Trump, Corona, Terror - Sehnsucht nach Normalität

Lange Zeit dachte der Westen, was er für die Normalität hält, sei auch normal. Doch das stellte sich nach der Finanzkrise und dem Islamistischen Terror als Irrtum heraus. Warum wir jetzt wachsam sein sollten, wenn uns der Ausnahmezustand als neue Normalität verkauft wird.

Neue Normalität meint allzu häufig eigentlich alternativlos / dpa
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Autoreninfo

Alexander Grau ist promovierter Philosoph und arbeitet als freier Kultur- und Wissenschaftsjournalist. Er veröffentlichte u.a. „Hypermoral. Die neue Lust an der Empörung“. Zuletzt erschien „Vom Wald. Eine Philosophie der Freiheit“ bei Claudius.

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Früher war vielleicht nicht alles besser. Früher aber war alles normal. Es gab keine blöden Viren, zumindest machte man keinen Hype um sie. Es gab keine durchgeknallten amerikanischen Präsidenten, auch wenn das damals mancher anders sah. Es gab keine wirren Islamisten.

Und es gab kein Internet mit seinen durchdrehenden Twittercommunitys. Entsprechend groß ist die Sehnsucht nach Normalität, und Normalität meint in diesem Zusammenhang meist: Sehnsucht nach gestern. Das Gestern aber, das lehrt die Erfahrung, wird nicht wiederkommen, allenfalls als Farce, aber die braucht auch keiner. Was aber ist dann normal an einer ersehnten Zukunft, die weder dem Gestern noch dem Heute entspricht?

Zwei Begriffe von Normalität

Das Problem am Begriff der Normalität ist, dass wir ihn sowohl statistisch als auch normativ verwenden. Statistisch normal ist das, was am häufigsten ist und die Realität bestimmt. Zur Zeit also: Donald Trump, Corona, Islamisten, Krieg und Terror. Aber dann gibt es auch noch eine normative Normalität, nach der wir uns sehnen, nach Ruhe, Frieden und Ausgleich. Das ist zwar alles statistisch nicht normal, doch es entspricht der von uns erhofften normativen Normalität.

Es gehört zu den Schlüsselerfahrungen der Menschen der westlichen Hemisphäre, dass sie in einer Welt groß geworden sind, in der die statistische Normalität der normativen Normalität sehr nahekam. Die Welt war, wenn man von dem abstrakten kalten Krieg einmal absieht, friedlich, ausgeglichen, halbwegs vernünftig, und die Amerikaner mussten zwischen farblosen aber unspektakulären Figuren wie Gerald Ford und Jimmy Carter wählen. Selige Zeiten.

Ein böses Erwachen

Als dann 1989 der Eiserne Vorhang fiel, gingen die meisten im Westen davon aus, dass nun der Rest der Menschheit auch an ihrer Normalität teilhaben würde: zunächst die Menschen im Osten Europas, dann die Menschen in Asien, Afrika und Südamerika. Diese Illusion hielt, abhängig von der individuellen Blauäugigkeit, bis 2001 oder 2008.

Spätestens mit der Finanzkrise und dem sich ausbreitenden islamistischen Terror zerstob der Traum von der um sich greifenden globalen Normalität. Der einfache Grund: Die Normalität der westlichen Welt der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts war eben nicht normal – sie war die Ausnahme. Der Schock über diese Erkenntnis haben die westlichen Gesellschaften bis heute nicht verarbeitet. Es war ein böses Erwachen.

Neue Normalität?

Also formulierten besonders schlaue Köpfe den Begriff der neuen Normalität. Etwa der österreichische Philosoph Paul Sailer-Wlasits. Für ihn stellen sprachlicher Radikalismus, politischer Populismus und Trumps Verbalinjurien die neue Normalität in einer globalisierten Welt dar. Auf diesen begrifflichen Zug sprang dann in den vergangenen Monaten die deutsche Öffentlichkeit auf, die versuchte, unser Leben mit Covid-19, mit Masken, Veranstaltungsverbot und Restaurantschließungen als neue Normalität schmackhaft zu machen.

Doch genau hier liegt das Problem. Wer statistische Normalität im Namen einer angeblichen neuen Normalität zur normativen Normalität erhebt, kapituliert allzu schnell vor den Umständen. Nein, die neue statistische Normalität darf keine normative Normalität werden. Sicher werden wir nicht in die selige Geborgenheit der 80er-Jahre zurückkehren, aber eine Welt ohne einen infantil-narzisstischen Präsidenten, ohne amoklaufende Wirrköpfe und Pandemien ist machbar. Wir sollten uns nicht das Gegenteil einreden lassen.

Wehret den Anfängen

Das allerdings setzt voraus, dass man nicht kulturellen Moden folgend eine schicke neue Normalität ausruft und damit nur die Verstätigung des Ausnahmezustandes meint. Ausnahmezustände sind für gelangweilte Gemüter vielleicht einen weltgeschichtlichen Wimpernschlag lang hip und aufregend, auf Dauer aber führen sie zu eher unerfreulichen Umständen.

Das Problematische an dem lässigen Umgang mit dem Begriff Normalität, egal ob alte oder neue, sind seine ideologischen Implikationen. Wer etwa von neuer Normalität spricht, meint leider allzu häufig: alternativlos. Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Doch die Zukunft ist nicht alternativlos und die Gegenwart nicht deshalb normal, weil manche das behaupten. Wer so spricht, redet der normativen Kraft des Faktischen das Wort, doch das ist bei allem Realitätssinn zutiefst unpolitisch. Wann immer von einer neuen Normalität die Rede ist, sollte man daher wachsam sein. Allzu häufig sollen hier einfach Realitäten geschaffen werden.

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