Steuergeld für Denkfabriken? - Ein Plädoyer für Unabhängigkeit und Staatsferne in der Forschung

Die meisten der in Politik und Medien zitierten Energiewendestudien erfüllen nicht einmal die Mindeststandards guter wissenschaftlicher Praxis. Die Förderung sogenannter Denkfabriken mit Steuergeldern sollte deshalb vollständig und ersatzlos eingestellt werden.

Rotorblätter eines Windrades / dpa
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Autoreninfo

Prof. Dr. André D. Thess leitet das Institut für Gebäudeenergetik, Thermotechnik und Energiespeicherung an der Universität Stuttgart.

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In unserer an Ökosiegeln, Echtheitszertifikaten und Klimaneutralitätsversprechen nicht gerade armen Zeit hält sich ein Etikettenschwindel besonders hartnäckig: NGO. Die Abkürzung steht für „Non-Governmental Organization“ – „Nichtregierungsorganisation“. Der Buchstabe „N“ signalisiert Unabhängigkeit und Staatsferne, so die Theorie. Doch wie sieht es in der Praxis aus?

„Unsere wissenschaftlich fundierte Forschung zeigt praktische politische Lösungen auf und verzichtet dabei auf ideologische Festlegungen“ – so beschreibt sich die Denkfabrik Agora Energiewende auf ihren Internetseiten. Das laut Eigendarstellung „weder unternehmerischen noch politischen Interessen“ verpflichtete Institut erhielt im Jahr 2021 Steuergelder in Höhe von 922.493 Euro vom Bundeswirtschaftsministerium. Im Jahr nach dem Regierungswechsel wuchs der Betrag auf 1.707.954 Euro an, eine Steigerung auf 185 Prozent. Insgesamt erhielt Agora im Jahr 2022 von Wirtschafts-, Umwelt- und Wissenschaftsministerium 3.070.028 Euro. Von dieser Jahresscheibe könnte man an einer deutschen Universität 60 Doktoranden bezahlen.

Nur eine bedingte formelle Qualifikation

Solche Zahlen werfen die Frage auf: Sollten Denkfabriken mit Steuergeld gefördert werden? Sie beschränkt sich nicht auf Institutionen, die sich NGO nennen. Sie stellt sich ebenso für Denkfabriken und Beratungsunternehmen. Diese werden oft stillschweigend den NGOs zugerechnet. Für die Antwort ist es erhellend, zunächst zwei andere Fragen zu erörtern: Ist NGO-Personal für „wissenschaftlich fundierte Forschung“ qualifiziert? Sind die als „praktische politische Lösungen“ vermarkteten Aussagen glaubwürdig?

Der Klassiker „Grenzen des Wachstums“ des Club of Rome aus dem Jahr 1972 ist auf Grund seines Alters und seiner Bekanntheit für die Beantwortung dieser Fragen prädestiniert. „Grenzen des Wachstums“ wurde von vier Leitautoren verfasst, dem Studienleiter Dennis Meadows, seiner Ehefrau Donella Meadows, Jorgen Randers und William W. Behrens III. 13 internationale Fachleute vervollständigten das Studienteam. Von der 17-köpfigen Mannschaft war eine Minderheit von sechs Mitgliedern promoviert.

Da die Promotion in der akademischen Welt als Voraussetzung für eigenverantwortliche fundierte wissenschaftliche Arbeit gilt, lässt sich den Analysten somit allenfalls eine bedingte formelle Qualifikation bescheinigen. Angesichts der vermeintlich weltumspannenden Tragweite der Studie ein wichtiges Detail – hatte das Projekt doch kein geringeres Ziel, als eine Computersimulation der Menschheit bis zum Jahr 2100. Wie ist es um die Glaubwürdigkeit der Analysen und daraus abgeleiteter politischer Handlungsempfehlungen bestellt? Hierfür ist ein Blick auf die Berechnungsergebnisse angebracht.

Glaubwürdigkeit der Studie

Die Quintessenz der Simulationen lautet: Für die Mehrzahl der Szenarien ergibt sich über kurz oder lang eine Katastrophe – mathematisch ausgedrückt in einer Erschöpfung der Ressourcen, im Zusammenbruch von Lebensmittel- und Industrieproduktion sowie in einer daraus resultierenden starken Abnahme der Weltbevölkerung. Die Rechenergebnisse suggerieren, die Welt käme nur durch drakonische staatliche Eingriffe in Form strikter Geburtenkontrolle und des Einfrierens der Industrieproduktion auf dem Niveau des Jahres 1972 in den Zustand des sogenannten globalen Gleichgewichts. Nach Aussage der Autoren, wären diese beiden Maßnahmen unabdingbar gewesen, um eine stabile Bevölkerungszahl, ausreichend Nahrung und eine nur langsam abnehmende Menge an Ressourcen zu erreichen. 

 

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Um die Glaubwürdigkeit der Studie zu beurteilen, ist es angebracht, sie sowohl aus der Perspektive des Erscheinungsjahres, als auch aus heutiger Perspektive zu betrachten. Schon 1972 kritisierte Robert Gillette im Wissenschaftsmagazin Science (Band 175, Seiten 1088–1092), dass die Studie entgegen den Gepflogenheiten nicht in einer unabhängig begutachteten Fachzeitschrift veröffentlicht worden war. Und Thomas Boyle vom Lowell Observatory in Flagstaff (Arizona) stellte beim Nachrechnen im Jahr 1973 fest, dass wegen eines Programmierfehlers drei von zwölf Simulationen aus der Studie falsch waren.

Somit waren die Handlungsempfehlungen der Studie schon zum Zeitpunkt ihres Erscheinens unglaubwürdig. Diese Einschätzung lässt sich aus heutiger Sicht bestätigen. Wären die Politiker den damaligen Empfehlungen gefolgt, würden heute mehrere hundert Millionen Chinesen und Inder in Armut verharren, der sie dank Innovation, Globalisierung und Fleiß entkommen sind. „Grenzen des Wachstums“ ist somit rückblickend nicht wissenschaftlich fundiert und wäre nur um den Preis schwerer Menschenrechtsverletzungen umsetzbar gewesen. Statt Verklärung und undifferenzierter Lobpreisungen in den meisten Medien wäre es angemessen, das Werk als Ursünde der Politikberatung zu bezeichnen. 

Eine unabhängige Qualitätskontrolle fehlt

Wenden wir uns nun den Denkfabriken der Gegenwart zu. Wie ist es mit der wissenschaftlichen Qualifikation ihres Personals bestellt? Die Analyse des Mitarbeiterstamms von Denkfabriken wie Agora ist anhand ihrer Internetauftritte möglich. Sie zeigt, dass die Mehrzahl der Projektbearbeiter nicht promoviert ist. Die Promotion als Qualitätssiegel und Voraussetzung für unabhängige Forschung hat nichts mit Standesdünkel zu tun. Sie ist ein Instrument der Qualitätssicherung, vergleichbar mit dem Zweiten Staatsexamen als Nachweis der Befähigung für das Richteramt. In Denkfabriken ist die Qualifikation augenscheinlich in weitaus geringerem Maße vorhanden, als an Universitäten und Forschungszentren. 

Die Studien von Denkfabriken wie Agora Energiewende sind in der Regel nicht in referierten Fachzeitschriften veröffentlicht. Damit fehlt ihnen eine unabhängige Qualitätssicherung, das sogenannte peer-review. Gern führen Denkfabriken vermeintlich unabhängige Qualitätskontrollen durch Aufsichtsgremien oder Beraterkreise ins Feld. Da diese Zirkel weder unabhängig noch anonym agieren, handelt es sich es sich um keine Qualitätssicherung, die den Standards der Wissenschaft genügt.

In diesem Zusammenhang ist die Doppelmoral mancher Medien bemerkenswert: Während der Hamburger Physikprofessor Roland Wiesendanger vom öffentlich-rechtlichen Rundfunk und zahlreichen Medien dafür kritisiert wurde, seine Studie zum Ursprung der Corona-Pandemie nicht in einer begutachteten Fachzeitschrift veröffentlicht zu haben, zitieren die gleichen Medien bereitwillig Energiewendestudien von Denkfabriken ohne Qualitätskontrolle.

Nicht einmal Mindeststandards

Als Fazit lässt sich daher feststellen, dass Energiewende-Denkfabriken in der Regel weder die Qualifikation für „wissenschaftlich fundierte Arbeit“ noch für das Aufzeigen „praktischer politischer Lösungen“ ohne „ideologische Festlegungen“ besitzen. Die Öffentlichkeit sollte sich bewusst sein, dass die meisten der in Politik und Medien zitierten Energiewendestudien nicht einmal den Mindeststandards guter wissenschaftlicher Praxis genügen.

Damit beantwortet sich für mich die Frage, ob Denkfabriken Steuergelder für die Analyse energie- und klimapolitischer Fragen erhalten sollten, oder ob diese besser an Universitäten angelegt sind. Mir erscheint es geboten, die Förderung von Denkfabriken mit Steuergeldern umgehend, vollständig und ersatzlos einzustellen. Dies trüge zur dringend notwendigen Entlastung des Bundeshaushaltes bei und hätte überdies den Vorteil, dass sich die erklärte Unabhängigkeit der Denkfabriken vom Staat konsequent in der Finanzierungsstruktur niederschlüge. Einige GOs würden sich vielleicht in echte NGOs verwandeln; der Rest würde ohne den geringsten Schaden für die Zivilisation vom Erdball verschwinden.

 

Anna Veronika Wendland im Gespräch mit Daniel Gräber
Cicero Podcast Wirtschaft: „Bei der Energiestrategie ist Stimmungspolitik Gift“

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