Silvesternacht - Von „kleinen Paschas“ zu reden, wirft uns nur zurück

Die Debatte nach den Silvester-Krawallen ebbt nicht ab. Doch die Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe hilft auch nicht weiter. Was Franziska Giffeys Jugendgipfel mit dem aktuellen Rassismusbericht verbindet.

Feuerwehrleute bekämpfen in der Berliner Silvesternacht einen Fahrzeugbrand / dpa
Anzeige

Autoreninfo

Hier finden Sie Beiträge von Gastautoren sowie in Kooperation mit anderen Medien und Organisationen. 

So erreichen Sie Cicero-Gastautor:

Anzeige

Berlins Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) nennt die Randale in der Silvesternacht eine Zäsur für Berlin. Zäsur ist allerdings ein großes Wort. Es beschreibt einen echten Einschnitt, eine Grenze zwischen zwei Perioden – es gibt dann ein Davor und ein Danach. Die Krux an derart markigen Worten, ob sie nun im Wahlkampf fallen oder nicht, ist allerdings, dass Franziska Giffey in ihrer Regierungsverantwortung nun auch liefern muss. Wie will sie das Danach denn gestalten?

Betrachtet man das, was am Mittwoch auf dem ersten Jugendgipfel verabredet worden ist, bleibt da noch Luft nach oben. Mehr Sozialarbeit in den Schulen, den Elternhäusern und auf der Straße. Eine Förderung von Sport-, Teilhabe- und Sprachprojekten. Mehr Präventionsarbeit in den Stadtteilen. Eine weitere Beschleunigung bei den Jugendstrafverfahren und mehr Polizeipräsenz auch in der direkten Begegnung mit Jugendlichen.

Eine lösungsorientierte Diskussion

Damit beschreiben die Teilnehmer des Gipfels erst mal die Orte, an denen gehandelt werden soll, und führen bewährte Konzepte an. Das kennen wir alles schon. Von allem soll es nun aber noch mehr geben. Das muss nicht falsch sein. Eine neue Idee, ein Umsteuern, das dem Wort Zäsur gerecht würde, ist es allerdings nicht. Ungewiss ist natürlich außerdem, ob auch entsprechende Mittel zur Verfügung gestellt werden, um die Pläne letztlich auch zu verwirklichen. Es läuft auf sehr viel mehr Personal an verschiedenen Stellen hinaus.
 

Das könnte Sie auch interessieren:

Das ist allerdings nicht alles, was an dieser Stelle zu bemerken wäre. Die Debatte über die Silvesterkrawalle hat in den vergangenen Tagen auch noch kräftig rassistische Züge angenommen. Da spricht der CDU-Vorsitzende Friedrich Merz von „kleinen Paschas“, die sich schon in der Schule schlecht benehmen, und überhaupt möchte seine Berliner Landespartei die Vornamen aller Täter wissen, um das Ganze auf ein Migrationsproblem zu reduzieren.

Dabei spielt es für eine lösungsorientierte Diskussion überhaupt keine Rolle, wo die Eltern oder Großeltern dieser Kids einmal hergekommen sind. Es geht um Jugendliche, die in diesem Land leben. Punkt. Ihre Probleme sind deshalb unsere Probleme. Die Stigmatisierung einer Bevölkerungsgruppe hilft nicht weiter. Sie verursacht nur neue Probleme.

Das Verfallen in rassistische Ressentiments

Man kann auch sagen, solche Reden schreiben diese Probleme fort. Denn wir haben ja bereits seit sehr langer Zeit ein Problem mit dem Rassismus im Land. Die Vorkommnisse an Silvester binden beide Problemfelder zusammen. Umso interessanter, dass am Tag des Berliner Gipfels zur Jugendgewalt auch noch die Bundesbeauftragte für Migration, Reem Alabali-Radovan, ihren Lagebericht zu Rassismus, seinen Erscheinungsformen und Lücken in der Prävention, Beratung und Forschung vorstellte. Dass wir es in unserem Einwanderungsland nicht schaffen, Vorkommnisse wie an Silvester zu diskutieren, ohne in rassistische Ressentiments zu verfallen, ist auch der Bundesbeauftragten aufgefallen. Man müsse die Taten beurteilen und nicht die Vornamen, sagt sie und hat damit natürlich recht.

In Deutschland leben mittlerweile 22 Millionen Menschen mit einer Einwanderungsgeschichte. Das ist mehr als ein Viertel der Bevölkerung. Wenn wir nicht aufhören, Menschen in erste und zweite Klasse zu differenzieren, werden wir unsere Probleme nicht lösen. Sie werden nur größer.

In Kooperation mit:

Anzeige