Thomas Haldenwang und die AfD - Politische Kommentare sind nicht Aufgabe des Verfassungsschutzes

Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang bewertete in einem Interview die Kandidatenaufstellung der AfD zur Europawahl. Das war eine Kompetenzüberschreitung. Nun hat seine Behörde eine Stillhalteerklärung abgegeben.

Zum Schweigen verpflichtet: Thomas Haldenwang, Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz / dpa
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Dr. Hugo Müller-Vogg arbeitet als Publizist in Berlin. Er veröffentlichte zahlreiche Bücher zu politischen und wirtschaftlichen Fragen, darunter einen Interviewband mit Angela Merkel. Der gebürtige Mannheimer war von 1988 bis 2001 Mitherausgeber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung.

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Demokratische Strukturen sind nicht gottgegeben, die Demokratie muss immer wieder verteidigt und erkämpft werden. Dabei spielt der Verfassungsschutz eine wichtige Rolle. Denn er kann auch mit nachrichtendienstlichen Mitteln vermeintliche und tatsächliche Feinde der Freiheit beobachten. Das tut er bei der AfD, seitdem er die Partei als Extremismus-Verdachtsfall eingestuft hat. 

Man brauchte vor einer Woche aber keinen Verfassungsschutz um festzustellen, dass auf der Europawahlversammlung Positionen vertreten wurden, die mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung nicht vereinbar sind. Auch berichteten alle Medien darüber, wie stark der thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke und seine rechtsextremen Anhänger die Versammlung dominierten.

„Rechtsextremistische Verschwörungstheorien“

Es gab also keinen zwingenden Grund, dass Verfassungsschutzpräsident Thomas Haldenwang sich in einem Interview zu Worte meldete und die AfD-Versammlung kommentierte. So sagte er, Vertreter des ehemaligen gemäßigteren Lagers hätten bei der Aufstellung so gut wie keine Rolle mehr gespielt. Und: „Vielmehr äußerten diverse Wahlbewerber rechtsextremistische Verschwörungstheorien, wie beispielsweise die vom sogenannten ‚Großen Austausch‘.“

Haldenwangs Fazit: „Die bisherige Europawahlversammlung der AfD, die wir als Verdachtsfall bearbeiten, belegt einmal mehr unsere Einschätzung, dass innerhalb der Partei starke verfassungsfeindliche Strömungen bestehen, deren Einfluss weiter zunimmt.“

Haldenwang hätte besser geschwiegen

Der Mann hat Recht – und hätte dennoch besser geschwiegen. Denn es gehört nicht zu den Aufgaben seiner Behörde, Parteitage zu bewerten. Falls das so wäre, müsste der Verfassungsschutz sich dann nicht ebenfalls zu Veranstaltungen anderer Parteien äußern? Müsste Haldenwang nicht ebenso Forderungen nach verfassungswidrigen Enteignungen oder das Gutheißen von strafrechtlich relevanten Formen des Protests aus verfassungsrechtlicher Sicht bewerten? Der Verfassungsschutz als politischer Oberschiedsrichter? 

Nein, dass kann nicht die Aufgabe des Bundesamtes für Verfassungsschutz sein. Der Verfassungsschutz hat laut Gesetz unter anderem die Aufgabe, „Informationen, insbesondere von sach- und personenbezogenen Auskünften, Nachrichten und Unterlagen, über Bestrebungen, die gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung (…) gerichtet sind“, zu sammeln und auszuwerten.

Über entsprechende Erkenntnisse gibt die Behörde im jährlichen Verfassungsschutzbericht öffentlich Auskunft. Dabei geht es um die rechtliche Prüfung, nicht um die politische Einordnung. Der Verfassungsschutz ist kein Gericht. Ob eine Organisation verfassungsfeindlich ist oder nicht, entscheidet letztlich das Bundesverfassungsgericht.

Klimakleber verteidigt

Offensichtlich neigt Haldenwang dazu, seine Stimme auch im politischen Tagesgeschäft zu erheben. So hat er vor einiger Zeit die „Klimakleber“ gegen den aus der CSU erhobenen Vorwurf in Schutz genommen, hier könnte eine „grüne RAF“ entstehen. Als die Umfragewerte der AfD vor ein paar Wochen in die Höhe gingen, sagte Haldenwang im ZDF, der Verfassungsschutz sei „nicht allein“ dafür zuständig, die Umfragewerte der AfD zu senken. „Aber wir können die Bevölkerung wachrütteln, wir können Politiker wachrütteln.“
 

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Es wäre allerdings bedenklich, wenn die Politiker von CDU/CSU, SPD, Grünen und FDP erst den Verfassungsschutz brauchten, um angesichts der zunehmenden Radikalisierung der AfD wachgerüttelt zu werden. Die Bürger wachzurütteln ist ebenfalls nicht die Aufgabe einer Bundesbehörde, sondern in erster Linie von Parteien, gesellschaftlichen Organisationen und von allen Demokraten, denen an unserer freiheitlichen, pluralistischen Ordnung liegt.

AfD ist vor Gericht gezogen

Dass die AfD gegen Haldenwangs Äußerungen juristisch vorgehen würde, war zu erwarten. Schließlich inszeniert sich die Rechtsaußenpartei gerne und nicht ohne Erfolg als Opfer der „Etablierten“. Folglich hatte die AfD beim Verwaltungsgericht Köln einen Eilantrag gestellt, dem Verfassungsschutz Einschätzungen zur AfD unter anderem während der Fortsetzung der Europawahlversammlung an diesem Wochenende zu untersagen. Im Rahmen dieses Verfahrens hat die Behörde nach Angaben des Gerichts eine Stillhaltezusage abgegeben. Das Bundesamt betonte, es habe dies „aus Respekt vor dem Gericht“ getan.

Der Verfassungsschutz war den Radikalen schon immer ein Dorn im Auge. Die Linke alias PDS hat wiederholt seine Auflösung gefordert, ebenso die AfD. Aber eine Demokratie kann sich nur behaupten, wenn sie wehrhaft ist. Sie muss aber auch glaubwürdig sein, was wiederum strikte parteipolitische Neutralität des Verfassungsschutzes voraussetzt. Haldenwangs Vorgänger Hans-Georg Maaßen hat gegen Ende seiner vorzeitig beendeten Amtszeit Zweifel an dieser Glaubwürdigkeit genährt, was der Behörde nicht gutgetan hat.

Mit Haldenwang hat der Verfassungsschutz sich wieder ein deutlich besseres Ansehen erworben. Das droht er mit seinen tagespolitischen Kommentaren aufs Spiel setzen. Vom verstorbenen FDP-Rechtspolitiker Burkhard Hirsch stammt der Satz, „der Verfassungsschutz ist dazu da, die Verfassung zu schützen, nicht die Regierung“. Wenn – berechtigt oder nicht – ein anderer Eindruck entsteht, gefährdet der Verfassungsschutz seinen Auftrag. 

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