Sigmar Gabriel - Vermächtnis eines an sich Gescheiterten

Sigmar Gabriel hätte ein großer Politiker werden und die SPD nach seinem Bilde formen können. Doch zu oft hinderten ihn sein großes Ego und seine fehlende Disziplin daran, seine Pläne konsequent auszuführen. Ein Nachgesang auf einen begabten Politiker, der sich selbst den Weg verbaut hat

Chance verpasst: Sigmar Gabriel ist an der SPD und vor allem an seiner Persönlichkeitsstruktur gescheitert / picture alliance
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Christoph Schwennicke war bis 2020 Chefredakteur des Magazins Cicero.

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Die Begriffe Leitkultur und Heimat sind am Ende nur Chiffren. Sigmar Gabriel möchte in seinem politischen Vermächtnis, das als Spiegel-Essay des Weges kommt, seinen Parteifreunden sagen, dass sie in den vergangenen Jahren auf dem völlig falschen Trip waren. Dass sie Themen hochgezogen haben, die keinen wirklich umtreiben. Und dass sie vorsätzlich an Themen vorbeigucken oder sie ausblenden, die bei vollem Bewusstsein und Verantwortungsgefühl für die eigene Wählerschaft nicht zu übersehen sind: Zeitweilig unkontrollierte Zuwanderung, Innere Sicherheit und neue Verteilungsfragen. Aber einer von ihrer Mission beseelten Heiko-Maas-SPD ist so ein Zeitenwechsel und damit einhergehender Themenwechsel offenbar nicht beizubringen. Sie lebt noch in der Welt vor der Ölkrise 1973, als der Sozialstaat idealtypisch schwedischer und deutscher Prägung noch nicht an seine Grenzen gekommen war und die Globalisierung nicht in Form von Millionen Menschen über die Grenzen drängte.

Der Mann, der bis vor kurzem acht Jahre lang Vorsitzender dieser SPD war, der er jetzt die Leviten liest, hat im Grundsatz recht. Aber warum kommt er damit jetzt? Was hat er vor?

Zu spät

Acht Jahre hätte er Zeit gehabt, die Sozialdemokraten nach seinem Bilde zu formen. Man kann nicht sagen, dass er es nicht kurzzeitig versucht hätte. Man müsse als Sozialdemokrat dorthin gehen, wo es stinkt, hat er seinen Funktionären bei seiner Wahl auf dem Parteitag in Dresden 2009 zugerufen, einer Klientel, die längst den Kontakt zu denen verloren hat, die sie vertreten muss. Dann ist er erst dorthin gegangen, wo es brenzlig roch, wiederum nach Dresden, zu Pegida und hat die Leute dann als Pack bezeichnet, als die ihm nicht zuhörten, sondern pöbelten.

Er hat mit dem „Refugees-Welcome“-Button neben Merkel am Kabinettstisch gesessen und erst spät zur Attacke auf deren „Kontrollverzicht“ (Frank A. Meyer) gerufen. Er hat zu spät viele Kilos abgenommen und sich mit diesem neuen Look und dem gepolsterten Posten des Außenministers auf Platz 1 der Politiker-Bestenliste emporgeschwungen. Was wäre wohl gewesen, wenn er in dieser Form, physisch und psychisch, gegen Merkel angetreten wäre? Der kurze Schulz-Hype vom späten Frühjahr 2017 gibt eine Ahnung davon, was mit einem Gabriel von diesem Format und mit diesem politisch-offensiven Ansatz gegen Merkel drin gewesen wäre für die SPD. Stattdessen hat er einen zum Kanzlerkandidaten und Vorsitzenden gemacht, von dem er genau wusste, dass der weder das eine, noch das andere kann.

Ein begabter Politiker, aber eine tragische Figur

Er muss wissen und weiß bestimmt auch: Er hat verloren. Er wird seinen Außenministerposten verlieren, egal, ob eine Große Koalition kommt oder nicht. Dass er nicht Teil der Verhandlungsdelegation von Martin Schulz ist, kündet davon. Er wird auch nicht mehr Anführer eines dringend notwendigen Sturzes von Martin Schulz sein können. Seine Kräfte sind geschwunden und dazu hat er jeden Rückhalt in der SPD verloren. Wenn er das im Sinn gehabt hätte, so verzweifelt das auch gewesen wäre, hätte er seinen Vorstoß auf zeitlicher Höhe des SPD-Parteitages vor zwei Wochen vortragen müssen. Und auch dann wäre ihm ein Erfolg nicht beschieden gewesen. Durch seine spezielle Art, seine Sprunghaftigkeit und Unzuverlässigkeit, hatte er es sich längst mit allen verscherzt, auf die es in der SPD ankommt. Das werden ihm die Genossen auch über das große Leiden an ihrem jetzigen Vorsitzenden nicht vergessen, dem sie am Ende ja auch Gabriel zu verdanken haben.

Sigmar Gabriel hatte sich viel vorgenommen als Vorsitzender. Er ist der begabteste Politiker, den diese Partei seit einem Jahrzehnt hervorgebracht hat. Scharfsinnig, von blitzschneller Auffassungsgabe, intuitiv. Aber nun wird er in die Geschichte der Sozialdemokratie als eine ihrer tragischsten Figuren eingehen. Auf eine Art ist Gabriel noch tragischer als Rudolf Scharping, der immerhin eine Wahl als Ministerpräsident gewann, das Amt der CDU abnahm und sich traute, als Kanzlerkandidat anzutreten, auch wenn er dabei fürchterlich scheiterte.

Gabriel hat als Erbfolger eines skandalumwitterten niedersächsischen Ministerpräsidenten seine erste Wahl mit minus 14,5 Prozentpunkten für die SPD krachend verloren und ist dann als Lucky Loser von Franz Müntefering ins erste Kabinett Merkel geholt worden, um dort Vizekanzler zu werden. Er ist nie als Kanzlerkandidat angetreten und hat folglich in seinem ganzen Leben keine einzige Wahl gewonnen, außer auf einem Parteitag. Er war zu sprunghaft und zu wenig beharrlich. Er hat tausend Sachen angefangen, aber keine zu Ende gebracht. Die Vermittlung in einem Übernahmekampf mehrerer Lebensmittelketten zugunsten der Arbeitnehmer, das ist die einzige Chiffre, die sich als unbestreitbarer Erfolg aus seiner Zeit als Wirtschaftsminister mit seinem Namen verbindet.

Kühn in seinen Plänen, zaghaft in ihrer Ausführung

Sigmar Gabriel verfügt über große Gaben und ein ebenso großes Ego, aber weder hat er am Ende die Disziplin, noch den letzten eisernen Willen gezeigt, der für ganz oben nötig ist. Er ist kraftvoll und dabei doch so schwach. Eine zwiespältige Figur wie sie Friedrich der Große im scheinbar starken Mann unter Ludwig XV. erkannt hat. Kardinal Fleury, notierte der Preußenkönig in seinen Memoiren, „wollte lieber der Schiedsrichter der Könige sein als ihr Bezwinger. Er war kühn in seinen Plänen, zaghaft in ihrer Ausführung.“

Gabriel ist an seiner Partei gescheitert, die so bleiben will wie sie ist und lieber untergeht als begreift. Und er ist im mindestens gleichem Maße an sich und seiner Persönlichkeitsstruktur gescheitert, die seiner Fortune und Vollendung noch mehr im Weg stand als die SPD.

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