichgesinnter Bürger, sondern als Parteien mit gleicher Gesinnung. Denn alle sonstigen Unterschiede werden durch den politischen Monopolanspruch aufgehoben, den man der AfD eingeräumt hat. Sie ist zum Fixstern unseres politischen Sonnensystems geworden, um den alle anderen Parteien wie abhängige Trabanten kreisen. Dabei ist sie von einer parlamentarischen Mehrheit in allen Bundesländern weit entfernt, vom Bundestag gar nicht erst zu reden. 

Ein grundsätzliches Problem

Trotzdem hat es die AfD geschafft, die CDU aus ihrer gewohnten Umlaufbahn herauszuholen. Führungslos trudelt sie dem Untergang entgegen. Sie hat es ihren politischen Wettbewerbern überlassen, welche Gesinnung in dieser Gruppe namens CDU zu finden sein soll. Die AfD sieht sie als Teil eines bürgerlichen Lagers, das sich über die Abgrenzung von der linken Konkurrenz definiert. Für deren Parteien ist die CDU ein Baustein in einem antifaschistischen Bündnis gegen die AfD. Für eine der beiden Seiten soll sich die CDU entscheiden, wobei jede Wahl automatisch von der Gegenseite als Verrat betrachtet wird.

In dieser Konstellation hat die Union allerdings ein grundsätzliches Problem: Die Mehrheit ihrer Mitglieder und Wähler in Ostdeutschland wollen nicht in das linke Lager wechseln. Die Übernahme des linken Selbstverständnisses wird ihr somit wenig nutzen: Wähler mit dieser Gesinnung hatten schon bisher genügend Optionen im Parteiensystem. 

Nur in der CDU brechen alle Dämme

Der Ausgangspunkt dieser Misere war bekanntlich die Wahl eines FDP-Ministerpräsidenten mit Stimmen der CDU und der AfD im Thüringer Landtag, zumeist als „Dammbruch“ beschrieben. Nur brechen in Wirklichkeit lediglich in der CDU alle Dämme. Sie hat die Sprachregelung ihrer Konkurrenz übernommen, und sich damit in Gegensatz zu einem Großteil ihrer Mitglieder und Wähler gebracht.

Weil eine solche FDP/CDU-Minderheitsregierung in Thüringen unmöglich geworden ist, wird sie in das andere politische Lager getrieben. Schließlich braucht Thüringen eine neue Landesregierung, die nicht nur aus einem zurückgetretenen FDP-Ministerpräsidenten besteht. Das wiederum widerspricht der eigenen Programmatik, die die Wahl eines Ministerpräsidenten der Linken kategorisch ausschließt. So verknüpfen sich die politischen Widersprüche zu einem Strick, den sich die CDU selber um den Hals gelegt hat. 

Den Strick noch fester geschnürt

An diesem Wochenende versuchte die Thüringer CDU in enger Abstimmung mit der Bundesvorsitzenden diesen Strick abzulegen, und schnürte ihn nur noch fester. Sie ließ sich auf einen Kompromiss ein, der Bodo Ramelow im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit zum Ministerpräsidenten machen sollte. Das geht nur mit Hilfe von vier CDU-Abgeordneten, weil die FDP eine solche Unterstützung ausgeschlossen hatte. Die AfD wurde nachvollziehbarerweise erst gar nicht gefragt. Als Gegenleistung sollte es bis zum April kommenden Jahres eine von der CDU unterstützte Minderheitsregierung geben.

Die Bundesvorsitzende der Linken begrüßte schon am Freitag die CDU für ihren Eintritt in die linke Gesinnungsgemeinschaft. Die Verständigung in Thüringen habe historische Dimension, so Katja Kipping nicht ohne Stolz. Damit sei die von der „CDU praktizierte Äquidistanz faktisch erledigt. Good-bye Hufeisentheorie.“ Zudem habe die CDU „endlich die Ausgrenzung linker Ideen korrigiert“, das sei „eine gute Nachricht für den antifaschistischen Konsens des Grundgesetzes.“

Ramelows Notbremse

Nach den ersten Unmutsäußerungen aus der CDU versuchte Bodo Ramelow eine politische Notbremse. Es wären keine „Vereinbarungen getroffen“ worden, „die den CDU-Parteibeschlüssen widersprechen.“ Das gelte auch in Bezug auf die Ministerpräsidentenwahl, so der Kandidat der Linken. Trotzdem ginge Ramelow „davon aus, im ersten Wahlgang mit einer Mehrheit durch Abgeordnete der demokratischen Fraktionen gewählt zu werden.“

Er dementierte somit die Begrüßung der CDU im Lager der Linken, um aber gleichzeitig deren Eintritt vorauszusetzen. Wer sollte ihn sonst wählen, außer die CDU-Abgeordneten? Gleichzeitig war die Vermutung artikuliert worden, der Neuwahltermin hätte mehr mit den Versorgungsansprüchen von CDU-Landtagsabgeordneten zu tun, als mit deren staatsbürgerlichen Verantwortung. 

Die Substanz der CDU

So distanzierte sich zuerst Jens Spahn (CDU) von der Thüringer Vereinbarung, anschließend CDU-Generalsekretär Paul Ziemiak. Es ginge um die Substanz der CDU, um ein Wort des Bundesgesundheitsministers zu zitieren. Die ist aber in dem Moment verloren gegangen, als die CDU den Alleinvertretungsanspruch der AfD für das rechte Lager akzeptierte. Den kann diese nur durchsetzen, wenn die CDU die Übernahme linker Glaubensbekenntnisse über ein „antifaschistisches Bündnis“ zu ihrer programmatischen Grundlage macht.

Tatsächlich ist die AfD eine Oppositionspartei, die in allen gesellschaftlichen Gruppen eine Minderheit repräsentiert. Sie ist keine Bedrohung für die deutsche Demokratie, sondern wird mittlerweile von ihren Gegnern als Mittel zur Durchsetzung ihrer eigenen politischen Agenda genutzt. Das Grundgesetz hatte nämlich noch nie den Sinn, einen politischen Feind im Sinne eines „antifaschistischen Konsens“ zu definieren. Es soll vielmehr die politischen Freiheiten aller Bürger gewährleisten.

Als Feinde der Freiheit gelten lediglich jene Extremisten, die die demokratische Ordnung auch mit Einsatz von Gewalt abschaffen wollen. Wenn die CDU diesen Unterschied nicht mehr versteht, wird sie scheitern. Anschließend wird sich allerdings das politische System der Bundesrepublik Deutschland um zwei feindliche Lager konstituieren, die sich wechselseitig ihre Existenzberechtigung bestreiten. Jeder würde zum „Faschisten“ oder „Antifaschisten“, wobei die Definitionshoheit den Extremisten überlassen bliebe. Die CDU wäre in diesem System überflüssig: Wahrscheinlich ist es das beste, was man in diesen Tagen von ihr sagen kann.
 

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