
- Selbstmord aus Angst vor dem Tode
Kolumne: Grauzone. Die SPD hat sich in ein Dilemma hineinmanövriert. Schuld daran ist nicht Angela Merkel, sondern die Parteiführung. Vom Anwalt der kleinen Leute hat sie die SPD zum Sprachrohr des linken Bürgertums gewandelt. Nur ein Beben brächte Hoffnung. Aber reicht dazu der Mut?
Niemand kann in die Zukunft schauen. Das macht Entscheidungen mitunter so schwierig. Noch problematischer wird es allerdings, wenn absehbar ist, dass jede mögliche Entscheidung fatale Folgen hat. Dann klammern sich Menschen gerne an die Gegenwart und hoffen, dass der Kelch diesmal an ihnen vorbeigehen möge. In einer solchen, höchst unerfreulichen Situation befindet sich zurzeit die SPD: Jede Entscheidung für oder gegen die große Koalition scheint auf den ersten Blick verhängnisvoll. Am liebsten würde die Partei daher wohl gar keine Entscheidung treffen und die Sache aussitzen. Doch der Kelch wird nicht vorbeigehen. Soviel ist sicher.
Die Parteiführung hat das Dilemma verschuldet
Natürlich wäre es die Aufgabe der Parteiführungen der letzten Jahre gewesen, genau eine solche Situation zu vermeiden. Denn die Führungsebene einer Partei ist nicht nur für taktisches Hickhack zuständig, sondern sollte auch in der Lage sein, langfristig strategisch zu denken. War man aber nicht. So gesehen wäre es eigentlich die sauberste Lösung, wenn das Parteipräsidium geschlossen zurückträte. Aber das wird natürlich nicht geschehen.
Also harrt man panisch der Dinge, die da kommen werden, morgen beim Sonderparteitag in Bonn. Wohl wissend, dass es entweder die Pest oder die Cholera ist. Und wie das so ist bei den Sozialdemokraten: Man wird die Schuld für diese Situation nicht etwa bei sich selber suchen, sondern bei den anderen: bei Angela Merkel, dem Neoliberalismus, den Populisten oder wem auch immer.
Das Sondierungspapier offenbart die Mängel
Um zu begreifen, wie man die aktuelle, äußerst missliche Lage kommen konnte, braucht man in Bonn jedoch nur einen Blick in das Sondierungspapier zu werfen, auf das sich die SPD mit den Unionsparteien geeinigt hat. Am besten beginnt man bei dem Themenklassiker schlechthin: der Flüchtlingspolitik. 180.000 bis 220.000 Flüchtlinge will man jedes Jahr ins Land lassen. Das entspricht der Einwohnerschaft einer durchschnittlichen deutschen Großstadt. Die will man also aus dem Boden stampfen, Jahr für Jahr, mit Wohnungen, Straßen und Schulen und allem was dazugehört. Derweil kann der klassische SPD-Wähler seine Miete kaum noch zahlen und steht jeden Morgen in einer maroden Infrastruktur im Stau. So, liebe SPD, zementiert man seinen Untergang.
Aber zum Glück gibt es da ja das Herzensthema des Vorsitzendenden: die EU. Die soll umfassend reformiert werden. Das bedeutet unter anderem, dass der Euro-Krisenfond ESM zu einem europäischen Währungsfond weiterentwickelt werden soll, natürlich parlamentarisch kontrolliert. Ärgerlich nur, dass damit nicht etwa der Deutsche Bundestag gemeint ist, sondern das Europäische Parlament. Der Facharbeiter und Handwerker ahnt, wohin da seine Steuergelder entschwinden. Wer dann auch noch Schulzens großartige Visionen der Vereinigten Staaten von Europa im Hinterkopf hat und weiß, dass das für die Kernklientel der SPD langfristig höhere Abgaben bedeutet, der kann sich über die Lage der SPD unmöglich wundern
Das strategische Dilemma
Nein, die Krux der SPD ist nicht – wie seit Jahren so häufig kolportiert –, dass sie nicht weiß, was sie will. Es ist viel schlimmer: Sie weiß genau was sie will, und das ist das Problem. Vom Anwalt der kleinen Leute hat sich die SPD zum Sprachrohr des linken Bürgertums gewandelt.
Hieraus entsteht das strategische Dilemma, in dem sie steckt: Geht sie in die Opposition, wird sie weiter nach links rücken oder besser: in die Richtung, die die akademische SPD-Linke für links hält. Das ist dann die endgültige Verabschiedung der alten Arbeiterpartei von der Arbeitnehmerschaft. Oder sie verbleibt in der großen Koalition, dann sind alle unzufrieden: die akademische Neulinke und die Traditionswähler. Beide Optionen führen schnurstracks Richtung 15 Prozent.
Nur in Trümmern läge Hoffnung
Hoffnungslose Situationen haben jedoch einen großen Vorteil: Es braucht keinen Mut, um mutig zu sein. Wenn man nur zwischen Pest und Cholera wählen kann, bleibt nur eine Lösung: alles auf eine Karte zu setzen, Sekt oder Selters. Dass die Karte unmöglich Angela Merkel heißen kann und es mit Martin Schulz keinen Sekt geben wird, ist offensichtlich. Die SPD würde diesem Land, erst recht aber sich selbst, daher ein großen Gefallen tun, wenn sie morgen die Notbremse zöge und ihren Parteiführern einen Strich durch die großkoalitionäre Rechnung machte.
Das gäbe ein politisches Beben, keine Frage. Aber nur auf dessen Trümmern hätte die SPD eine Chance, sich zu regenerieren. Doch dazu wird den Genossen wahrscheinlich der Mut fehlen. Also wird man sich einer absoluten SPD-Spezialität hingeben: dem Selbstmord aus Angst vor dem Tod.