Scholz/Geywitz und Walter-Borjans/Esken - Vier Kandidaten und ein Pflegefall

Olaf Scholz und Klara Geywitz, Norbert Walter-Borjans und Saskia Esken sollen um den neuen SPD-Vorsitz kämpfen. Wer es wird, ist offen. Aber eine Gewissheit hat die SPD schon jetzt: Knapp der Hälfte der Mitglieder scheint es inzwischen ziemlich egal zu sein, wer sie künftig führen wird

Norbert Walter-Borjans neben Saskia Esken schüttelt Olaf Scholz neben Klara Geywitz die Hand / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Der Kommentar des Wahlergebnisses stand der kommissarischen Vorsitzenden förmlich ins Gesicht geschrieben. Minutenlang, bis der Schatzmeister Dietmar Nietan an die Verlesung der tatsächlich entscheidenden Zahlen kam, musste sich Malu Dreyer ein Lächeln ins Gesicht zwingen. Es wollte dort aber trotz aller Kraftanstrengung nicht so richtig halten, und immer wieder verrutschte es ihr zu einer eher starren Maske.

Verständlich, denn die erste Erkenntnis dieses Ergebnisses der ersten Urwahl der SPD zu ihrer neuen Parteispitze ist: fast der Hälfte ist es offenbar egal, wer sie führt. Egaler jedenfalls als zuletzt die Frage, ob die SPD in die Große Koalition gehen soll. Immerhin 78 Prozent der SPD-Mitglieder stimmten vor einem Jahr ab, nur 53 Prozent haben sich an der jetzigen Abstimmung beteiligt.

Abgeschlagen sind Stegner und Schwan

Erkenntnis Nummer zwei: Das neue Vorsitzendenduo hat, egal, wer es am Ende wird, nur einen Bruchteil der Parteimitglieder aktiv hinter sich. Die Paarungen Olaf Scholz und Klara Geywitz, Norbert Walter-Borjans und Saskia Ecken gehen in die Stichwahl. Die einen mit knapp 23, die anderen mit 21 Prozent derer, die abgestimmt haben. Das sichert einen gewissen Abstand zu den 14 und 16 Prozent rangierenden Paarungen Michael Roth und Christina Kampmann, Karl Lauterbach und Nina Scheer, Boris Pistorius und Petra Köpping und erst recht zu Ralf Stegner und Gesine Schwan, die mit etwa 9 Prozent als Schlusslicht erkennen müssen, dass nur sehr wenige in der SPD so begeistert sind von ihnen wie sie von sich selbst.

Eine Überraschung ist dieses Ergebnis nicht wirklich. Es war erwartet und auch erhofft worden, dass Geywitz und Scholz in jedem Fall ins Stechen kommen. Für Platz zwei waren entweder Walter-Borjans/Esken oder Pistourius/Köpping erwartet worden.

Die Groko-Frage könnte entscheiden

Dass erstere die Stichwahl erreichen, ist eine Richtungsentscheidung, Pistorius und Köpping wären in jedem Fall Befürworter eines Verbleibs in der Großen Koalition. Hätten Sie das Stechen erreicht, dann wäre so oder so ein Groko-Pärchen an die Spitze gekommen. Jetzt kann es sein, dass sich die zweite Runde entlang der Frage entscheidet, ob die SPD lieber in der ungeliebten Groko bleibt oder rausgeht.

Noch ist nicht ganz klar, wo sich in dieser Frage das Konkurrenzpärchen des amtierenden Vizekanzlers Scholz positioniert. Vor allem Saskia Esken werden durchaus Gelüste nachgesagt, die SPD lieber in die Opposition zu führen, und auch Norbert Walter-Borjans wurde im Laufe der Regionalkonferenzen immer linkspopulistischer.

Hüftsteifes Verfahren mit Hupfdohlengehabe

Ob sich die SPD insgesamt mit diesem Contest einen großen Gefallen getan hat – man darf das bezweifeln. Zwar hat eine junge und aufgekratzt gut gelaunte Ansagerin das Ergebnis anmoderiert wie Heidi Klum ihren Model-Contest – und dabei gar euphorisch auf die große Belebung abgehoben, die dieses Verfahren der SPD gebracht hätte.

Aber dieses Hupfdohlen-Gehabe ist nicht mehr als eine autosuggestive Begeisterung an sich selbst, die weder die eigenen Mitglieder noch die Wählerinnen und Wähler erfasst, wie am morgigen Sonntag besonders drastisch in Thüringen bei der Landtagswahl zu sehen sein wird.

Dem ganzen Verfahren haftet etwas Hüftsteifes an, der Versuch, mit den Paarungen den Frauen zu mehr Geltung zu verhelfen, ist gänzlich misslungen, weil sich etwa Scholz seine Partnerin erst nach seiner Ansage anzutreten suchte und damit schon klar machte, auf wen es eigentlich ankommt. Und in der allgemeinen Wahrnehmung stehen immer auch die Männer im Mittelpunkt, weil sie mindestens zwei Klassen bekannter sind als die jeweilige Anstandsdame. Das einzige Pärchen auf Augenhöhe, das muss man konzedieren, sind Gesine Schwan und Ralf Stegner.

Lockt dieses Schauspiel verlorene Wähler zurück?

In der zweiten Runde dürfen jetzt noch einmal alles 450.000 Mitglieder per Briefwahl oder online über die beiden Erstplatzierten abstimmen. Danach kommt dann am 6. Dezember ein Parteitag, der das Ergebnis endgültig absegnet. Es wird dann ein halbes Jahr her sein, dass Andrea Nahles die Brocken hingeschmissen hat, die SPD hat Kosten von etwa 2 Millionen Euro verursacht, und die Frage ist, ob hinterher irgendetwas wirklich besser ist, ob die SPD auch nur einen einzigen verlorenen Wähler der vergangenen Jahre mit diesem Schauspiel zurückgewinnen kann.

Wahrscheinlich stellt sich der ein oder andere Vernunftbegabte in der Partei diese Frage auch schon. Olaf Scholz zum Beispiel sieht bei diesem Klimbim, der ihm da auferlegt wurde, immer so aus, als würde er am liebsten schreiend davonlaufen. Aber statt dessen lächelt er genauso tapfer wie Malu Dreyer. Denn wer jetzt auch noch einen Stegner-Flunsch vor laufender Kamera zieht, der macht den Zustand des Dauer-Pflegefalls SPD wohl noch schlimmer.

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