Selbstbestimmungsgesetz - „Die Bewegungsfreiheit von Muslimas wird stark eingeschränkt“

Die von der Bundesregierung beschlossene Reform des Transsexuellenrechts wird unter Deutschtürken für Aufregung sorgen, ist Ali Utlu überzeugt. Besonders muslimische Frauen würden unter den Folgen des Selbstbestimmungsgesetzes leiden. Der homosexuelle, antiislamistische Aktivist wirbt ausgerechnet in Moscheen um Unterstützer.

Frauen in einem türkischen Hamam in der Berstein-Therme Zinnowitz / picture alliance
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Daniel Gräber leitet das Ressort Kapital bei Cicero.

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Ali Utlu ist ein deutsch-türkischer Menschenrechtsaktivist und lebt in Köln. Er ist Mitglied des Zentralrats der Ex-Muslime, der sich gegen Islamismus in Deutschland einsetzt. Utlu lebt in Köln.

Herr Utlu, Sie haben ein Flugblatt verfasst, mit dem Sie türkischsprachige Bürger über das geplante Selbstbestimmungsgesetz informieren wollen. Warum?

Was dieses Gesetz betrifft, klärt die Regierung auch die deutschsprachige Bevölkerung so gut wie überhaupt nicht darüber auf. Viele Dinge werden von der Regierung ins Türkische übersetzt. Wenn man zum Beispiel Geld vom Staat haben will, um sein Leben damit zu bestreiten, dann gibt es die ganzen Informationen darüber auch auf Türkisch und auch in diversen anderen Sprachen. Wenn es aber darum geht, mit diesem Selbstbestimmungsgesetz so tief in die Familie, so tief in die Gesellschaft einzugreifen, gibt es überhaupt keine Informationen.

Viele türkische Mitbürger in meinem Umfeld sind entsetzt, wenn ich ihnen erzähle, was mit diesem Gesetz auf sie zukommt. Alle sagten, sie wussten darüber überhaupt nicht Bescheid. Warum? Weil auch die Öffentlich-Rechtlichen so gut wie gar nicht darüber berichtet haben. Und wenn, dann nur einseitig, ohne die Probleme, die daraus entstehen können, anzusprechen. Also habe ich mir gesagt: Okay, dann muss ich eben das übernehmen, was die Aufgabe der Regierung wäre. Und zwar einen großen Teil der Bevölkerung, vor allem Muslime, darüber aufzuklären, was dieses Selbstbestimmungsgesetz für ihr Leben hier in Deutschland bedeutet. 

Nun sind Sie bei anderen Themen, etwa beim Umgang mit Homosexuellen, ein scharfer Kritiker des konservativen Islams in Deutschland. Wenn es gegen das Selbstbestimmungsgesetz geht, sind Ihnen diese Verbündeten willkommen? 

Es geht hier besonders um den türkischen Bevölkerungsanteil. Homosexualität ist seit 1867 in der Türkei nicht verboten. In Deutschland wurde der Paragraph 175 erst nach der Wiedervereinung aus dem Strafgesetzbuch gestrichen. Es gibt auch sehr viele homosexuelle Türken hier in Deutschland. Also so einfach ist das nicht.

Ali Utlu / privat

Mir geht es hier nicht um: Der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sondern hier geht es um die Community an sich. Es geht einfach nur darum, Bevölkerungsgruppen, die komplett ausgeschlossen worden sind von dieser Gesetzgebung, aufzuklären, was ihnen passiert. Denn es hat direkte Auswirkungen. Zum Beispiel dürften Muslimas bestimmte öffentliche Räume nicht mehr aufsuchen. Weil ihre Religion es verbietet, sich in diesen Räumen mit biologischen Männern aufzuhalten. Umkleidekabinen oder Frauensaunen zum Beispiel. 

Die Bundesregierung hat in ihrem Gesetzentwurf extra noch eingefügt, dass die Betreiber solcher Einrichtungen im Einzelfall andere Zugangsregelungen treffen können.

Ja, genau. Das hat Justizminister Marco Buschmann gerade auch auf Twitter angesprochen. Fakt ist aber: Um jemanden ausschließen zu können, müsste der Betreiber dieser Anlage das Geschlecht des Gegenübers offenbaren. Und diese Offenbarung ist verboten. Er würde Ärger bekommen. Das funktioniert so nicht. Wie will man jemanden ausschließen? Indem man sagt: Ich schließe Sie aus, weil sie zwar rechtlich eine Frau sind, aber noch einen biologischen Männerkörper besitzen. In dem Moment hat man sich schon strafbar gemacht.

Das sind Feinheiten, über die sich Juristen die Köpfe zerbrechen sollen. Eventuell finden sie Möglichkeiten. Jetzt mal zum Kern des Gesetzes: Menschen, die sich im eigenen Körper vom Geschlecht her falsch fühlen, mussten das bisher mit psychologischen Gutachten nachweisen. Künftig soll jeder einfach zum Standesamt gehen und seinen Geschlechtseintrag ändern können. Warum lehnen Sie das ab?

Man kann sein Geschlecht nicht ändern. Man kann seinen Körper angleichen und das andere Geschlecht so gut wie möglich versuchen nachzuahmen. Aber das Geschlecht kann man nicht ändern. Ich habe nichts gegen Transsexuelle. Bei mir geht es vor allem um die Menschen, die ohne eine Angleichung machen zu wollen, diese Räume aufsuchen. Also wenn ich jetzt als Mann, so wie ich jetzt bin, mit Bart und allem drum und dran zum Standesamt gehe und sage, ich definiere mich ab jetzt als Frau. Dann habe ich sofort Zugang zu allen Bereichen, die eigentlich nur für biologische Frauen gedacht waren. Darin sehe ich die Gefahr. Und das ist auch das, wo zum Beispiel in Amerika oder Großbritannien die meisten Übergriffe passiert sind. Genau die Dinge, die man befürchtet, sind ja tatsächlich auch eingetreten.

 

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Es geht mir wirklich nur um die Menschen, die ohne eine Angleichung zu machen, praktisch nur mit Perücke und Lippenstift, behaupten, sie wären Frauen und wollen Zugang haben. Damit wird das Geschlecht von einer biologischen Tatsache zu einer Identität umgewandelt. Es ist dann nicht mehr als zu sagen: Ich bin jetzt eine Frau. Das hat dann mit der Biologie überhaupt nichts mehr zu tun. Alle Errungenschaften, die Frauen bisher erreicht haben, vor allem Feministinnen, werden ad absurdum geführt. 

Wie sind die Reaktionen, wenn Sie davon in Ihrem muslimischen Bekanntenkreis erzählen? 

Die Reaktionen sind alle negativ, vor allem, weil die Bewegungsfreiheit von Muslimas stark eingeschränkt wird. Was den Muslimen am meisten wehtut, ist, dass ein 14-Jähriger sich sein Geschlecht selbst aussuchen kann und die Eltern keine Handhabe dagegen haben, weil ihr eigenes Kind vor dem Familiengericht klagen könnte gegen die Eltern. Ab dem Moment würde das Familiengericht darüber entscheiden. Das bedeutet, dass den Eltern das Erziehungsrecht genommen wird. Und das Problem ist: Wenn die Eltern noch den türkischen Pass haben, haben die noch weniger Einfluss drauf, weil die Kinder selber ja die doppelte Staatsbürgerschaft bekommen und diese damit voll ausnutzen können gegen ihre Eltern. Und da sehen sie die meisten Schwierigkeiten. 

Wie viele Exemplare des türkischsprachigen Flugblatts, das Sie dazu gemacht haben, wurden schon verteilt? 

Es ist noch nicht ganz fertig. Denn wir müssen es sprachlich anpassen. Die Übersetzung des Gesetzestextes ist sehr beamtentürkisch und wir haben festgestellt, dass dieser Text von vielen Türken hier in Deutschland nicht mehr verstanden wird. Die verstehen dieses moderne Türkisch gar nicht mehr. Das Wort für Eltern zum Beispiel ist in der Türkei mittlerweile ein ganz anderes als bei den Deutschtürken. 

Ach so.

Das wusste ich auch nicht, aber das haben wir dann festgestellt. Dieser Flyer beinhaltet ganz am Anfang nur die wichtigsten Punkte. Es ist eine eins zu eins Übersetzung der Gesetzespassagen. Dann wird aufgeklärt: Inwiefern betrifft das meine Familie? Dann wird erst mal aufgeklärt über die Konsequenten für Kinder unter 14. Und danach geht es dann auch um den religiösen Punkt, dass Frauen eben bestimmte Räume dann gar nicht mehr aufsuchen könnten. Das Problem ist ja auch, dass die Männer ihren Frauen das dann nicht mehr erlauben würden. Die Zahl der religiösen Frauen steigt nun mal auch in der türkischen Community und deren Leben würde halt eingeschränkt werden. 

Sie sprechen von „wir“. Mit wem machen Sie das? 

Ich mache das mit einer Bekannten, die einfach besser Türkisch kann als ich. Sie übersetzt dann auch diese Passagen. Sie will aber anonym bleiben, weil sie Angst hat vor einer bestimmten Klientel.

Wo und wie wollen Sie das Flugblatt verteilen, wenn es fertig ist? 

Erstmal wird es als PDF-Datei ins Netz gestellt, damit das jeder runterladen kann. Dann wollen wir es in verschiedenen Moscheen auslegen, falls die es erlauben. Oder zur Not freitags vor der Moschee eben per Hand verteilen. Und wir wollen dann eben türkische Cafés aufsuchen und dort auch diese Zettel auslegen. Das ist ganz wichtig, diese Menschen einzubinden. Sie haben ihren Lebensmittelpunkt hier, sie halten sich an alle Gesetze. Da gibt es auch eine Bringschuld, ihnen zu erklären, was auf sie zukommt. Und das übernimmt der Staat in diesem Fall überhaupt nicht. 

Und dann? Was wäre aus Ihrer Sicht im besten Falle die Reaktion? Die regen sich dann darüber auf, aber was sollen sie dann tun? 

Diejenigen, die wählen können, können sich überlegen, wen sie als nächstes wählen. Weil die FDP, die SPD und die Grünen das Selbstbestimmungsgesetz voranbringen. Das sind aber auch die, die diese Bevölkerungsgruppe am meisten hofieren. Wichtig ist es eben, den Menschen zu zeigen, falls sie wählen können, dass sie damit auch eine gewisse Macht haben und diese dann auch nutzen können bei der nächsten Wahl. Anders ist der Sache ja überhaupt nicht mehr beizukommen, als diesen Parteien zu zeigen: Wenn ihr das durchbringt, werden wir entweder klagen oder wir werden einfach andere Parteien wählen. Besonders hier in Nordrhein-Westfalen gibt es viele Türken, die auch in Deutschland wählen dürfen, und für die wäre das als Wahlentscheidung sehr hilfreich. 

Korrigieren Sie mich bitte, wenn ist falschliege. Aber ich habe den Eindruck, dass sich viele türkischstämmige Bürger in Deutschland kaum am politischen Leben beteiligen und eher den Eindruck haben: Diese Gesetze, die da gemacht werden, das sind die Regeln der Deutschen, die gelten für Deutsche. Wir haben unsere eigenen Regeln. 

Na ja, da gebe ich Ihnen Recht. Es hat auch was damit zu tun, dass die türkische Bevölkerung ja eigentlich seit Generationen so behandelt wird, dass wir nur Gäste sind und wir dann irgendwann doch vielleicht gehen, und die Politik diese Bevölkerungsgruppe vollkommen außen vor gelassen hat. Und wir haben das Problem, dass viele Türken aus der ersten und zweiten Generation schlecht Deutsch sprechen, bis heute noch, und die Generationen danach eigentlich gar nicht mehr engagiert sind, weil sie sich nie zugehörig gefühlt haben.

Wir haben immer gedacht, diese Gesetze sind sowieso nur für Deutsche. Aber natürlich sind die auch für die Menschen, die hier leben, weil diese Gesetze gelten ja für die genauso. Mir haben Türken gesagt, wenn dieses Gesetz durchkommt, würden sie in die Türkei zurückgehen, bevor ihre Kinder auf komische Gedanken kommen oder ihnen komische Dinge eingeredet werden. Also das würde auch Menschen der dritten oder vierten Generation aus ihrer Heimat rausreißen. 

Der Anteil der Muslime steigt in Deutschland. Wegen anhaltender Einwanderung und der höheren Geburtenrate. Wenn sie sich wirklich politisch organisieren und ihre Macht erkennen würden, könnten sie einiges hier beeinflussen in Deutschland. Wächst das Bewusstsein dafür?

Das mag zwar in islamistischen Kreisen so sein oder in sehr streng muslimischen Bevölkerungsteilen, aber das ist eine Minderheit. Türken und Afghanen haben miteinander bis auf die Religion überhaupt nichts zu tun. Das sind völlig verschiedene Kulturen. Also schon zwischen Türken und Arabern sind so große kulturelle Unterschiede, dass ich nicht denke, dass man da zusammenkommt. Außer, wenn man sich wirklich nur als Muslime definiert und nicht zuerst als Türke oder als Syrer, dann kann man sich schon zusammenschließen. 

Sehen Sie nicht die Gefahr, dass Sie mit Ihrer Aktion gegen das Selbstbestimmunsgesetz genau eine solche Entwicklung befeuern. Sie sind doch ein entschiedener Gegner des Islamismus.

Ja, aber das könnte ja bei jedem anderen Thema auch so kommen. Wenn sich zum Beispiel Städte dagegen entscheiden, den Muezzinruf zu erlauben, obwohl es andere getan haben. Dann kann es auch zu politischen Protesten kommen. Warum dürfen die das in Köln und wir dürfen das hier nicht? Also diese Situationen sind immer gegeben. In Frankreich sieht man ja, wozu das führen kann, dass es ganze Banlieues gibt, wo die Polizei sich nicht mehr rein traut, wo aber auch die französische Gesetzgebung nicht mehr gilt, weil das irgendwelche Imame übernommen haben, die als Friedensrichter nach ihren internen Gesetzen urteilen. So einen Fall hatten wir hier in Nordrhein-Westfalen auch. Zwei Clans haben sich bekriegt, aber anstatt dass das deutsche Recht darüber entschieden hat, hat irgendein Friedensrichter entschieden. Die Parallelgesellschaften existieren ja jetzt schon. Bloß der Staat bekommt das nicht mit.

Diese Menschen werden eigentlich immer wieder hofiert von der Regierung, also von Linken und von Grünen und auch von den Sozialdemokraten. Aber diese Menschen sind alles andere als links und grün. Sie sind eigentlich sehr, sehr konservativ. Sie sind von der Einstellung her der AfD oder der CDU näher als jeder dieser Parteien. Vor allem, wenn es um die sogenannte Klimapolitik geht. Da trauen sich diese Parteien überhaupt nicht an Muslime ran. Wenn es aber darum geht, die Kopftücher in Schulen zu erlauben, da ist man ganz vorne mit dabei. 

Das Gespräch führte Daniel Gräber.
 

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